23. Januar 2020, 19:36 Uhr
Mit Blaulicht und Martinshorn kamen die Rettungskräfte auf der Hochzeitsfeier an. Bereits zweihundert Meter vor der angegebenen Adresse waren schon ein Haufen Autos rechts und links auf dem Parkplatz zu sehen.
Ihre Einsatzmeldung: Bewusstlose Person.
„Hochzeitsfeier. Super. Das wird ja interessant.", sagte Phil genervt und streifte sich die blauen Handschuhe an.
Er wusste, dass laufende Hochzeitsfeiern immer ein Kampf waren. Viele betrunkene beziehungsweise angetrunkene Menschen. Viele Menschen, die einen nicht arbeiten lassen. Viele Menschen, die einem zum Alkohol verleiten wollen. Und mitten drin die verletzte Person.
Das NEF-Fahrzeug hielt hinter dem RTW an. Phil riss schwungvoll die Tür auf.
Lange musste er die Person nicht suchen, denn eine aufgelöste Frau kam ihm entgegen.
„Sie müssen schnell mitkommen. Mein Mann.", sagte sie hektisch.
Phil bemerkte, dass sie die Braut sein musste. Sie trug ein weißes, langes Hochzeitskleid und hielt dieses mit ihren Händen hoch, um schneller laufen zu können.
„Beruhigen Sie sich. Wie heißen Sie?"
„Maier. Denise Maier.", stotterte sie, „Aber Sie müssen mitkommen. Mein Mann. Er ist umgekippt."
„Frau Maier. Atmen Sie durch. Was ist passiert? Und wo befindet sich ihr Mann?"
„Dahinten."
Sie führte das Team, um Phil Funke, in eine große Halle, wo Phil tatsächlich schon öfter war und Patienten einsackte.
„Er hat irgendwann einfach keine Luft mehr bekommen und dann ist er einfach umgekippt.", erklärte sie nun.
Beruhigend strich er der jungen und frisch verheirateten Dame über den Arm.
„Hat ihr Mann denn Allergien? Vorerkrankungen? War er krank die letzten Tage? Operationen in letzter Zeit?"
„Nein. Nein. Er ist kerngesund."
Sie betraten die Halle. Dumpfe Geräusche gefüllt mit feiernden Leuten drang zu ihnen durch. Der Gestank von Alkohol kroch in ihre Nasen.
„Wie heißt ihr Mann?", fragte er als er die, am Boden liegende, regungslose Person sah.
Drum herum standen einige betrunkene Personen, die mit Alkohol in der Hand zu dem Mann herunter schauten.
„Thomas. Thomas Maier."
„Okay. Treten Sie bitte alle ein Stück zurück.", bat der Notarzt, „Franco."
Franco erkannte was los war und versuchte nun die Menschen von dem Patienten wegzubekommen.
„Herr Maier, hören Sie mich? Hier ist der Rettungsdienst."
Leicht schlug er den Mann auf die Wange.
Keine Reaktion.
Nebenbei maß er fachlich den Puls am Handgelenk.
„Puls ziemlich schwach. Ich brauch Monitoring, Sättigung und Druck."
„Herr Maier."
Er rubbelte ihm leicht übers Brustbein. Ein leichtes Stöhnen entfuhr dem Mann im Anzug.
„Herr Maier, machen Sie mal die Augen auf."
Seine Augen flackerten und dann öffneten sich die Augen komplett.
„Druck und Sättigung ziemlich niedrig. Puls tachykard.", gab Dustin seine Übergabe.
Mittlerweile wurde sein teuerer Anzug aufgeschnitten.
„Herr Maier, können Sie mir sagen welcher Tag heute ist?"
Er blickte nur verloren, fast orientierungslos, in der Umgebung herum.
„Heute ist sein Hochzeitstag. Der braucht nur ein Bier.", sagte ein betrunkener Gast.
Wer weiß wie lange diese Feier schon lief und wie viel die einzelnen Personen getrunken hatten. Vielleicht auch der Bräutigam.
„Frank, hör doch mal auf! Ihm geht es nicht gut!"
„Herr Maier, haben Sie etwas getrunken?"
„Nein, der Spießer hat nichts getrunken! Vielleicht sollte er aber mal was trinken."
Ein weiterer Gast grätschte in die Behandlung ein. Franco versuchte zwar die Meute in Schach zu handeln, aber das stellte sich als schwierig heraus.
„Bleiben Sie zurück! Oder ich muss die Polizei rufen!"
„Bloß nicht!", sagte der Eine und trat zurück.
Es hatte tatsächlich geholfen.
Jedoch hatten sie keine lange Pause. Die Sauerstoffsättigung ging runter und der Druck wurde niedriger.
„Mist. Gebt ihm Sauerstoff. Drei Liter."
Er tastete den Hals ab.
„Die Luftröhre schwillt zu."
„Anaphylaktischer Schock?", fragte Dustin.
„Denke schon. Ich möchte ihn sofort in Auto haben. Micheal zieh' mir schon Mal für den Notfall Adrenalin auf. Der könnte jeden Moment die Fliege machen."Zwanzig Minuten später kam das Rettungsteam mit einem kritischen Patienten in der Klinik an. Sie konnten den anaphylaktischen Schock zwar schon behandeln, aber wirklich besser wurde der Zustand nicht.
Die Hochzeitsmeute war bereits am Feierort Feuer und Flamme mit ins Krankenhaus zu kommen. Jedoch haben die Rettungskräfte inständig darum gebeten, fast verboten, nicht hinterher zu fahren. Nur die Ehefrau durfte mitfahren. Sie hatte sich starke Vorwürfe und Sorgen gemacht. Außerdem war ihr das Verhalten der Gäste peinlich.
„Frank Maier, fünfunddreißig, Verdacht auf anaphylaktischen Schock. Werte momentan relativ stabil. Werte sind dann abgefallen. Nach Gabe von Adrenalin wieder stabil. War nicht reanimationspflichtig. Keine Allergien oder Vorerkrankungen. Er hat anscheinend auch nichts ungewöhnliches zu sich genommen. Müsst ihr mal gucken."
Nach der Übergabe kam die Umlagerung und schon war das Rettungsteam überflüssig und sie konnten gehen.
Als sie mit ihren Utensilien die Tür öffneten, drang lautes Gelächter in die Ohren der Rettungskräfte.
„Was ist denn hier los?", fragte Franco.
„Ich habe die Vermutung, dass einige Partygäste unsere Anweisung nicht befolgt haben.", sagte Phil genervt.
Das ging gar nicht. Eine Notaufnahme war auf gar kein Fall ein Platz für feiernde Leute, vor all Dingen, nicht für Betrunkene.
Ihre Vermutung verstärkte sich als sie die feiernde Meute erblickten und einige Menschen wieder erkannten. Sie waren schon bei der Erstversorgung störend gewesen.
Eine Schwester versuchte bereits den Tullmuld zu unterbrechen und die feiernden Gäste rauszuschmeißen. Jedoch ohne Erfolg.
Sie jubelten. Setzten die Bierflasche an. Verteilten mit Glitterbomben Glitter. Im nächsten Moment knallte sogar ein Sektkorken.
Franco griff Schwester Linda direkt unter die Arme.
„Es tut mir leid, aber sie müssen die Klinik verlassen.", rief Franco.
Jedoch reagierte die Meute kaum. Sie jubelten weiter. Lachten. Quatschten. Schrien.
Eine weitere Konfetti-Kanone ging in die Lüfte und verteilte goldene Partikel auf dem Boden.
Phil konnte es nicht glauben. Diese Situation war eine Katastrophe. Die Menschen im Krankenhaus brauchten Ruhe und nicht feiernde Leute, die auch noch betrunken waren.
Der Blick schweifte durch den Warteraum der Klinik am Südring und Phil sah ein Mädchen, nicht älter als achtzehn, auf dem Boden zwischen Bänke und Empfangstresen sitzen. Sie wippte vor und zurück und hatte ihre Hände schützend über ihre Ohren gelegt.
„Was ist mit dem Mädchen?", rief er gegen die Lautstärke.
„Ihre Mutter wurde eingeliefert. Ist gerade beim Röntgen.", die Schwester atmete tief ein, „Wir gehen von häuslicher Gewalt aus. Sie haben beide nichts gesagt, aber die Mutter hat zahlreiche Hämatome und ihre Verletzung sieht auch nach Fremdeinwirkung aus."
Bevor er aber weiter fragen konnte, verschwand Linda in der Meute und versuchte sie rauszubekommen.
Etwas perplex ging er zur offensichtlich panischen Person.
„Hey, ich bin Phil."
Keine Reaktion. Sie wimmerte nur leise vor sich hin und wiegte ihren Körper vor und zurück. Als würde sie sich damit beruhigen wollte.
Immer noch musterte der junge Notarzt, das völlig aufgelöste Mädchen.
Er sah wie eine Träne über ihre Wange rollte.
„Kannst du mich mal angucken?"
Immer noch keine Reaktion. Panisch zog sie die Luft überholt in ihre Lunge als ein weiterer Korken knallte.
Sie zuckte zusammen.
Phil ergriff die Situation. Er wusste, dass der eine Behandlungsraum frei war. Er nahm sie in Brautstil hoch und trug sie in den Raum. Sie hatte die Augen zusammengekniffen und hielt immer noch ihre Ohren zu. Franco folgte seinem Notarzt.
„Was ist los?", fragte er sobald sie im Behandlungsraum waren.
„Sie ist total panisch."
Er setzte sie auf der Trage ab, wo das Mädchen die Beine an sich zog.
Phil legte seine schwere Jacke ab und packte eine Hyperventilationsmaske aus.
„Hey, shhh..., du bist in Sicherheit."
Er setzte sich neben das Mädchen und strich ihr beruhigend über den Arm.
Jedoch reagierte sie kaum. Sie wurde nur panischer.
Phil nahm ihre Hände von den Ohren.
„Guck mich an. Tief ein... und tief aus... Die Leute sind weg. Wir sind hier alleine."
Sie blickte zu Franco. Anscheinend hatte sie Phil doch verstanden.
„Das ist Franco. Er tut dir nichts. Kannst du mir sagen wie du heißt?"
Das Mädchen zögerte. Sie drehte ihren Kopf wieder zurück und ließ ihn sinken. Panisch umkrallte sie ihre Beine.
„Emma."
Leise, fast unhörbar, sprach das Mädchen.
„Emma, Ja?"
Er nahm seine Hand zu ihrer Schulter und sie zuckte zusammen.
Phil kannte das Bild. Leider hatte er es schon gesehen. Damals war es eine Frau mittleren Alters. Sie hatte den Krankenwagen gerufen, weil sie die Treppe runtergefallen sei. Als sie dort ankamen, sahen die Zeichen nicht für einen Treppensturz aus, sondern wie Schläge. Immer wieder schrak die Frau damals zusammen. Wenn der Notarzt näher kam mit seinen Händen, zuckte sie und wurde nervös. Als würde ein Schlag folgen. Als dann Minuten später, wo sie eigentlich schon bereit zum Abfahren waren, ein aggressiver Mann zur Tür hineinkam und steuerte auf die Frau zu. Diese zuckte sofort zusammen und entschuldigte sich, dass sie den Rettungswagen gerufen hat. Und dann war allen klar, welches Spiel dort getrieben worden ist. Sie wurde von ihrem Mann misshandelt und unterdrückt. Gehalten wie ein Vieh, was nichts wert ist. Keiner wusste bis dato nicht wie lange diese Folter schon ging, aber eins war sicher, sie hatte man in Sicherheit gebracht. Sie war weg von diesem Irren und konnte sich erholen.
Jedoch schien das nicht der Fall zu sein bei dem Mädchen namens Emma. Schwester Linda hatte schon Anzeichen gemacht, dass es nach Misshandlung ausgesehen hat und das psychische Verhalten des jungen Mädchens bestärkte diese Tatsache nur.
„Sie-sie sind be-betrunken.", stotterte sie und blickte rüber zur Tür, die verschlossen war.
Sein Blick war verwundert. Doch dann realisierte was sie hatte.
„Dein Vater ist auch oft betrunken, richtig?"
Ein leichtes Nicken.
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ASDS - Short Stories (Kurzgeschichten)
FanficÄrzte, Notfallsanitäter und Pfleger haben einen sehr vielfältigen und abenteuerlichen Beruf. Sie wissen nie was sie erwartet, wenn sie ihre Schicht antreten. In diesem Buch lest ihr über verschiedene, unabhängige voneinander kurze Stories der Spezia...