1. „Ich heiße Elliana."

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„Mama?", rief ich durch das Haus.
Sekunden vorher polterte es total laut und ein kurzer Schrei war zu hören. Ich rannte aus meinem Zimmer, um sicher zu stellen, dass es meiner Mama gut geht.
„Mam...", ich stockte, „Oh mein Gott."
Mein Atem stockte. Ich stand unter Schock. Mein Körper wehrte sich gegen meine Anweisungen, die mein Gehirn machte.
„Mama?", flüsterte ich in der Hoffnung, dass sie endlich reagierte.
Als darauf immer noch keine Antwort kam, lief ich zu ihr. Ihr Gesicht war kreidebleich und ein tiefer Schnitt prägte ihr Gesicht. Aus diesem tropfte jede Menge dunkelrotes Blut.
Ich rüttelte ihren Körper und sprach sie die ganze Zeit an. Sie reagierte nicht. Ich merkte wie meine Hände immer nasser wurden und mir die Schweißtropfen über die Stirn liefen.
„Du muss einen Notruf absetzen.", flüsterte ich mir zu, wie eine Anweisung.
Ich rannte in mein Zimmer und holte mein Handy. Mit zittrigen Händen tippte ich die Zahlen ,112' ein. Ich drückte die grüne Taste auf dem Display und führte mein Handy an mein Ohr.
Es wählte einmal. Es wählte zweimal.
„Feuerwehr Notruf, was kann ich für Sie tun?", dröhnte eine Stimme durch das Telefon.
„Meine Mama... umgekippt... ist... ohnmächtig.", stotterte ich herum.
„Ganz ruhig, wo befinden Sie sich?"
„In Köln, Rosen Allee 27."
„Ich weiß... weiß nicht was ich tun soll."
„Ein Rettungswagen ist schon unterwegs. Wie ist denn Ihr Name und Ihr Alter?", fragte die mir unbekannte Stimme.
„Elli... Elliana und 16 Jahre alt."
„Ich bin Florian. Darf ich noch Du sagen?"
Ich nickte bis ich bemerkte, dass er das nicht sehen würde.
„Ja."
„Hör zu Elliana. Ist sie ansprechbar?"
„N... Nein."
„Atmet deine Mama noch?"
„Ich.. ich weiß nicht."
„Dann geh mit deinem Kopf über ihren Mund bzw. Nase und dann spürst du es, wenn sie atmet.", erklärte er mir.
Ich nickte. Ich drehte meine Mama auf den Rücken und hielt mein Kopf über ihren Kopf. Mein Gesicht bekam einen warmen Luftzug ab.
„Sie atmet.", rief ich, „Sie atmet.", wiederholte ich nochmal.
„Das ist sehr gut. Dann legst du sie in die stabile Seitenlage. Weißt du wie das geht?"
„J... Ja."
Ich legte sie in die stabile Seitenlage und nahm mein Handy wieder in die Hand.
„Ich bin fertig."
„Sehr gut. Ich sehe gerade der Rettungsdienst ist gleich da." , er machte eine kurze Pause, „Kannst du mir schonmal sagen, ob sie irgendwelche Allergien oder Medikamente nimmt?"
„Ähhh... Nein, sie nimmt keine."
„Das ist sehr gut. Ist sie krank gewesen?"
„Ihr ging es heute nicht so gut. Sie hat gesagt sie hat Schmerzen an der Niere."
„Weißt du welche Seite?"
„Ich... ich glaube rechts."
Immer noch saß ich auf dem Boden und starrte meine Mama an. Ein Klingeln riss mich aus meinem Gedanken.
„Hier ist der Rettungsdienst."
„Es hat geklingelt."
„Dann gehe zur Tür und gebe mir dann den Notarzt."
„Okay."
Ich rappelte mich auf und lief zur Tür. Meine Hände zitterten immer noch und ich fühlte mich schlapp, unwohl und hilflos. Meine Mama lag im Wohnzimmer auf den Boden, ich musste ihr helfen und einen Notruf absetzen.
Ich drückte die Türklinke runter. Es blickten vier verschiedene Gesichter zu mir, die mich versteifen ließen.
„Hast du den Notruf gewählt?", fragte ein Mann mit braunen, kurzen Haaren.
Ich drückte ihm einfach mein Handy in die Hand. Ich hörte wie Florian anfing zu erklären.
„Ich bin Yannik, wo ist denn die Verletzte?"
Ich zeigte zum Wohnzimmer. Immer noch stocksteif und voller Panik, ließ ich die Leute rein. Ich machte die Tür zu und sah hinter den vier Leuten hinter her. Auf einmal blieb Einer stehen. Ich hörte schon das Gewusel im Wohnzimmer, das Klappern der Utensilien und die Schritte auf dem Laminat.
„Hi, ich bin Franco. Wie heißt du denn?"
Ich sagte nichts. Mir ging es einfach nur scheiße. Meine Mama lag auf dem Boden im Wohnzimmer. Es stehen vier Sanitäter bzw. Ärzte in unserer Wohnung. Meine Angst ließ mich nicht in Ruhe. Ich war einfach überfordert.
„Geht es dir gut?", kam er nun näher und wollte mich stützen.
Mein Körper führte eine Kurzschlussreaktion aus und wich zurück.
„Mir geht es gut.", flüsterte ich.
Meine Hände schwitzten immer mehr und mein Kopf brummte.
„Asystolie. Reanimation beginnen."
Reanimation. Reanimation.
„Oh mein Gott.", sagte ich leise.
Mir wurde schwindelig. Trotzdem rannte ich ins Wohnzimmer. Ich sah wie die drei Personen über meiner Mutter hingen und sie versuchten, zurück ins Leben zu holen. Lauter Kabel hingen schon an ihrem Körper, was meinem Bauch nicht bekam.
Auch Franco stand jetzt wieder hinter mir.
Ich bin Schuld. Ich hätte mich mehr kümmern sollen. Ich bin Schuld.
„Ich bin Schuld." flüsterte ich.
Es sammelten sich Tränen in meinen Augen. Es drehte sich alles und mein Kopf brummte.
Ich bin Schuld.
Meine Beine ließen nach. Sie waren wie Wackelpudding. Ich spürte warme, große Hände unter meinen Schultern.
„Ich bin Schuld."
Ich weinte. Mein Körper arbeitete nicht mehr, wie ich es wollte.
„Setz dich auf die Couch."
Der Mann, der Franco hieß, führte mich zur Couch und drückte mich bestimmt runter.
„Wir haben einen Sinusrhythmus.", hörte ich den Mann sagen, der die Aufschrift Notarzt auf seiner Jacke hatte.
Franco setzte sich neben mich und versuchte an mein Handgelenk zu kommen. Ich zog meine Hand zurück. Er sollte mich nicht anfassen.
„Geht es dir wirklich gut?", fragte er nun.
„Ich... ich weiß nicht.", flüsterte ich und starrte zu meiner Mama.
„Hey, sie ist wieder stabil. Mach dir keine Sorgen. Du bist daran nicht Schuld."
„Ich bin Schuld.", sagte ich leise, doch dominant.
Meine Hände hatte ich in meinem Schoß gebettet. Franco versuchte mich weiter zu beruhigen, doch meine Schuldgefühle waren zu groß. Ich hätte es früher erkennen können, dass es ihr nicht gut geht.
„Sie ist soweit stabil. Yannik hol die Trage. Micheal kommst du kurz zurecht?", wies der Notarzt an.
„Ja, geh nur."
Der Notarzt kam auf mich zu und hockte sich vor mir hin, sodass ich auf ihn herunter schaute. Ich sah wohl sehr verheult aus, denn sein mitleidiger Blick war kaum zu übersehen.
„Ich bin Alex und bin der Notarzt. Willst du mir deinen Namen verraten?"
Ich wusste nicht, ob ich es machen sollte. Ich wollte mit denen nicht sprechen. Ich kam damit nicht zurecht. Wie mit der restlichen Situation.
„Sie hat noch gar nichts gesagt, außer dass sie Schuld ist.", stellte Franco klar. Er versuchte dabei nur zu diesem Alex zu reden. Alex nickte bloß und guckte mich dann wieder an.
„Ich heiße Elliana.", kam leise und mit einer krächzenden Stimme heraus.
„Elliana, wie alt bist du?"
„16."
Alex' Hände wanderten zu meinen Oberschenkel.
„Wie geht es ihr?", flüsterte ich.
„Ihr geht es wieder gut. Sie ist stabil. Aber wie geht es dir? Ich habe gesehen, dass du ein bisschen weggetreten bist."
„Überfordert... Angst...", stotterte ich wieder.
„Darf ich kurz dein Puls fühlen?"
Ich nickte leicht, fast unerkennbar. Er führte sein Zeige - und Mittelfinger zu meinem Handgelenk.
„Wovor hast du Angst?", fragte er nun.
Ich blickte zwischen allen Beteiligten im Raum umher.
„Vor... vor allem, hier.", ich stockte, „Es tut mir leid."
„Was tut dir leid?"
„Es... Es soll nichts gegen... gegen euch sein."
„Keine Sorge, keiner nimmt dir das übel.", er lächelte mich an und nahm nun auch seine Finger von meinem Handgelenk und streichelte mir über den Rücken.
„Du bist ein bisschen schnell unterwegs.", er guckte zu Franco, „Ich denke mal du hattest/hast einen Schock."
„Glaub ich auch.", stimmte Franco zu.
„Können wir Jemanden anrufen? Ich würde dich ungern allein lassen. Ich glaube, das war alles ein bisschen zu viel für heute."
„Meinen Onkel."
Alex gab mir mein Handy und ich suchte seine Nummer raus.
„Gib mal her, ich werde ihn anrufen.", sagte Franco. Ich gab ihm stumm mein Handy.
„Was hat meine Mama denn?", fragte ich nun.
Ich sah mittlerweile auch schon wie sie auf die Trage gehoben worden ist und rausgeschoben wird.
„Ich denke eine fortgeschrittene Sepsis durch eine verschleppte Blasenentzündung."
Ich blickte durch den Raum.
„Ich bin wirklich Schuld. Ich... ich hätte sagen sollen, dass sie sich ausruhen soll."
Meine Tränen sammelten sich wieder.
„Du bist auf gar keinen Fall Schuld. Hörst du? Auf gar keinen Fall. Du hast alles richtig gemacht. Wirklich alles."
Ich nickte wie in Trance.
Ich bin nicht Schuld. Er sagt ich bin nicht Schuld.
„Dein Onkel kommt gleich.", er wendete sich zu Alex, „Ich werde hier mit ihr warten und komme dann hinterher."
„Sehr gut."
„Elliana, glaub mir es wird sich gut um deine Mama gekümmert und du bist wirklich nicht Schuld."
Er lächelte mich an und strich mir über den Rücken. Er stand auf.
„Franco wird sich weiter um dich kümmern. Alles wird gut."

Habt ihr Vorschläge oder Wünsche? Dann könnt ihr mir diese gerne in die Kommentaren schreiben. Gern könnt ihr mir auch eure Meinung schreiben.
Bleibt gesund und habt noch einen schönen Tag.

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