Alexander
Ich spürte die besorgten Blicke meines Mannes auf mir. Das angewärmte Holz welches ich mit meiner rechten Hand sicher umfasste, war etwas bedrohliches für ihn. Der Gehstock war in einem dunklen Holz gehalten. Er war auf meine Größe eingestellt, war er für mich wie ein drittes Bein, vermittelte er somit eine ungewöhnliche und fremde Sicherheit. Die ich ganz besonders heute benötigte. Es war das Körpergewicht, welches ich zum Teil darauf stützen konnte, nicht das Gewicht der Sorgen und Gedanken, welche mich heute ebenfalls begleiteten.
Langsam ging ich auf Magnus zu. Er hatte sich an den Küchentresen gelehnt und die Arme vor seinen Körper verschränkt. Eine abwehrende Geste. Ein Zeichen das er nicht das zeigte, was er wirklich fühlte. Meine, von Altersflecken gekennzeichnete Hand legte sich auf seine kühle Haut. Mein Daumen liebkoste seine Wange. Es war wie ein Kuss der Hingabe, als er sich nach kurzem zögern in diese Berührung schmiegte. "Manchmal wünschte ich die Zeit würde nicht so davon laufen." Seine rauen Lippen trafen auf meine Handinnenfläche. Sie schien zu kribbeln, so als wäre sie eingeschlafen. Schon immer hatten mich seine Küsse auf Reisen geschickt. Reisen voller Träume und Sinnlichkeit. "Das Leben ist ein Fest, welches man bis zum letzten Glas genießen sollte. Jeder hat irgendetwas auf dieser Welt. Es ist nur die Frage wie man das alles übersteht. Solang ich dich habe, geht es mir gut." Ich versuchte ihm die Sorge zu nehmen. Es war nicht einfach. Keiner wusste wie lange man lebte. Nur im Alter gab es Tage wo man genau darüber nachdachte. Es war auch nicht, das man nicht mehr wollte. Sondern eher sich die Frage stellte, ob man alle Facetten des Leben ausgekostet hat? Wie werden die nächsten Monate, Jahre gesundheitlich verlaufen?
Magnus und ich hatten uns für unseres hochbetagte Alter noch ziemlich gut gehalten. Bis auf ein paar Blutdruckerhöhungen und Herzrhythmusstörungen, waren wir soweit gesund. Bei mir kam noch die linke Hüfte und meine immer schlechter werdende Nieren mit dazu. Aber ansonsten konnten wir uns wirklich nicht beschweren, was wir auch nicht taten. "Wie hat mal ein weiser Mann gesagt, Optimismus ist ein Muskel, der stärker wird wenn man ihn nutzt. Und Mut ist der Zauber, der Träume Wirklichkeit werden lässt." Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Sanft küsste ich seine Stirn. Waren und sind wir doch in unseren besten Zeiten immer zu zweit. Seine Augen waren mit Fürsorge getränkt, raubten mir vollkommen den Atem.
Der Stock war in den letzten Jahren an manchen Tagen einfach nötig. Man konnte diese Momente an zwei Händen abzählen und dennoch prägten sich diese Tage ein, machten es deutlich das sie mehr werden würden. "Kennst du diesen Mann persönlich?" Magnus legte seine Hand beschützend über meine. "Ja, er ist sozusagen mein Herz welches ich frei herum laufen lasse. Durch ihn ist diese Welt zu einem Planeten geworden, welcher die schönsten Wunder bereit hält. Ich bin mit ihm Alt geworden." Voller Zuneigung betrachtete ich meine Seele. "Ich liebe dich" Schon immer waren die Worte selten bei uns, trugen wir doch die Liebe für den anderen in unseren Körpern. Es war die Sprache der Gesten, die diese drei Wörter für uns aussagte.
"Und ich liebe dich, Alexander." Die Worte waren ein Segen, hatte mich vor allem Magnus immer dann geliebt, wenn ich es selbst nicht konnte. Wir standen einen Augenblick uns noch gegenüber, genossen die Verbundenheit, war der Zusammenhalt wie ein Gebet, das alles immer gut werden würde.
In dieser Stunde, bereitete jemand einen Mantel über die Zeit aus, um die tickenden Schritte zu dämpfen. Die Authentizität unseres Seins, war das flammende Fundament unseres Lebens. Und ich liebte es, mit allem was dazu gehörte. "Das Taxi wird gleich da sein, wollen wir schon mal heraus gehen?" Ich freute mich darauf meine Schwester wieder zu sehen. "Gern. Hast du schon deine Mittagstabletten genommen?" Ich sah auf den Tagesblister, der die Tabletten für den Tag für ihn bereit hielt. Auch ich hatte einen. Der Körper brauchte diese Wirkstoffe, um ansatzweise richtig arbeiten zu können. Hatte man früher noch darauf geachtet, das die Lieblingsschokolade im Haus war, sah man heute auf diese kleinen Dinge, die man mit Fürsorge eine neue Bedeutung schenkte.
Ich rückte mit Sorgfalt seinen Kragen wieder zurecht, zog seinen Reißverschluss etwas höher. Eine Sekunde lang schwebte meine Hand über dem schlagenden Herzen, welches einst mir gehört hatte. Magnus lächelte mich an, wusste das diese Geste wie die Tabletteneinnahme am Tag, etwas essentielles war. Sein Herzschlag war mein Überleben.
Im Taxi lehnte ich meinen Kopf an die kühle Scheibe, klärte es etwas die gefallenen Wolken in meinen Kopf. Die Gedanken waren ein Labyrinth aus Fragen und Antworten. Ein Konstrukt, welches mir ermöglichte, die Philosophie des Da Seins zu hinterfragen. Zugleich erinnerte ich mich an den ersten gemeinsamen Urlaub, den Magnus und ich verbracht hatten. Allein die Fahrt, erbrachte uns die Erholung welche wir abseits der Arbeit brauchten. Mit unseren Kindern war das natürlich nochmal etwas vollkommen anderes.
Magnus schien an das gleiche zu denken. "Ich wollte immer meinen Kopf an das Fenster lehnen, erinnerte es mich an etliche Filmszenen. Es sieht immer so nachdenklich und zugleich wunderschön aus. Wie die Geschwindigkeit alles verschluckt, die Augen nur das zu sehen bekommen, wofür sie bereit sind. Wie im Leben" erzählte er mir seine Sicht. Auch wenn wir es schon oft wiederholt hatten, die Geschichte wurde nie träge. "Und im wahren Leben lehnte man seinen Kopf an die Scheibe, mit der Gefahr eine Gehirnerschütterung zu bekommen." Auch die Taxifahrerin musste etwas lächeln.
"Wir sind angekommen." Während ich bezahlte, stieg Magnus bereits aus. "Sie sind ein schönes Paar, Mr. Lightwood-Bane." Überrascht sah ich die Frau an. Sie hatte uns bereits mehr Mals gefahren. Ich schenkte ihr ein Lächeln. "Dankeschön, Miss." Mit dem Kopf nickte sie. Magnus machte mir die Tür auf und so stieg ich mit meinem Gehstock aus. "Dankeschön, mein Herzblatt." Er liebte es, wenn ich ihn so nannte.
Magnus hakte sich bei mir unter und so gingen wir auf das kleine Backsteinhaus zu. Wir waren noch nicht mal angekommen als bereits eine Frau mit gräulichen, langen Haar die Haustür aufmachte. Sie hatte dunkelbraune fast schwarze Augen, welche durch die Freude, die sie an den Tag brachte voller Schönheit glänzten. Sie war modisch angezogen. Ihr Alter sah man ihr nicht an. Bis auf den Rollator, den sie etwas gestylt hatte. "Das Traumpaar von ganz New York erstattet uns auch mal einen Besuch. Schön euch zwei zu sehen." Ich verdrehte die Augen, während Magnus seiner Schwägerin zu zwinkerte. Der Blick von Isabelle fiel auf meinen Gehstock. "Genau heute wollte ich mit dir Basketball spielen."
Ein Kichern überrannte meine Lippen. "Das möchte ich sehen." Liebevoll pikste ich meinem Mann in die Seite. "Es ist auch schön dich wieder zu sehen, Iz." Wir umarmten sie und dann brachte sie uns direkt in den Wintergarten. So etwas wollte sie schon, als wir noch bei unseren Eltern gewohnt hatten. Das ist bereits schon Jahre her. Als sie beide die Reise in den Himmel angetreten sind, war vor allem Magnus eine große Stütze. Genau so wie ich es bei ihm war. Seine Eltern haben mir ebenfalls viel bedeutet.
Simon, ihr Mann begrüßte uns. Am Anfang war ich überrascht, das er das Herz meiner Schwester gewinnen konnte. Nach einiger Zeit habe ich es allerdings verstanden. Die beiden passen wie die Faust auf das Auge. Ihre Liebe war damals so schüchtern, das sie als Freundschaft verkleidet kam. "Ich schau mal nach dem Kuchen." Magnus begleitete Simon in die Küche. Vorher gab er mir noch einen Kuss auf die Wange, welchen ich mit flatternden Herzen empfing.
"Wäre da nicht diese tiefe Liebe in euren Augen, die einem zeigt, das sie schon viele Jahre existiert, könnte man fast denken das ihr frisch verliebt seid." Izzy und ich setzten uns an den gedeckten Kaffeetisch. Sofort verfielen wir in ein Gespräch, tauschten alles neue aber auch alles alte aus. Das Leben hatte noch so viel für uns bereit gehalten, was wir nie für möglich gehalten hatte. Gemeinsam haben wir geliebt und auch gekämpft. "Deine Worte haben mir immer geholfen." Ich drückte ihre Hand kurz, so wie es ein Bruder immer tun würde. "Was du im Leben brauchst sind Hoffnung und Kraft. Die Hoffnung das alles besser wird und die Kraft, bis dahin durchzuhalten und dafür zu kämpfen, dass es besser wird."
Wir schenkten uns ein gegenseitiges Lächeln. "Wer hat Lust auf einen Apfel Streusel Kuchen?" Während Simon den Kuchen trug, hielt Magnus das Besteck bereit. Er setzte sich neben mich und ganz automatisch legte ich meine Hand, an der ich auch meinen Ehering trug, auf seinen Oberschenkel.

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Der Weg
FanficMagnus und Alexander, ein glückliches Ehepaar, welches aufgehört hatten die Jahre zu zählen, die sie schon miteinander verbracht hatten. Aber sie fangen das zählen wieder an, als alles unklarer wird... und die schwarzen Wolken dichter werden.