Kapitel 38

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• T R A V I S •

Heute ist meine Laune so tief gesunken, dass sie wahrscheinlich am Erdkern kratzt. Ich bin genervt von mir und angepisst wegen alles, was sich bewegt. Wenn ich so schlecht gelaunt bin, sollte man mir lieber aus dem Weg gehen. Zum Pech der Studenten wissen sie es aber nicht.

"Guten Morgen, Chef. Den Wecker wohl heute nicht gehört?", begrüßt mich Oliver, einer der besagten Kreaturen, von weitem mit viel zu guter Laune. "Nope, weil er in deinem Arsch steckt, Großklappe", blaffe ich ihn an. Normalerweise pflege ich einen für meine Verhältnisse eher freundschaftlichen Umgang zu meinen Mitarbeitern. Aber heute fällt es mir doch ziemlich schwer. Vor allem bei dieser Ratte hier.

Wenn ich schon mal zu spät zur Arbeit komme, was für mich nicht gerade üblich ist, brauche ich niemanden, der dazu einen dämlichen Spruch drückt. Heute erst recht nicht.

Ich bin so verdammt angespannt, weil der Todestag immer näher rückt. Und ich weiß absolut nicht, wie ich damit umgehen soll. Klar, ich habe Josh, der mich unterstützt. Und ich bin wahnsinnig froh, ihn zu haben. Aber in meinem Kopf dreht sich alles, ich kann mich kaum auf irgendetwas konzentrieren. Und vor allem bin ich so wahnsinnig müde, da ich in den letzten Nächten kaum geschlafen habe.

Dieser eine Traum, er verfolgt mich. Der leblose Körper meiner Mutter liegend auf dem kalten Küchenboden. Wenn ich nur daran denke, durchzieht sich eine Gänsehaut über meinen Körper.

Seufzend reiße ich einem Bauarbeiter die Unterlagen aus der Hand und verschaffe mir einen Überblick über die Entwicklung der derzeitigen Baustelle. Die Zahlen und Worte verschwimmen vor meinen Augen, was ich zu ignorieren versuche.

"Entschuldigung. Sind Sie Mr. Payne?"

Ich hebe den Blick und entdecke ausgerechnet einen spießig aussehenden Anzugträger, der mich kritisch mustert. Der hat mir gerade eben noch gefehlt.

"Kann ich etwas für Sie tun?"

"Ihr Auftraggeber hat mich hergeschickt, um nach dem Rechten zu schauen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten Sie mich eventuell herumführen?"

Mit kritischem Blick verschränke ich die Arme vor der Brust und räuspere mich. "Also normalerweise gehört es sich, sich zu allererst seinem Gegenüber vorzustellen, Sir", weise ich ihn zurecht, warte aber auf keine Antwort.

"Tara, Beifuß!", rufe ich eine Studentin herbei, die sofort neben mir steht. Ich bin stolz auf meine gute Erziehung gegenüber meinen Arbeitern. "Was gibt's, Chef?", fragt sie auch sogleich.

Die Augen des Spießers wandern über den Körper seines Gegenübers - ihm scheint zu gefallen, was er sieht. Auch der jungen Frau scheinen die Blicke nicht zu entgehen, unangenehm scheint es ihr aber durchaus nicht zu sein.

Großer Gott! Das könnt ihr euch gleich abschminken. Hier wird nicht der Lolli des anderen gelutscht, Tara! Vor allem nicht, wenn ein so wichtiger Auftrag dazwischen ist.

Augenblicklich bereue ich es, sie hergerufen zu haben. Aber nun ist es nicht mehr zu ändern. Um wenigstens dieser Peinlichkeit entkommen zu können, stelle ich die beiden sich vor und teile dem Kerl mit, dass er sich an sie wenden kann, falls er Fragen hätte. Immerhin ist sie auch schon seit einiger Zeit in unserem Unternehmen, dass sie nun ihr Wissen unter Beweis stellen kann.

Bevor die beiden ihre Runde beginnen können, halte ich sie zurück. "Tara, verspiel nicht mein Vertrauen in dir, verstanden?", sage ich leise und sie nickt, ohne zu zögern. "Natürlich nicht, Mr. Payne. Soll ich später in Ihr Büro kommen?" "Das wäre großartig. Berichte mir über das hier, in Ordnung?"

*

"Verdammte Scheiße", brumme ich genervt und werfe meinen Stift beiseite. Vielleicht hätte ich mir für heute freinehmen sollen. Oder für die nächsten Tage. Aber so einer bin ich nun mal nicht. Selbst wenn ich gerade nicht weiß, wo mir der Kopf steht, würde ich nicht meine Arbeit vernachlässigen. Gleichzeitig sieht es aber so aus, als würde ich wohl länger im Büro bleiben müssen, um meine Fehler auszubessern.

Ich greife nach meinem Handy und öffne bei WhatsApp den Chatverlauf mit Josh. Zufälligerweise ist er tatsächlich online.

Travis [09:56 Uhr]: Ich vermisse dich

Travis [09:57 Uhr]: Bisher läuft alles echt beschissen...

Travis [09:57 Uhr]: Hätten wir heute nicht im Bett bleiben können?

Auf seine Antwort wartend wende ich mich auf meinem Bürostuhl zum kleinen Kühlschrank um, um mir etwas zu trinken rauszunehmen. Die Flasche Wasser an meinem Mund lese ich seine eingetroffene Nachricht.

Shorty [09:58 Uhr]: Hör auf damit. Sonst möchte ich sofort bei dir sein. In deinen Armen liegend

Shorty [09:58 Uhr]: Was ist denn los? Du scheinst ziemlich neben der Spur zu sein. An einigen Tagen wirkst du gut gelaunt, dann aber ist es, als würdest du in einem tiefen Loch stecken

Travis [09:59 Uhr]: Meine Mom. Ich...

Ein Klopfen reißt mich aus den Gedanken. Als ich aber den Kopf hebe, kann ich nicht fassen, wer am Türrahmen lehnt. "Was zur Hölle..."

"Schön dich zu sehen, mein Sohn", begrüßt mich mein Stiefvater lächelnd und drückt sich ab. Ich stehe auf und gehe auf ihn zu. Es tut gut, ihn zu sehen. "Hudson, was tust du denn schon hier?", frage ich ihn, als er mich in eine Umarmung zieht.

"Ich habe einen Flug eher genommen. Naja, ich konnte nicht abwarten, wieder bei dir und Peyton zu sein", meint er und klopft mir väterlich auf den Rücken. Doch als er sich von mir lösen möchte, drücke ich ihn wieder an mich. "Travis?"

"Ich habe dich so vermisst, Dad", gestehe ich und dann überkommt es mich. Schluchzend presse ich mich an Hudson, der mich tröstend auffängt. "Hey, Travis...Mein Großer, bitte. Ich kann dich nicht so sehen. Da muss ich auch noch anfangen zu weinen", sagt er und streicht mir beruhigend über den Hinterkopf. "Ich bin doch jetzt da. Und ich bleibe auch erstmal, okay? Wir stehen das gemeinsam durch."

Jetzt, da er bei mir ist, wird mir gerade erst bewusst, dass ich Hudson genauso sehr bei mir brauche, wie ich es bei Josh tue. Sie sind meine Familie. Und nur sie können mich unterstützen.

"Du hättest mich anrufen sollen, wenn dir der Todestag doch so nahe geht. Nein, eigentlich hätte ich es wissen sollen. Du bist jedes Jahr kurz davor wie ein anderer Mensch", meint er und löst sich von mir. Einfühlsam mustert er mich. "Wahrscheinlich machst du deine Mitmenschen durch deine ständigen Stimmungsschwankungen wahnsinnig. Nicht wahr?"

Mir ist zwar nicht danach, aber er zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Schulternzuckend lege ich einen Arm auf seine Schulter, was er erwidert. "Könnte sein. Ich weiß einfach nicht, wo mir der Kopf steh...Ach Scheiße, Josh!"

Schnell umrunde ich meinen Schreibtisch und schaue auf mein Smartphone. Mein Freund hat mir einige weitere Nachrichten geschickt, in der er sich um mich sorgt. Ich schreibe ihm, dass später eine Überraschung auf ihn zuhause warten würde.

"Ist etwas passiert?"

"N-nein. Wir haben miteinander geschrieben, bevor du reinkamst. Er versucht, mir beizustehen. Aber ihm mache ich es wahrscheinlich auch ganz schön schwer."

Mein Stiefvater kommt lachend auf mich zu und stützt sich auf dem Stuhl ab, der vor dem Tisch steht. "Travis, am Telefon vor ein paar Tagen wirktest du so glücklich. Er scheint ein großartiger Mann zu sein, wenn du ihn übermorgen mitnehmen möchtest. Ich denke, er wird es dir nicht übel nehmen, dass du zurzeit ein wenig..."

"Nervenaufreibend bin? Naja, unsere Beziehung beruht nicht gerade auf Romantik, Hudson. Josh musste schon so einiges einstecken", entgegne ich und fahre meinen Computer herunter. "Aber du wirst dir ja schon bald ein eigenes Bild von ihm machen können." "Und ich bin sehr gespannt auf ihn. Sag mal", er sieht sich im Büro um, "wenn das dein Vater sagt, ist es nicht sonderlich angemessen, aber wie wäre es, wenn du heute mal blau machen würdest? Wir haben einige Zeit zusammen nachzuholen."

"Das klingt wahnsinnig gut", stimme ich schmunzelnd zu und packe meine Sachen zusammen.




Wen haben wir denn da? Hudson ist überraschenderweise ein Tag früher gekommen als erwartet. Travis freut sich darüber... 🤗

Und vor allem Josh wird es sicherlich freuen, so schnell auf seinen Schwiegervater in Spe zu treffen 😂

Possessive [manxman] | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt