Kapitel 1 - Gefangen in der Trostlosigkeit von Raum und Geist

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Sie saß auf der Fensterbank und lehnte den Kopf an die kühle Glasscheibe des Fensters. Sie betrachtete wie der sanfte Regen dagegen prasselte und die Tropfen ihre wirren Bahnen über das Glas zogen. Es hatte fast schon etwas Hypnotisches zuzusehen wie die Tropfen sich auf der Fensterscheibe fingen und abperlten. Lyana hatte ohnehin nichts Besseres zu tun. Hier drin gab es nichts Besseres als auf der Fensterbank zu hocken und nach draußen zu starren.

Seit Lyana nach Arkham Asylum gebracht worden war, war sie in sich gekehrt. Sie saß schweigend da, beobachtete wie die Wolken vorbeizogen oder sah den anderen Insassen dabei zu, wenn sie im großen Innenhof ihren Auslauf haben durften. Lyana beobachtete einfach schweigsam und war mit sich und ihren Gedanken alleine.

Wäre ich doch nur gesprungen, ich wusste das es so endet und doch – dachte sie oft.

Doch dann dachte sie wieder gänzlich anders. Manchmal erschien es ihr hier gar nicht so schlecht. Keine Erwartung, kein hoher Druck, geringere Verpflichtungen als das Leben an einen stellte. Hier drinnen erschien alles einfacher. Es war geregelt, langweilig und die Möglichkeiten beschränkt – ja, aber hier drinnen plagte sie nicht mehr so sehr die Ungewissheit an ihre verkorkste Zukunft. Es war als befand sie sich in einem leeren Raum ohne Zeit und Konsequenz. Da draußen hatte sie sich selbst jeden Tag fertig gemacht, dass sie endlich einen Job, ein Leben, vielleicht sogar einen Freund benötigte, um eine Zukunft zu haben und immer und immer wieder hatte sie versagt. Aber hier drinnen spielte all das erst einmal gar keine Rolle mehr. Es war als hatte man ihr die Last abgenommen, als beschützten die Wände sie vor der erdrückenden, rauen Erkenntnis und der Gnadenlosigkeit des Lebens, dass immer und immer weiter ging, ohne anzuhalten. Doch hier erschien es als stand die Zeit still. Wenn es nur nicht so langweilig wäre...

Sie seufzte nahezu lautlos und zeichnete nachdenklich mit dem Finger die Linie einer Regentropfenbahn nach. Es gab Bücher zu lesen. Sie ging oft in die Bibliothek und holte sich ein neues Buch, aber irgendwann wurde es ermüden zu lesen, auch wenn Lyana das Lesen noch so sehr mochte. Vielleicht würde man ihr irgendwann einen Bleistift anvertrauen, ohne dass jemand Angst hätte, sie könnte sich damit selbst erstechen. Dann könnte sie wenigstens etwas zeichnen. Sie liebte das Zeichnen.

Es hatte also seine Vor- aber auch seine Nachteile hier zu sein. Die Doktorin, die ihr zugeteilt war, war an sich ganz nett und gab sich Mühe, aber wie Lyana bereits gewusst hatte, konnte die Doktorin ihr nicht helfen. Psychologie war eben kompliziert und nichts was ein fremder Mensch lernen konnte. Es gab nichts komplexeres als Psychologie. Der Geist war wie ein Buch das in hundert verschiedenen Sprachen und Verschlüsselungen geschrieben wurde und jeder Geist, ergo jedes andere Buch hat eine eigene Anordnung und somit eigene Verschlüsselung, die es galt immer wieder neu herauszufinden, was an ein Ding der Unmöglichkeit grenzte. Hatte man einen Code gefunden, funktionierte der noch lange nicht beim nächstens, nicht mal ansatzweise. Die Psyche war ein unendliches, verworrenes Geflecht, wie ein überdimensionales Labyrinth.

Psychologie konnte man nicht lernen und nicht verstehen. Keiner konnte das, nur man selbst. Nur man selbst konnte seinen eigenen Code entschlüsseln und vollends begreifen, und selbst das manchmal nicht.

Aber die Doktorin war wenigstens nett und gab sich Mühe. Lyana ließ sie meist reden, manchmal, an manchen Tagen, je nach Lyanas Laune, stellte sie kritische Konterfragen und ließ sich auf eine verbale komplexe Kontextebene herab, um der Doktorin zu zeigen, dass man Psychologie nicht verstehen konnte. Psychologie war ein Wortgefecht und keine gelernte Choreografie.

Kurz schweifte ihr Blick in den Raum. Sie drehte kaum merklich und unauffällig den Kopf, den sie an ihren angewinkelten Knien vergraben hatte. Es war Mittagszeit. Alle befanden sich also in der Kantine. Das Besteck und Teller klirrten laut, an der Essenausgabe wurde über den teils undefinierten Fraß aus pampigem Brei und Gemüse gemosert und an den Tischen wurde teils lautstark erzählt, gelacht oder herumgealbert. Manche schauten grimmig drein, hin und wieder zettelte einer Ärger an oder irgendeiner der schwerwiegenderen psychologischen Fällen meinte mal wieder auf den Tischen tanzen zu müssen und irgendetwas von Weltuntergang, Göttern und Superkräfte rausschreien zu müssen, bis die Wärter den kranken Narr vom Tisch runterzerrten und aus der Kantine schliffen.  Solche Leute waren krank, sie aber nicht. Es gab Unterschiede. Depression oder psychische Probleme, genau genommen auch Stress, all das war nicht unter eine Decke zu stecken. Und doch sahen alle Menschen einen sofort immer als krank an. Lyana hasste das. Sie war nicht krank und das wusste sie. Sie konnte klar denken. Ihre Auffassungsgabe trügte sie nicht. Sie wusste wie beschissen die Welt war und sie sah keine rosarote Welt oder hielt sich für eine Göttin mit Superkräften. Nein, sie sah einfach die dunkle Wahrheit und das war keine Krankheit.

Super Psycho Love -  [A Jerome Valeska Story] - GothamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt