Kapitel 5

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Das Leben im Camp begann früh. Chris wusste nicht mal mehr wann er eigentlich eingeschlafen war. Er wusste nur, dass er lange wach in seiner Hängematte gelegen hatte und die Decke angestarrt hatte. Das Schnarchen um ihn herum hatte schon fast eine hypnotische Wirkung auf ihn gehabt, bis er irgendwann tatsächlich schlafen konnte.
Am Morgen wurde er dann von Ana geweckt. Wie Darian ihm am Vorabend bereits mittgeteilt hatte, begann heute seine Schicht bei der jungen Jägerin.

Sie drückte ihm wortlos einen Bogen in die Hand, den er sich betrachtete und probehalber an der Sehne zupfte.
„Das heißt ich darf heute mit euch nach da draußen?" fragte Chris und sah zu Ana auf.
Im ersten Moment sah sie ihn nur verdattert an, ehe sie los prustete „Natürlich nicht! Wir schicken doch keine ahnungslosen Neulinge nach da draußen. Dann können wir auch gleich ein Selbstmordkommando auf dich aussprechen!"

Er blinzelte ein wenig verwundert, denn wieso war er dann heute hier bei ihr? Er hatte durchaus damit gerechnet, dass Ana ihm die Insel zeigen würde und er sich da draußen ein wenig umsehen konnte. Zumindest ein wenig...
„Du musst dich erst beweisen. Heute wirst du nur ein paar Schießübungen machen, wenn du mich überzeugst empfehle ich dich vielleicht für den Posten als Jäger. Insofern du keine kalte Füße bekommst und den Posten dann überhaupt antreten möchtest."

Chris sah sie nur an und schien noch abzuwägen. Wollte er wirklich da raus müssen? Er spürte wie sein Unterbewusstsein deutlich ein Ja rief, sein Verstand jedoch dagegen appellierte. Er war neugierig und sein Gefühl sagte ihm, dass diese Insel viele Geheimnisse barg. Er bekam irgendwie das vermaledeite Gefühl nicht los, dass dort draußen die Antwort auf alles lag. Es war als flüsterte die Insel ihm das zu, aber er musste näherkommen, um das Flüstern verstehen zu können. Chris war davon überzeugt, dass es Antworten hier zu finden gab und die ließen sich nun mal nicht finden, wenn man sich hinter einem Holzwall verschanzt.

Er konnte einfach nicht akzeptieren, dass es von hier kein Entkommen gab, also musste er selbst nach da draußen und alles erkunden, um einen Ausweg zu finden und auch um Antworten zu erhalten. Er ist gewiss kein Draufgänger, so wie Yunho es offenbar ist, aber er ist auch kein Feigling.

Außerdem wollte er nicht den ganzen Tag im Camp verbringen. Er wusste, dass die Mauer zum Schutz da war, aber diese spitzen Holzstämme wirkten auch irgendwie bedrohlich und beengend. Er fühlte sich durchaus ein wenig eingesperrt, fast wie in einem Gefängnis. Chris war daher sicher, wenn er nur hier drinnen verbringen würde, dann würde es ihn rammdösig machen.

„Siehst du den armen Tropf da drüben?" fragte sie und zeigte rüber zu dem großen Holztisch.

Dort stand ein Junge, der gerade dabei war die ganzen Schüsseln und Gläser vom Vorabend einzusammeln und zu stapeln. Der Junge wirkte bleich und hatte eine ausdruckslose, gar mehr schon freudlose Mimik im Gesicht. Seine Hände wirkten zittrig und dünn. Sein Gesicht war zerfurcht. Und Chris konnte eine lange Narbe erspähen, die sich über sein rechtes Auge zog, welches blass, fast schon komplett weiß im Sonnenlicht aufschimmerte.

„Der Kerl hat das Gesicht von einem Reißzahn zerkratzt bekommen und ist auf dem rechten Auge erblindet. Er war mal ein Jäger, hat den Posten dann aber aufgegeben. Seither trauen sich immer weniger nach draußen." berichtete sie.

Chris schluckte schwer und besah sich den armen Jungen, der wirklich nicht mehr wie ein Tropfen Elend aussah. Er wirkte so leblos wie seine helle Haut, als hätte ihn jegliche Lebensenergie verlassen und zurück blieb nur eine leere, freudlose Hülle, die wie eine Marionette wirkte. Das Trauma und die Angst, die er da erlebt hatte, saß ihm noch immer im Gesicht und prägten seinen ganzen Ausdruck und seine monotone Motorik, als sei er wirklich nur eine Hülle aus Fleisch und Knochen, die geistesgegenwärtig von unsichtbaren Fäden gelenkt wurde.

Die Fünf Elementare - Das Erwachen [Band 1 der Elementary-Trilogy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt