Kapitel 42

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Die nächsten Tage war ich still. Meine Augenringe wurden größer und dunkler. An einem verregneten Nachmittag kam Jace zu mir und stupste mich an. Verwirrt sah ich von meinem Aufsatz auf. „Hey Kleiner", murmelte ich und lächelte schwach.

„Wie geht's?", fragte mein Bruder und ließ sich neben mich fallen. Ich bließ meine Backen auf und prustete die Luft wieder nach draußen. „Ich wünschte, ich wäre jemand anderes. Nur für dieses Schuljahr."

Jace sah mich empört an. „So kenn ich dich ja gar nicht", sagte er und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ich dachte du bist mutig und stark und so schlau, dass du hundert Zaubersprüche beherrscht." Er grinste mich schief an und ich lächelte zurück, wuschelte ihm dabei durch die Haare.

Kurz war es still. „Mum und Dad sind stolz auf dich", murmelte Jace dann. „Und Daphne und ich auch. Keiner von uns würde zulassen, dass dir was passiert."

Kurz musste ich mir auf die Unterlippe beißen, sonst hätte ich wohl losgeheult.

Jace merkte, dass jetzt der Augenblick war, in dem er vielleicht gehen sollte, also stand er vom Sofa auf. Nach einem Schritt hielt er nochmal kurz inne, und drehte sich um. „Fast vergessen... Ich soll dir von Heaven ausrichten, du solltest mal über die Nazdoug nachlesen."

Ich starrte ihn an. „Was? Über wen?"

Jace zuckte mit den Schultern. „Über die Nazdoug. Mehr hat sie mir nicht gesagt, ehe sie gegangen ist. Ich dachte du weißt wovon sie spricht."

Meine Kinnlade klappte nach unten. „Heaven ist gegangen? Sie ist weg?", platzte ich heraus und konnte es nicht fassen

Jace nickte verwirrt. „Sie sagte sie muss für einige Tage verschwinden, frag mich nicht wohin." Dann drehte er sich um und verschwand.

Ich starrte starr nach draußen. Genau jetzt, eine Woche vor der dritten Aufgabe haut sie ab. Ich hätte sie für mein Training gebraucht. Ich hätte sie so viel fragen müssen! Und was sollte das mit den Nazdoug? Ich hatte dieses Wort noch niemals gehört, geschweige denn wusste ich, wovon überhaupt die Rede war.

Verwirrt machte ich mich sofort auf den Weg in die Bibliothek und ignorierte die Frage von Claire und Victoria, was ich vor hatte.

Ich wälzte sämtliche Bücher über Pflanzen, Tiere und magische Wesen durch, fand aber nichts. Gar nichts.

Ausgelaugt saß ich an dem Tisch, starrte ins Leere und wusste nicht weiter. Das Buch das ich suchte, und da war ich mir sicher, war in der verbotenen Abteilung. Und dort würde ich nicht rein kommen.

Es bestand die Möglichkeit mit meinem Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste zu reden, aber das war Sallivan. Und ihm wollte ich nicht zu nahe kommen, ich war froh, wenn er mir nicht über den Weg lief.

Der einzige der blieb...

Ich sprang auf und stürmte aus der Bibliothek. Es war schon stockdunkel und die wenigen Schüler die noch unterwegs waren, machten sich auf den Weg in ihre Gemeinschaftsräume. Ich dagegen rannte immer tiefer in die Kerker, bis ich schließlich vor seiner Tür stand.

Ich versuchte zu Atem zu kommen und überlegte jetzt doch, ob ich wirklich das Richtige tat indem ich hierher kam. Zögernd langsam hob ich meine Hand, aber noch bevor meine Knöchel auf das schwere Holz trafen, ging die Tür auf und Snape blickte mir aus dunklen Auge entgegen. Ohne ein Wort zu sagen öffnete er sie weiter und trat zur Seite, sodass ich an ihm vorbei in sein Büro schlüpfen konnte.

Ich setzte mich auf die Kante des Sofas und starrte auf den Boden, sagte erstmal gar nichts.

„Nun, ich denke es gibt einen Grund weswegen du hier bist", murmelte Snape und ich sah zu ihm auf.

Leicht nickte ich. „Ich...", fing ich an und musste schlucken. „Was wissen Sie über Nazdoug."

Snapes Augen verengten sich zu Schlitzen. Lange sagte er gar nichts.

„Vor vielen Jahren saß deine Mutter an der gleichen Stelle und wollte Erklärungen von mir. Du erinnerst mich sehr an sie, wusstest du das?" Snapes faltiges Gesicht schien fast lächelnd.

„Was wollte sie für Erklärungen?", fragte ich, verblüfft über seine Ehrlichkeit.

„Ich musste sie vor einem Fluch und vor dem Tod retten."

„Was? Davon hat sie nie erzählt", platzte ich heraus und starrte ihn an.

Snape sah mich an. „Deine Mutter ist niemand der gern aus der Vergangenheit erzählt. Und glaub mir, alles was damals passiert ist, willst du gar nicht wissen. Und für Allyssa ist es besser, im Hier und Jetzt zu leben." Snape setzte sich gegenüber von mir auf einen Sessel und starrte mich weiter an.

Ich starrte zurück. Die Vergangenheit interessierte mich brennend. Ich wusste kaum etwas über meine Tante, oder meine Großeltern. Und ich wusste nichts darüber, was mit meinen Eltern damals passierte oder welche Rolle sie in dem großen Krieg spielten. Ich kannte nur das verblasste Tattoo des Totenkopfs auf ihren Unterarmen. Das Markenzeichen der Todesser. Der Anhänger Voldemorts.

„Du fragtest nach den Nazdoug. Wie kommst du auf diese Gestalten", riss Snape mich aus meinen Gedanken.

Ich schluckte erneut. „Heaven hat davon gesprochen, ehe sie verschwunden ist."

Snape lehnte sich nach vorne. „Heaven ist verschwunden? Wohin?"

Ich zuckte die Schultern. „Das hat niemand wirklich mitbekommen."

Snape überlegte etwas ehe er mich wieder fixierte. „ Die Nazdoug sind die dunkelsten magischen Geschöpfe, die man heutzutage in den Wäldern finden. Sie sind keine Menschen, keine Tiere. Sie sind hässlich wie die Nacht und zeigen immer nur ihr halbes Gesicht. Sie umzubringen ist wahrscheinlich unmöglich, jedenfalls hab ich noch nie davon gehört."

Eine Gänsehaut überzog meine Arme und kroch meinen Rücken hinunter.

„Sie sind nicht besonders intelligent. Das einzige wovon sie etwas verstehen ist jagen und töten." Snape starrte mich an. „Man kann sagen, darin sind sie ziemlich gut. Die Besten."

„Und... Ähm... Und warum sagt Heaven ich soll mich mit diesen Geschöpfenbeschäftigen?", fragte ich stotternd.

Snape starrte ins Leere. „Das frage ich mich auch."

LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt