12. „Ein lauter Patient ist meist auch ein stabiler Patient." (1)

3.2K 59 12
                                    

Angepisst stieg ich in den Bus ein. Eigentlich liebte ich Bus fahren, aber heute war ich nur genervt.
Wir bekamen unsere Ergebnisse der Klausuren mitgeteilt und darunter waren auch einige nicht so tolle dabei, wobei eine drei für mich schon als nicht so toll gilt, vor all Dingen wenn die Note ein Drittel deiner Gesamtnote ausmacht. Und dann ein Punkt fehlt zur besseren Note wegen einem Schusselfehler.
Ich ließ mich auf einen Platz, relativ weit hinten, sinken. Ich stöpselte meine Kopfhörer ein und döste vor mich hin.
Alter, wie fährt der Busfahrer denn?
Ich wusste Bus fahren, ist nicht einfach, aber ich war einfach nur sauer.
Auf einmal drehte sich der Bus. Ich guckte panisch um mich und zog meine Kopfhörer aus meinen Ohren raus. Der Bus fuhr an der Kante eines Abhanges. Auf einmal kippelte der Bus nur noch und er kippte zur Seite. Genau auf die Seite auf der ich saß. Es polterte. Manche Leute schreiten nach Hilfe. Die Fenster zerbrachen. Das Glas schnitt sich in die Haut der Leute. Nach ein paar Sekunden des Kippens, blieb der Bus auf der Seite liegen.
Ich lag auf mehreren Glasscheiben drauf und guckte durch mein linkes Auge. Ich blinzelte und sah einige Leute rumlaufen und schreien. Andere wiederum lagen nur im Bus und bewegten sich kaum noch oder stöhnten Schmerz geplagt. Durch ein Tropfen Blut schloss ich mein Auge. Ich spürte wie die warme Flüssigkeit über mein Gesicht lief.

Minuten vergingen in denen ich mich entschied liegen zu bleiben, um Schmerzen zu vermeiden. Einige schreiten immer noch. Andere hingegen sind schon aus dem Bus geklettert.
„Die Polizei kommt!", rief ein junger, vollkommen panischer Mann.
Ich versuchte meinen Kopf zu heben, doch meinem Körper durchfuhr ein stechender Schmerz, der sich am meisten am Kopf zu spüren machte.
Mehrere Sekunden später hörte man die Martinshörner und sah das Blaulicht im Augenwinkel. Augen offen zu halten, war zu anstrengend. Also schloss ich sie.

Ich machte meine Augen wieder auf. Ich blickte um mich. Mehrere Personen in strahlend gelber Kleidungen standen mit Helmen im Bus. Einige Feuerwehrleute und andere vom Rettungsdienst. Sie gingen systematisch die Verletzten Personen durch und kategorisierten sie.
Sie liefen hektisch und dennoch irgendwie kontrolliert durch den Bus.
Ein Mann mit wuscheligen, braunen Haaren lief in meine Richtung. Er verschaffte sich einen Überblick und lief dann zu einer Person, die nicht bei Bewusstsein war, aber nahe neben mir lag.
„Hey, ich bin Phil Funke und Notarzt. Kannst du mich hören?"
Er guckte mir in die Augen.
Notarzt.
Erst jetzt wurde mir wirklich klar, dass diese Leute Ärzte sind. Langsam wurde ich panisch. Ich wollte nicht umgeben von Ärzten sein. Ich hatte zu große Angst vor denen.
„Kannst du mir denn dein Name sagen?"
Immer noch antwortete ich nicht. Ich beobachtete ihn haargenau. Jede einzelne Bewegung die er machte, folgte ich um sicher zu gehen, dass er nicht zu mir kommt bevor ich einen Plan hatte zum Abhauen.
„Alex?"
„Ja?"
„Hast du Schwerverletzte bei dir?"
„Alle bei Bewusstsein und reden mit mir, wieso?"
„Ich habe hier zwei Schwerverletzte. Darunter ein Mädchen ist zwar bei Bewusstsein, aber ist mir zu still."
„Ok, komme. Oli und Birgit kommen auch gerade. Die übernehmen dann die hier vorne."
Ich merkte erst Sekunden später, dass er mich als ‚Das Mädchen' meinte. Ich verstand erst nicht, was er mit still meinte. Sollte ich etwa schreien wie die anderen hier. Genau das wollte er wahrscheinlich von mir. Bei unserem Erste-Hilfe-Kurs hieß es immer: „Ein lauter Patient ist meist auch ein stabiler Patient."
Ein braun haariger Mann kam auf mich zu. Er zeigte mit seinem Finger auf mich und Phil nickte bloß.
Langsam wurde ich nervös. Ich hatte Angst und wollte raus aus dem Bus. Ich guckte panisch zwischen den beiden die ganze Zeit hin und her.
Warme Hände waren auf einmal an meinem Kopf zu spüren. Die Hände hielten meinen Kopf fest, sodass ich ihn nicht bewegen konnte.
„Franco? Kommst du bitte? Ich brauch ein Stifneck.", sagte mir der Unbekannte.
Panik schoss hoch. Ich konnte meinen Kopf nicht mehr bewegen. Ich drehte meine Augen von der einen Seite zu der anderen Seite.
„Shhh. Alles gut."
Ich schreckte zusammen.
„Ganz ruhig. Ich bin Alex und der Notarzt.", er stockte kurz, „Kannst du mir deinen Namen sagen?"
Ich sagte nichts, sondern blickte nur nervös zu ihm in die Situation um mich herum.
Ein italienischer Mann kam auf uns zu mit einem auffälligen, großen Rucksack.
„Stifneck.", sagte er.
Er reichte ein komisches Ding zu Alex und er legte es um meinen Hals.
„Jetzt wird es ein bisschen enger um deinen Hals."
Es wurde total eng und ich hatte das Gefühl, dass das Gerät meine Luft abdruckt.
Nervös blickte ich zwischen den Männern hin und her und atmete immer unruhiger.
„Hat sie schon was gesagt?", fragte Phil.
„Nein. Wie sieht es bei dir aus?"
„Stabil."
„Hier bin ich mir noch nicht so sicher.", sagte Alex unsicher.
„Heather.", flüsterte ich.
Ich wusste nicht warum ich mich dazu entschlossen hatte gerade in dem Moment etwas zu sagen, aber es fühlte sich richtig an.
Alex, Phil und der unbekannte, italienische Mann guckten auf mich herab.
„Heather, hast du Schmerzen?", fragte Alex behutsam.
Ich schluckte. Ich wollte nicht mehr sagen.
Vielleicht sagst du, dass du Angst hast.
„Ich... habe Angst."
Meine Stimme war kaum zu hören.
„Das ist nicht schlimm. Wir werden dir dabei helfen.", lächelte er.
„Franco, holst du bitte das Spineboard! Und bring Flo mit!"
Franco heißt also der Italiener.
Franco entfernte sich.
„Ich werde dich einmal abtasten, dass ich grob gucken kann, wo du verletzt bist."
Ich guckte skeptisch.
„Du kannst was sagen, wenn du Schmerzen hast."
Er fing am Kopf an und ging runter zu den Armen und zur Brust. Keine Schmerzen. Nur ein unwohles Gefühl. Dann drückte er kurz auf meinem Bauch rum und fasste von rechts und links an meine Hüfte. Schmerz durchstieß mich. Ich zuckte zusammen und wimmerte kurz auf. Alex guckte zu mir hoch.
„Du musst hier nicht die Starke sein, sag mir wenn du Schmerzen hast."
Dann ging er runter zu meinen Beinen ohne Schmerzen.
Franco kam mit einer unbekannten Person wieder und Alex entfernte sich.
„Ich komme gleich wieder."

Alex's P. O. V.
Ein Blick riskierte ich noch zu dem Mädchen. Sie war nervös und guckte mich durchgängig mit ihren großen, blauen Augen an. Sie war ängstlich, sehr ängstlich.
„Also ich möchte sie erstmal hier rausholen. Sie hat starke Angst und redet kaum."
„Also noch kein Monitoring?", fragte Flo.
Ich ging nicht dem originalen Plan nach. Ich wollte erstmal ihr Vertrauen gewinnen.
„Nein, nur die richtige Umlagerung auf das Spineboard. Sie hat bestimmt eine Fraktur am Hüftknochen."
Flo und Franco nickten.
„Sie ist mir echt zu ruhig."
Das Risiko ist einfach, dass sie ohnmächtig wird oder sogar reanimationspflichtig wird, weil sie innere Blutungen haben könnte.
Ich hörte ein leises wimmern. Ich drehte mich um und sah das Mädchen weinen. Schnell lief ich zu ihr.
„Hey Heather, alles wird gut."
Ich kniete neben ihr und strich ihr über ihre blasse Haut. Sie zitterte. Nach dem Schock, den sie hatte, folgt meist ein Tief. Die meisten Schreien oder eskalieren und wollen aufspringen. Doch sie weinte nur leise. So leise, dass man es kaum hörte.
„Heather? Wir werden dich jetzt auf das Board hier legen, dass wir dich hier rausholen können. Du bleibst einfach ganz ruhig liegen. Solltest du zu starke Schmerzen haben, sagst du mir bitte Bescheid!"
Ich betonte das „bitte". Das letzte mal sah man ihr an, welche Schmerzen sie hatte und sie sagte trotzdem nichts.
Ihre Angst wurde wieder größer. Man erkannte es, dass sie unruhiger atmete und große Augen bekam.
Franco und Flo standen bereits hinter ihr und klemmte das Board unter ihrem Rücken.
„3... 2... 1..."
Flo drehte sie auf die Seite und Franco schob das Board komplett unter ihr. Als sie wieder unten war, sah sie mich mit riesigen Augen an. Immer noch zitterte sie. Wir befestigt ihre Hüfte mit einem hüftbreiten Klettverschluss, sodass die Hüfte nicht noch weiter geschädigt werden kann. Ebenfalls schnallten wir sie an.
„Heather, wie hoch sind deine Schmerzen jetzt?"
Sie wimmerte immer wieder leise auf. Man sah, dass sie nichts sagen wollte.
„Geht.", flüsterte sie.
Sie erhoffte sich wahrscheinlich, dass wir sie nicht weiter anquatschten.
„Flo du nimmst ihren Rucksack mit und Franco unseren!", wies ich an.
Ich hoffte, dass wir Informationen aus ihrem Rucksack bekommen, ob sie irgendwelche Vorerkrankungen hat.
„Heather, wir heben dich jetzt an. Es wird bestimmt etwas rütteln, wenn sie dich aus dem Bus tragen."
Sie guckte wieder geschockt.
Warum hatte sie solch eine Angst?
Wir hoben sie an und liefen Richtung Frontscheibe. Die Feuerwehrleute brachen diese auf, sodass wir einfacher rein und raus kamen.

ASDS - Short Stories (Kurzgeschichten)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt