29. „Einundvierzig Grad Celsius."

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Seufzend ließ sich die sechszehnjährige in den Autositz fallen. Warum musste es heute so verdammt heiß sein? Es war zwölf Uhr mittags und sie hatten bereits vor sieben Stunden die Anreisefahrt gestartet. Sie wollten Urlaub bei ihren Verwandten machen in Köln und um den grässlichen Verkehr zu meiden, wollten sie früh losfahren. Jedoch standen sie nun bereits seit zwei Stunden, knapp vor Köln, im Stau. Stehender Stau. Seit zwei Stunden bewegten sich die Autos keinen Zentimeter mehr.
Das Thermometer kroch auf die einundvierzig Grad Celsius an. Sie hatten bereits alle Fenster runtergedreht, aber keine Zirkulation kam ins Auto. Nur stehende, stickige, warme Luft.
Stöhnend wechselte sie den Sender. Diese ganze alte Musik konnte sie nicht mehr hören. Jedoch schaltete ihre Mom direkt den Sender wieder um. Wer am Steuer sitzt, hat auch die Entscheidung über die Musikwahl. So ein Scheiß.
Sie blickte nach hinten. Ihre zwei Geschwister, neun und fünf Jahre, hatten ihre Kopfhörer auf und schauten über das Tablet eine Kinderfilm. Beide waren bereits eingeschlafen. Ihre neunjährige Schwester hatte ein lockeres, gelbes Kleid an, welches ihr am Körper klebte. Ihr fünfjähriger Bruder hatte nur seine Boxershorts an und ein Tanktop. So staute sich wenigstens nicht die Luft unter der massigen Kleidung. Zu allen Übeln war die Klimaanlage des Autos seit zwei Wochen kaputt, sodass nicht mal die Kälte spenden konnte.
Auch ihre kurze, schwarze Stoffhose klebte an ihren Oberschenkeln und ihre dünne, weiße, kurze Bluse lag eng an ihrer verschwitzten Haut. Sie pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die aus ihren zwei geflochtenen Zöpfen gefallen waren.
"Mein Gott.", sagte sie genervt und verrollte die Augen.
Sie blickte in den Außenspiegel und erkannte eine ewig lange Autoschlange hinter sich. Genauso wie vor ihnen war kein Ende in Sicht. Nur stehende Autos.
"Es gibt echt eine Rettungsgasse.", sagte ihre Mutter erstaunt und blickt ein den Rückspiegel, "Ist ja echt eine Seltenheit."
"Geb' mir mal bitte das Wasser."
Sie streckte direkt ihre Hand zu sie rüber. Man, warum musste sie auf dem Beifahrersitz sitzen? Viel lieber säße sie jetzt hinten und würde schlafen. Nein, sie musste ihre Mutter bedienen. Kannst du mir das geben! Und das! Ach, kannst du mal das Navi umstellen. Nervig. Sie brauchte ihre Ruhe, denn sie hasste solche langen Autofahrten. Ihre schwache Blase war für sowas nicht geeignet. Dazu noch ihre Reiseübelkeit und jetzt noch diese Hitze.
Sie lehnte ihren Kopf hinten an die Lehne und schloss ihre Augen als sie stechende Kopfschmerzen bekam. Nicht das noch. Sie war schon genervt genug und jetzt bekam sie auch noch Kopfschmerzen.
"Man, ich muss pinkeln.", sagte sie genervt und nervös zu gleich.
Mit aller Macht versuchte sie ihre Blase unter Kontrolle zu bringen, aber ihr letzter Toilettenbesuch war nun vier Stunden her und ihre Blase versagte allmählich.
"Dann muss du aussteigen und hier hinter den kleinen Hügel gehen. Der Verkehr wird sich nicht so schnell bewegen."
"Aber die können mich alle beobachten. Ist ja schrecklich.", jammerte sie.
Sie hatte bereits ab gewägt auszusteigen und auf die Wiese zu gehen und dann hinter den kleinen Abhang zu gehen wie es bereits andere taten, aber ihre Contra-Liste überwog bis jetzt. Nicht nur, dass sie fünfzig Meter weiter laufen musste und sie alle Blicke auf sich lenkte, sondern auch, dass sie einfach zu faul war.
Neben sie erstreckte sich eine weitläufige Wiese. Nach fünfzig Meter gab es dann einen relativ großen Hügel, wo sich schon mehrere hinter gehockt hatten und ihr Geschäft verrichtet haben.
"Dann heul aber nicht rum."
Louisa hatte das Gefühl, dass das Auto in den letzten fünfzehn Minuten nochmal heißer wurde. Ihre Kopfschmerzen wurden immer schlimmer und ihre Blase drohte zu platzen. Ihr wurde immer heißer und ihr wurde übel. Konnte ein Tag wirklich noch beschissener laufen? Anscheinend schon, denn sie wurde auffällig nervös und spielte an ihren Händen. Ihr Bein wippte auf und ab. Innerlich pumpte ihr Herz so stark, dass sie das Gefühl hatte als würde es ihr aus dem Körper springen. Beschleunigt schnappte sie nach Luft und versuchte ihre aufkommende Angst zu unterdrücken.
"Louisa, alles gut?"
"Ja, ich muss nur aufs Klo.", sagte sie benommen.
Sie legte ihren Kopf wieder an die Lehne und blickte aus dem Fenster. Ein weiterer Mann stieg vor ihnen gerade aus dem Auto und vertrat sich die Beine. Kurz darauf nahm er eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an.
Schwer atmend legte sie ihre Hand auf die Tür, wo normalerweise das Fenster war.
"Du bist ganz rot.", stellte ihre Mom fest.
"Liegt vielleicht darin, dass es einundvierzig Grad sind.", meckerte sie, um ihre aufkommende Übelkeit zu verstecken.
"Mhhh..."
"Ich... ich geh doch raus. Sonst pinkel ich gleich ein.", sagte sie mit zittriger Stimme.
All diese Symptome wurden auf einem Mal abrupt schlimmer. Als hätte jemand den Schalter umgelegt.
"Mach das."
Sie nahm ihre Hand an die Türöffner und drückte diese auf. Schwallartig stieß die heiße, stickige Luft ins Auto, welches ihre Symptome verschlimmerte. Sie schloss kurz ihre Augen, um die bestehende Übelkeit weiterhin zu übertönen. Sie rappelte sich auf und musste sich einige Sekunden später am Auto festhalten. Extremer Schwindel überkam sie.
Schwach schlug sie die Autotür zu und ging einige Schritte Richtung Wiese. Sie fühlte sich wie auf Droge oder alkoholisiert. Sie nahm kaum noch was wahr und strebte nur noch den Hügel an. Ein Rundumblick zeigte ihr, dass die Menschen auf die verrücktesten Ideen kamen. Einige saßen mit ihren Campingstühlen auf dem Standstreifen. Einige Quatschten ausgelassen. Zwei Männer grillten sogar.
Direkt hinter ihrem Auto stand eine Notarztwagen. Auch sie standen im Stau fest. Sie hätten aber einen Ausweg gehabt, wenn sie ein Fall bekämen könnten sie einfach durch die Rettungsgasse durchpreschen.
Ganz wacklig auf den Beinen lief sie weiter auf die Wiese und bemerkte wie die pralle Sonne auf ihren Kopf schien und alles schlimmer machte. Ihr Kopf hatte sich im nu erhitzt und machte die Situation unaushaltsam. Der Schwindel wurde stärker und die Übelkeit überrollte sie. Am Hügel angekommen, hockte sie sich hinter und verrichtete ihr Geschäft. Erleichtert wollte sie wieder aufstehen, jedoch wurde daraus nicht viel beim Hochkommen wurde der Schwindel schlimmer und schwarze Punkte tanzten vor ihrem Auge. Gerade so schaffte sie es hinter dem Hügel vor zu kriechen und den steilen Abhang runter zu laufen als sie auf der geraden Fläche zusammensackte.

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