21. „Machst du hier Urlaub?" (1)

2K 53 15
                                    

Mit schnellen Schrittes lief die sechszehnjährige zum Fahrstuhls ihres Hotels. So dumm wie sie war, hatte sie ihr halbes Spritzzeug oben liegen gelassen. Blöd nur, wenn man wegen Diabetes darauf angewiesen ist. Also musste sie wieder in den achten Stock. So hätte sie die Treppe genommen, aber sie war nicht lebensmüde. Wer läuft denn Bitteschön acht Etagen nach oben? Ehrlich gesagt hatte sie es, den ersten Tag versucht, aber direkt beim zweiten Mal abgebrochen. Dann nahm sie lieber die kurze Angst in Kauf.
Gerade als die Türen des Fahrstuhls zu gingen, schaffte sie es noch reinzuschlüpfen. Leicht außer Atem drückte sie die den Knopf für die achte Etage.
Mit ihr im Aufzug stand ein Mann Ende fünfzig und ein weiterer Mann Ende zwanzig. Wie auf den leuchtenden Tasten zu sehen, wollten beide in den neunten Stock.
Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung und sie krallte ihre Hände, um die Eisenstange, die neben ihr befestigt war.
Alles wird gut. Die Türen öffnen sich gleich. Es wird nichts passieren, Marleen.
Die Anzeige zeigte an, dass sie bereits in Etage vier waren.
Nur noch vier Etagen. Alles wird gut., predigte sie.
Ein lautes Knarren und das abrupte stehenbleiben des Fahrstuhls, riss sie aus ihren Gedanken. Sie zuckte zusammen und blickte panisch zur Anzeige. Sie waren noch nicht im achten Stock. Also warum hält das Drecksding?
Vielleicht will nur Einer zu steigen.
Nervös klammerte sie sich weiter an die Eisenstange und versuchte ruhig zu atmen, wie sie es in den ganzen Artikeln zu Panikattacken gelesen hatte.
Geduldig warten die drei darauf, dass die Türen sich öffneten, doch nichts geschah. Sie schluckte schwer.
„Kann es sein, dass der Fahrstuhl stehen geblieben ist?", fragte der Jüngere.
Er hatte lockige, braune Haare und guckte seine Mitfahrenden an.
Marleen drehte sich zu ihm um und blickte in zwei verwirrte Gesichter.
„Ich hoffe nicht.", murmelte Marleen vor sich hin.
Dummerweise hatte sie ihr Handy bei ihrer Mom gelassen, sodass sie ihr nicht mal Beistand geben konnte.
„Ich denke schon. Hat sich so angehört.", sagte nun der ältere Mann.
„Wir sollten vielleicht die Notruftaste drücken.", sagte nun wieder der andere Unbekannte und drückte die besagte Taste.
Jetzt erst realisierte sie richtig, dass sie stecken geblieben war. In einem Fahrstuhl. Ihre ganzen Befürchtungen und Ängste wurden wahr. Die Szenarien, die sie sich immer vorgestellt waren da.
„Hoffentlich dauert das nicht all zu lange.", motzte der Ältere rum.
Diese genervte Aussage machte es nicht besser. Sie konnte es jetzt nicht ertragen mit Jemanden im Aufzug zu stecken, der Unruhe verbreitete.
„Ach das glaube ich nicht."
Marleen drehte wieder ihren Kopf nach hinten zu den beiden Herren und blickte in das angenervte Gesicht des Alten.
Immer noch krampfhaft hielt sie sich am, mittlerweile, warmen Metall fest. Als würde das nun etwas an ihrer Situation ändern.
Ein weiteres Rütteln und lautes Krachen ließ die drei zusammenzucken. Marleen blickte wieder zu den Fahrstuhltüren. Die, eh schon vorhandene, Panik verschlimmerte sich. Was wäre wenn der Fahrstuhl runterkracht und sie alle sterben würden? Oder die Hilfe zu spät kommt und dann kein Sauerstoff mehr da wäre? Tränen kullerten ihr übers Gesicht und ein Schluchzen entfuhr ihr. Sofort versuchte sie es zu unterdrücken.
„Hey, alles in Ordnung bei Ihnen?", fragte der Jüngere.
Sachte nickte sie, obwohl nichts in Ordnung war. Sie musste hier raus und das so schnell wie möglich.
Ihr Körper zitterte ungemein und nur das Festhalten am Geländer hielt sie noch auf den Beinen.
„Sind Sie sich sicher?"
Der Braunhaarige lief um sie herum, sodass sie ihn angucken musste.
War es jetzt sinnvoll etwas zu sagen? Er könnte ihr helfen und sie wäre nicht alleine.
Doch nach einer schnellen Pro-Contra-Liste entschloss sie sich alles abzustreiten. Also nickte sie wieder sachte. Im selben Moment gab es wieder ein lautes Krachen und der Fahrstuhl bewegte sich etwas weiter nach unten. Die Seile, die den Fahrstuhl halten sollten, ließen nach.
„Was ist wenn wir sterben?"
Der Kommentar und das letzte Geschehnis ließ sie weiter in Panik verfallen. Überholt zog sie Luft in ihre Lungen.
„Guck mich an. Wie heißt du?", fragte der Braunhaarige besorgt.
Sie blickte nach oben. Er lächelte sie leicht an.
„Mar- Marleen.", stotterte sie.
„Marleen.", wiederholte er, „Ich bin Phil. Versuch ruhig zu atmen, okay? Tief ein... und tief aus..."
Er machte ihr die Atemübungen vor.
Krampfhaft versuchte sie es nachzumachen, aber es gestaltete sich als schwierig. Immer stärker fing sie an zu weinen.
„Shhh... es ist alles gut. Es passiert nichts."
Sie konnte seiner Aussage nicht trauen. Fahrstühle waren unberechenbar, wie es sich heute zeigte.
„Och ne. Auch noch eine Heulsuse.", sagte der Mann hinter ihr arrogant.
Dies verschlimmerte ihr Situation, sodass sie noch schneller atmete.
„Könnten sie bitte den Mund halten. Sie hat Angst und ist keine Heulsuse."
Er setzte das Wort Heulsuse mit seinen Fingern in Anführungszeichen.
„Außerdem machen ihre Kommentare es nicht besser.", sagte Phil ernst.
Nach einem eingebildet Schnaufen von dem alten Mann, guckte Phil sie wieder an.
„Es wird uns nichts passieren. Wir sind in Sicherheit."
Eine warme Hand berührte ihre Schulter.
„Ruhig atmen, Marleen. Ein... und aus..."
Kläglich versuchte sie dem Mann nachzumachen.
„Okay, setz dich hin."
Er wollte die Hände, die sie um das Metall krallte, nehmen. Jedoch mit weniger Erfolg.
„Marleen, lass los. Ich bin bei dir. Nichts wird passieren, wenn du da loslässt."
Sie nickte. Er hatte recht. Nichts würde sich ändern.
„Ok, so ist es gut."
Er nahm ihre Hände in seine und führte sie nach unten.
„Lehn dich an die Wand."
Im Schneidersitz lehnte sie nun am kalten Metall des Fahrstuhls.
Der Lockenkopf setzte sich vor ihr auf den Boden.
„Jetzt weiter atmen. Schön ruhig. Sie sind bestimmt schon da, um uns hier rauszuholen."
Wie in Trance nickte sie.
„Weiter ein... und aus... atmen. Super machst du das."
Endlich wurde es wieder besser. Sie beruhigte sich langsam. Trotzdem schwitzte sie extrem und ihre Hände zitterten.
„Alles gut. Wie alt bist du?"
„Sechszehn."
„Und machst du hier Urlaub?"
Sie nickte.
„Ich denke schon. Kann man so sagen."
Durch das Pläuschen, was sie mit dem netten Mann hielt, wurde sie noch ruhiger. Auch Phil bemerkte dies und war erleichtert.
„Und wer ist mit dir hier?"
„Praktisch, die ganze Familie.", lächelte sie.
„Das ist schön."
„Darf ich Sie auch was fragen?", fragte sie ängstlich.
„Na klar. Hau raus."
„Sind Sie auch im Urlaub?"
„Naja, nicht ganz. Ich bin nur hier, um den Spa zu genießen. Ich lebe so in Köln."
„Verstehe.", lächelte sie.
„Warst du schon im..."
Ein Husten und ein gequältes Luft holen, riss die Beiden aus dem Gespräch. Der ältere Mann hielt sich an der Brust und drohte umzukippen.
„Okay, Marleen, bleib weiter ruhig. Atme schön ein und aus.", sagte er professionell und stand auf.
„Was haben Sie?"
„Me-meine Brust. Sie tut höllisch weh.", schrie er.
Marleen zuckte zusammen. Das musste jetzt natürlich noch passieren.
„Okay, wie heißen Sie?"
„Helmut Krüger."
„Herr Krüger, haben Sie irgendwelche Vorerkrankungen? Oder hatten Sie sowas schon Mal?"
„Nein, noch nie!", sagte er laut und hielt sich immer noch die Brust.
„Legen Sie sich hin."
Phil wusste der Mann brauchte einen RTW. Doch er war zu beschäftigt, den Mann zu untersuchen. Andererseits wollte er das panische Mädchen nicht noch beunruhigter machen.
„Marleen, hör mir zu. Hast du dein Handy bei dir?"
Er hatte einen Entschluss gefasst.
„Nein.", sagte sie zitternd.
„Dann nimm meins."
Er reichte ihr das Telefon.
„Ruf die 112 an. Ich brauche unbedingt einen Krankenwagen."
Sie nickte skeptisch, tat aber das was ihr befohlen worden ist.
„Hallo? Ja? Also wir...", das weitere Gespräch verfolgte Phil nicht. Er wusste, dass der Leitstellendisponent alles erforderliche aus ihr holen würde.
„Herr Krüger, atmen sie tief durch."
„Es geht nicht. Ich-ich bekomm keine Luft mehr!", schrie er.
„Beruhigen Sie sich. Dadurch wird es nicht besser."
„Krankenwagen und Feuerwehr kommen."
„Super, das hast du toll gemacht. Und denk immer daran schön atmen. Wie ich es dir gezeigt habe.", lobte Phil seine Panikpatientin.
„Kümmern Sie sich um mich und nicht um Sie."
„Herr Krüger, hören Sie mir mal zu. Ich werde mich um Sie beide kümmern. Außerdem sollten Sie sich beruhigen, wenn Sie rumschreien, bringt es Ihnen nichts.", sagte er wütend.
Wie er solche Menschen hasste. Die nur auf sich selber fixiert waren.
„Helfen Sie mir es wird schlim..."
Seine Stimme brach ab.
____________________________________________________
Heute Mal keine Fortsetzung der Story um Phil und seine Familie. Aber ich arbeite dran. Dazu arbeite ich auch an anderen Shots. Bin gerade echt produktiv ;)
➡️Was denkt ihr über diesen Shot?
PS: Hab den Shot nicht nochmal überlesen auf Fehler. Ups. Vielleicht sind da jetzt maßig welche drin. Sorry for that.

ASDS - Short Stories (Kurzgeschichten)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt