Kapitel 3 - Die Welt ist die Bühne der Realität

445 29 0
                                    

Lyana versank in den Zeilen eines Buches. Die schwarzen Buchstaben auf weißem Hintergrund sogen sie nahezu in ihre Welt. Die Buchstaben verschwammen und verformten sich bildhaft zu der Welt und den Charakteren, die sie erzählten. Lyana hatte schon immer gerne gelesen, denn Lesen war eine Möglichkeit des Rückzuges. Es gab nicht viel bei dem sie der Realität ernsthaft entfliehen konnte, lesen war jedoch eine der Möglichkeiten. Sie konnte jemand anderes sein, konnte eine andere Welt erleben und sich in anderen Emotionen verfangen, fernab von ihrem Leben. Sie war schon immer ein großer Enthusiast, der sich mit großer Passion in Charaktere hineinversetzen konnte, egal ob bei Filmen, Büchern oder Videospiele. Doch seit ihr inneres ein einziger Scherbenhaufen war, hatte Lyana das Gefühl noch viel emotionaler sich in fiktive Welten steigern zu können. Sie wurde nahezu davon angezogen und aufgesaugt. Sie verkörperte gar seelisch diese Charaktere und Welten. Lesen, Filme schauen und Videospiele... das waren die letzten Jahre Lyanas einzige Lichtquellen gewesen, das einzige was sie am Leben erhalten hatte, daran gehindert hatte durchzudrehen und das was sie als einzig positives in der Realität vermerken würde. Lyana war schon immer der Kreativität hingezogen, weswegen sie auch begonnen hatte selbst ihre Ideen freien Lauf zu lassen in Form von Kunst wie selbst zu schreiben und zu zeichnen. Sie hatte darin ihre Zukunft, ihr Leben, ihre Leidenschaft gesehen, doch letztendlich war es nichts weiter als Enttäuschung und Versagen gewesen...

Lesen, Videospiele oder sich auf dem Sofa in Kissen und Decken einzulullen und einen Film zu schauen, es hatte nichts Beruhigenderes für sie gegeben. Wenn diese fiktiven Welten sie in ihren Bann gefangen genommen hatten, dann hatte sie ihre eigenen, quälenden Sorgen vergessen. Es war als hatten diese fiktiven Medien sie aus dem Folterkerker gezerrt auf eine lichtumflutete Blumenwiese voller Frieden und Passion. Hier in Arkahm blieb ihr nur noch der Rückzug in die Welt der Bücher. Kaum einer der Insassen interessierte sich für die Bibliothek. Die meisten konnten mit Büchern offenbar nichts anfangen. Für die einen war es nur Papier, das sie irrtümlich für etwas zum Essen oder für Feuerholz hielten, für die anderen war es nur ein Aggressionsmittel, in dem sie die Bücher zerrissen. Hinzu kam, dass die meisten hier nicht mal lesen konnten und für den Rest waren Bücher nur langweiliges Firlefanz-Geschwätz von irgendwelchen Kranken, die sich solch märchenhaften Schwachsinn ausdachten. Aber für Lyana waren Bücher eine Heilung, eine Rettung, eine Zuflucht. Sie hatte die Bibliothek also so gut wie immer für sich alleine. Die meisten Bücher waren eingestaubt und alt. Schon lange hatte niemand mehr Beachtung diesen Geschichten geschenkt, weswegen sie in einer Staubschicht im Regal eingingen und nur darauf gewartet hatten, dass nach Jahren Lyana vorbeikam und den Geschichten Aufmerksamkeit schenkte. Die Bibliothekarin lächelte immer wissend, wenn Lyana kam und sie war überrascht in welch hohen Tempo Lyana die Bücher verschlang. Niemand schenkte diesen Meisterwerken hier die Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die sie verdienten. Alle sahen darin nur eine Ansammlung Papier ohne Wirkung, doch das stimmte nicht. Bücher strahlten eine starke Aura aus und Worte besaßen manchmal mehr Wirkung als alles andere. Worte konnten schärfer als die schärfste Messerschneide sein. Lyana hatte die Magie der Fiktive begriffen und als ihre Zuflucht erkannt. Wenn die anderen Insassen das nicht taten, war das deren Problem. Aber Lyana wusste von der Magie der Kreativität und der Fiktive.

Erst heute Morgen hatte sie sich ein neues Buch ausgeliehen und hielt das Buch dicht an ihre Brust und mit den Armen umschlungen, wie eine Mutter, die schützend ihr Kind an sich drückte, als sie zwischen den Regalen der Bibliothek lief. Sie suchte sich einen ruhigen Ort, eine der alten Holzbänke an den Fenstern. Sie saß gerne dort. Die Holzbänke waren ausgestattet mit eingelassenen Stoffkissen. Zugegeben die Polsterung war nicht allzu dick, daher ließen die Bänke an Gemütlichkeit zu wünschen übrig, aber Lyana mochte es am Fenster zu sitzen und sie liebte die selige Ruhe der Bibliothek. Das Holz knarzte meist protestierend, wenn man sich darauf niederließ und bei der kleinsten Bewegung, was durch die Stille nahezu schallte, aber irgendwie hatte es auch eine urige Atmosphäre.

Super Psycho Love -  [A Jerome Valeska Story] - GothamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt