Kapitel 36

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• T R A V I S •

"Mommy?"

Mein sechsjähriges Ich geht die Treppe herunter und sieht sich nach seiner Mutter um. Peyton schläft tief und fest in unserem Zimmer, während ich kein Auge zu machen kann.

Aus der Küche ertönt ein dumpfes Geräusch. Neugierig läuft er den Flur entlang und folgt dem kleinen Lichtschein, der aus der Küche kommt.

Es ist mitten in der Nacht, das Licht sollte eigentlich gar nicht an sein. Wahrscheinlich sollte er lieber Hudson wecken, dass er nachschaut.

Leise schleicht er auf Zehenspitzen, um vorsichtig die Tür zu öffnen. Auf dem Boden hockend schaut er sich in der Küche um. Niemand ist auf dem ersten Blick zu sehen.

Der Kühlschrank ist einen Spalt geöffnet. Es wirkt, als wäre jemand hier gewesen, ist dann aber geflüchtet.

Doch dann entdeckt er seine Mutter auf dem Boden liegend. Verwundert richtet er sich auf und geht auf sie zu. Unter seinen Füßen wird es feucht, als er neben ihr steht. Eine Packung Milch liegt ausgelaufen neben ihnen.

Der kleine Junge legt seine Hand auf ihre Schulter und versucht sie wach zu rütteln. "Mommy, wach auf. Du kannst nicht auf dem Boden schlafen. Es ist kalt."

Ihr Körper ist unterkühlt. Er spürt es unter ihrem Schlafkleid. Sie ist so unglaublich kalt.

"Bitte, wach auf!"

Mein junges Ich ruft nach seinem Stiefvater. Er muss ihm helfen, seine Mutter ins Bett zu bringen. Sie muss erwärmt werden.

Doch Hudson kommt nicht. Egal, wie oft er ruft, er bleibt allein mit seiner leblosen Mutter in der Küche.

Unter Tränen versucht er, sie zu wecken, doch sie möchte einfach nicht die Augen aufmachen. Mein junges Ich bekommt es mit der Angst zu tun.

"Hilfe, bitte!"

Jemand rüttelt mich wach. Als ich die Augen aufreiße, sehe ich mich verstört um. Ich bin in meinem Schlafzimmer, neben mir liegt Josh, der mich besorgt betrachtet.

"Du hattest einen Albtraum", flüstert er und streichelt mir beruhigend über die Wange. Seufzend schließe ich wieder die Augen und massiere mir die Stelle zwischen meinen Augenbrauen.

"Verdammte Scheiße!"

"Möchtest du darüber reden?"

Ich rücke zu ihm heran und drehe mich mit dem Rücken zu ihm herum. Josh legt seine Arme um mich und küsst mich auf die Schläfe.

"Ich habe meine Mutter tot auf dem Boden gefunden. Sie lag in der Küche, mitten in der Nacht. Und niemand war da, um mir zu helfen. Ich konnte sie nicht retten, weil ich nur ein blödes Kind war."

Er streicht mir langsam über den Arm. "Es war nur ein Traum, Travis. Aber, ähm, was denkst du, was es zu bedeuten hat? So war es nicht gewesen."

Seufzend schmiege ich mich enger in seine Umarmung. "Keine Ahnung. Aber das träume ich oft so. Ich weiß wirklich nicht, wieso."

Für einen Moment ist es still. Es ist unangenehm, aber ich möchte auch nicht weiter darüber reden. Es macht mich kaputt.

Vor dem Fenster stürmt es. Der Wind peitscht gegen das Glas. Es ist das passende Wetter, um sich im Bett zu verkrümeln. Doch gerade würde ich am liebsten aufstehen und mich mit all dem Alkohol besaufen, den ich zuhause hätte. Nur um meinen Verstand zu vernebeln.

Aber gleichzeitig fühle ich mich in Joshs Armen unglaublich wohl und geborgen.

"Travis, würdest du dich kurz zu mir umdrehen?", bittet er mich. Zögerlich gehe ich seiner Bitte nach und wende mich in seiner Umarmung zu ihm um.

Kein Blatt Papier würde zwischen uns passen. Meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt und so betrachte ich den Blondhaarigen im Dunkeln.

Selbst jetzt funkeln seine Augen und bieten somit eine besondere Lichtquelle.

Sein Knie streift meines und ich habe plötzlich das Gefühl, unter Strom zu stehen.

Er legt seine Hand auf meine Wange. Ich lehne mich in diese Geste und schließe nochmals die Augen. Dann trifft mich sein heißer Atem, bevor er mich ganz sanft küsst.

"Der Todestag nähert sich", murmle ich an seinen Lippen und spüre, wie er leicht zusammenzuckt. Doch er sagt nichts, sondern wartet ab. "Würdest du mich auf den Friedhof begleiten, Josh?"

"Du...möchtest, dass ich mit dir an das Grab deiner Mutter komme?", hinterfragt er ungläubig, als könne er nicht fassen, was er gehört hat.

Als ich aber nicke, drückt er mich nur ganz leicht an sich und lehnt seine Stirn gegen meine. "Du scheinst mir wirklich zu vertrauen, Travis."

Ein kleines Schmunzeln umspielt meine Lippen. "Natürlich tue ich das, Shorty. Du gibst mir den Halt, den ich an diesem Tag brauchen werde. Und ich möchte dich einfach an meiner Seite haben, verstehst du?"

In den letzten Jahren war ich der festen Ansicht, dass ich zu kaputt bin, um das mich jemand wirklich lieben könnte und bei mir bleiben würde. So habe ich mich nie auf etwas eingelassen, das einer Beziehung gleichen könnte.

Ich wollte niemandem mehr ein solch großes Vertrauen schenken, wenn er mich doch wieder verlassen könnte. So wie es meine Mutter tat. Ein einziger Mensch kann so viel in dir kaputt machen, obwohl er das eigentlich gar nicht will, und je wichtiger er dir ist, desto stärker und leichter kann er dich verletzen.

Aber Josh hat meine Ansichten verändert. Meine Mauer durchbrochen. Das, was Gavin all die Jahre versucht hat, hat dieser Mann in einer so kurzen Zeit geschafft, dass es mich völlig durcheinandergebracht hat.

Mit ihm möchte ich mein Leben verbringen, und mit niemandem sonst.

"Hast du es dir eigentlich überlegt?"

Ich muss es nicht aussprechen, Josh weiß, wovon ich spreche. Er dreht sich seufzend auf den Rücken und zieht mich mit sich. Meinen Kopf auf seiner Brust ablegend, entspanne ich bei seinem Herzschlag.

"Ich würde mit dir zusammenleben wollen", sagt er leise, doch ich verstehe jedes Wort. Auch, dass es keine direkte Zusage ist. Allerdings auch keine Absage. "Aber?" "Würdest du diese Wohnung aufgeben wollen?" Verwundert blinzle ich. "Was hast du gegen meine Wohnung?" "Sie ist an deiner...aktiven Vergangenheit angeknüpft", murmelt er und ich kann mir schon denken, dass er jetzt auf der Lippe kaut.

"Aktive Vergangenheit also?", wiederhole ich amüsiert und lasse meine Hand über seine nackte Haut wandern. "Das stört dich? Deshalb lässt du mich wegen einer Antwort zittern?" "Ehrlich gesagt habe ich wirklich etwas dagegen, Travis. Was sagst du dazu?" "Nun", meine Finger zeichnet die Linie an seinem Hüftknochen nach, "Wenn du dich deswegen hier unwohl fühlst, dann kann ich dir natürlich nicht den Wunsch abschlagen."

Als er daraufhin schweigt, hebe ich den Kopf und sehe ihn an. "Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?"

"Ich liebe dich, weißt du das?"

Grinsend stütze ich mich auf und lehne mich zu ihm herunter. Wir schließen beide unsere Augen, bevor sich unsere Münder berühren. "Josh, ich liebe dich so sehr. Und ich würde alles für dich tun", hauche ich an seinen weichen Lippen, küsse ihn dann wieder.

Seine Hand legt sich in meinen Nacken, die andere wandert über meinen Rücken nach unten. Mein Körper erhitzt sich langsam, als ich spüre, wie seine Finger in meine Boxershorts verschwinden.

Doch wir gehen nicht weiter. Es bleibt nur bei der lieblichen Liebkosung, bei den Küssen. Irgendwann lösen wir uns voneinander. Ich lege meinen Kopf wieder auf seine Brust und nehme seine Hand, hauche einen Kuss auf den Handrücken. Von seiner Wärme und seinem Duft umhüllt, schlafe ich ein.





Travis macht es ziemlich zu schaffen, dass sich der Todestag seiner Mutter nähert. Aber Josh wird ihm zur Seite stehen

Possessive [manxman] | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt