11. „Spannungspneumothrorax!"

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Ich war auf dem zu der WG meines Bruders Phil. Ich hatte Anfang des Jahres einen kleinen Job gesucht, um „Taschengeld" zu verdienen. Da hat mir Phil angeboten alle zwei Wochen, für Geld, bei ihnen zu Putzen. Die WG war eine reine Männer - WG, sodass man sich vorstellen konnte, dass dort kaum geputzt wurde. Doch durch mich hat das riesige Haus endlich eine Ordnung und ist, fast, immer sauber.
Eigentlich wollte ich heute nicht putzen. Ich hatte zu große Schmerzen an meinen Rippen, weil ich beim Turnen auf den Stufenbarren gekracht bin. Würde ich jedoch absagen, dann würden direkt wieder Fragen kommen, wie ‚Geht es dir gut?' oder so.
Ich klingelte an der modernen, großen Tür. Die Tür ging auf und Alex stand vor mir.
„Hey Lucia."
Er umarmte mich, wobei er meine Rippen drückte. Ich keuchte auf.
„Alles gut?", löste sich Alex und guckte mich starr an.
„Ja.", lachte ich, „Was sollte denn sein?"
„Du hast aufgekeucht als hättest du Schmerzen."
„Nein. Wirklich alles gut.", überspielte ich.
Ich zog mir meine Schuhe aus und stiefelte Richtung Wohnzimmer.
„Hey Flo."
„Moin."
„Keine Schicht?"
„Nope.
„Nur ihr beide hier?", fragte ich in die Runde.
„Ja, Phil und Franco kommen gleich, Dustin hat 24 - Stunden - Schicht und wir hatten schon Schicht."
„Okidokey."
„Ich fang oben an, okay?"
Alex nickte.
Sonst quatschte ich eigentlich gerne mit den Bewohnern, weil wir echt guten Kontakt hatten und sie wie Brüder für mich waren, aber heute wollte ich so schnell wie möglich hier raus.
Ich lief die Treppen hoch. Ich bemerkte stechende Schmerzen an meinen Rippen und die Luft wurde knapper.
Grandios Lucia. Du bist in einem Haushalt voller Ärzte und du willst eine Rippenverletzung verheimlichen.
Oben angekommen hielt ich mich am Geländer fest und atmete angestrengt ein und aus.
Langsam kam ich im Bad an und starrte mich in Spiegel an.
Leicht blaue Lippen zierten mein blasses Gesicht.
„Verdammte scheiße.", nuschelte ich.
Kein Wunder. Ich atmete nur noch sehr flach und setzte einige Luftzüge aus, um die Schmerzen zu vermeiden.
Ich zog mein Shirt hoch und ein riesiger, blauer Fleck prägte mein Rippenbereich auf der rechten Seite.
Trotzdem fing ich an zu putzen. Dabei hörte ich Musik, um mich abzulenken.

Eine Stunde später hatte ich das komplette Badezimmer geputzt. Wieder blickte ich in den Spiegel. Meine Lippen wurden langsam immer blauer. Durch die Bewegungen schmerzte auch meine Rippe immer mehr und die Luft immer knapper.
„Scheiße man.", flüsterte ich.
Vielleicht sollte ich dich etwas sagen. Ich meine seh dich an.
„Wir sind da!", rief eine Stimme, der ich Phil zuordnen konnte.
„Fuck."
Ich wurde nervös und die Luft immer knapper. Als würde sich eine Rippe in meine Lunge bohren. Darauf folgten Schnappatmungen. Ich hielt mich verkrampft am Waschbecken fest.
„Lucia? Kommst du kurz?"
Nicht jetzt.
Schwarze Punkte kamen näher.
„Nein. Nein. Nein."
„Lucia?"
„Ich komme.", versuchte ich zu rufen, bekam aber kaum etwas aus mir raus.
Ich hangelte mich an der Wand entlang bis ich im Flur im oberen Stockwerk stand. Wieder stand ich am Geländer der Treppe.
Du musst jemanden rufen.
„Alex? Phil?", hörte man meine krächzende Stimme.
Alles drehte sich. Der Fußboden fühlte sich so an als würde er sich bewegen. Die Schwärze umfasste meine Sehfähigkeit fast komplett. Ich hörte Schritte, die die Treppe hochliefen. Krampfhaft hielt ich mich fest.
Wach bleiben. Wach bleiben.
„Ach du scheiße, Lucia!"
Eindeutig Phil.
„Ich... ich..."
„Red nicht."
Alex wollte meine Arme nehmen und mich auf dem Boden legen. Doch ich wehrte mich krampfhaft dagegen. Es war als ob mich nur das Festhalten am Geländer am Leben ließ und wenn ich loslasse ich sterben würde.
„Alex..."
„Lucia, was ist passiert? Warum sagst du nichts verdammt nochmal?", sagte Phil.
„Flo, Franco, kommt bitte schnell."
„Ich kann nicht mehr lange.", flüsterte ich zu Alex.
„Guck mich an."
Er machte mit seinen zwei Fingern eine Handbewegung.
Langsam verließen mich meine Kräfte, sodass ich zusammensackte. Alex fing mich mehr oder weniger auf und legte mich auf dem Boden ab.
Flo und Franco kamen hochgerannt.
„Flo, kümmer dich kurz um Phil und Franco hol mir das Notfallset.", wies Alex an.
Alex maß meinen Puls und tastete mich ab. Ich schrie leicht auf als er an meinen Rippen ankam.
„Was hast du da gemacht?"
„Nichts."
Ich versuchte mein Shirt runter zudrücken.
„Hey hey, du musst mir das schon zeigen, sonst kann ich dir nicht helfen."
Ich nahm meine Hände weg und er zog das Shirt hoch.
„Oh mein Gott, Lucia. Was hast du gemacht?", schrie Phil.
Ein riesiger, blauer Fleck kam zum Vorschein.
In dem Moment kam Franco angerannt.
„Phil, setz dich hin. Es ist ihr jetzt nicht geholfen, wenn du auch weglklappst.", hörte ich Flo sprechen.
„Phil... Phil, es tut mir leid."
Auf einmal ging gar nichts mehr.
„Spannungspneumothorax.", rief Alex Franco zu, „Ich brauch eine Punkturnadel!"
„Lucia, versuch ruhig zu atmen. Ich werd dir jetzt das atmen erleichtern."
Franco gab Alex die Nadel und stach zu. Es tat weh und im nächsten Moment konnte ich wieder fast normal atmen.
Er befestigte die Nadel und ließ sie los.
„Ich brauch einen Zugang, Monitoring, Sauerstoff und einen RTW."
Franco legte gleich los und Flo rief einen RTW.
„Lucia, wie schlimm ist es jetzt?"
„Es geht wieder."
„Ok, was hast du gemacht? Irgendwas muss passiert sein, sodass man so einen blauen Fleck bekommt."
„Turnen..."
Ich war so müde. Zu müde.
„Lass die Augen offen.", befiel Alex.
„Was ist beim Turnen passiert?", fragte nun Franco.
„Ich bin heute mit meinen Rippen auf den Stufenbarren geknallt.", sagte ich mit krächzender Stimme.
„Und danach fing es dann an?"
Ich nickte.
„Und beim putzen wurde es dann schlimmer."
„Ich geb dir ein leichtes Schmerzmittel, okay?"
Ich nickte.
„Die Werte sind wieder den Umständen entsprechend gut.", sagte Alex zu Phil gewandt.
Er atmete leicht auf.
„Phil?", flüsterte ich.
Phil guckte zu Alex, der nur nickte und Phil kam dann zu mir. Er nahm meine Hand.
„Ja?"
Er hatte Tränen in den Augen.
„Es... es tut mir leid."
Auch mir kamen die Tränen. Er wischte meine Tränen weg.
„Alles gut, meine Kleine. Alles gut."

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