Kapitel 29

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Der Rest des Tages verlief schleppend und bedrückend. Erik und Yunho gingen sich eindeutig aus dem Weg und warfen sich nur von weit entfernt hasserfüllte Blicke zu. Beide waren eindeutig damit beschäftigt sich irgendwie abzureagieren. Darian hatte sich kopfschüttelnd und seufzend auf einer der Sitzbänke niedergelassen und den Kopf in den Händen vergraben. Die meisten andren waren bemüht ihren Aufgaben wieder nachzukommen, aber in allen Gesichtern zeichneten sich noch die niedergeschlagene Stimmung und die Sorge ab.

Die Geräusche der Scratchers, die noch immer vor dem Tor wüteten, machten die Sachlage und Gemütszustände aller im Camp nicht einfacher. Noch lange waren das Krakeelen und schaurige Geheul der Kreaturen zu hören. Hinzu kam das dumpfe Getrommel mit Fäusten gegen das Holz und das wilde Kratzen und Scharben. Nur ab und an kehrte mal ein wenig Ruhe ein, ehe das Geheul erneut losging. Nur gemächlich schienen die Laute vor dem Tor abzunehmen und sich nach und nach die Scratcher wieder zu verziehen.

Der heutige Tag hatte allen die Hoffnung und die Zuversicht geraubt und Zweifelhaftigkeit gestreut, dass sah man deutlich in allen Gesichtern. Alle wirkten wie geschundene und geprügelte Hunde, die mit eigezogenem Knick wie Leichen durch das Camp wanderten. Keiner wagte irgendetwas zu sagen, aber es war auch gar nicht nötig. Jeder wusste auch so wie sich alle fühlten und was alle dachten. Es wollte nur niemand ansprechen.

Die Melancholie lag spürbar in der Luft und legte sich wie Falten und Narben in der Mimik aller fest. Wie tonnenschwerer Ballast hang der Pein der Sorge in der Luft und schien alles unter sich zu begraben. Jeder machte sich Gedanken über den heutigen Vorfall. Die Beunruhigung war deutlich zu erkennen.

Zusätzlich stand noch die Anschuldigung Eriks im Raum. Waren wirklich Yunho, Darian und Chris daran schuld, dass die Scratcher nun sich auch tagsüber zeigten? Konnte er recht mit dieser Annahme haben?
Chris zerbrach sich unweigerlich den Kopf darüber und so ungern er zugab, Erik konnte durchaus recht mit dieser Hypothese haben. Immerhin war es wirklich ein auffälliger Zufall, dass nachdem sie gestern einige Scratcher niedergestreckt hatten, die Übrigen nun wie eine wildgewordene Horde am Tag umherstreunten. Fast so als wollten sie sich rächen, ganz wie Erik gesagt hatte.
Dennoch empfand Chris, dass Erik diese Anmaßung deutlich taktvoller und ruhiger hätte äußern können. Zum Beispiel ganz sachlich und dann nicht beleidigend und herabfallend hätte werden müssen.

Selbst der strahlende Sonnenschein hatte sich derweil verzogen, als habe sich der Himmel der bedrückten Stimmung angepasst und trauerte über die Lage.

Sogar am Abend, als alle am Lagerfeuer beisammensaßen, war es still und weiterhin hang diese betrübte Stimmung in der Luft wie eine dichte Wolkendecke. Alle aßen schweigsam und starrten vor sich hin wie Gespenster.

Es war ein furchtbar seltenes Bild, das es so ruhig am Abend war. Chris fand diesen Anblick schon desolat und trübsinnig. Er erinnerte sich daran wie immer ausgelassene Gespräche am Abend geführt worden waren, wie er in lachende Gesichter geblickt hatte, die voll Hoffnung und Tatendrang waren. Er erinnerte sich daran, wie am Abend getanzt wurde und einige beisammensaßen und irgendwelche Spiele spielten, die sie sich hier ausgedacht hatten und die man ohne Brett und Karten spielen konnte. Den Jungs und Mädels war immer irgendetwas eingefallen. Chris hatte es immer faszinierend gefunden. Am Lagerfeuer hatte man nie das Gefühl dieser ernsten, ausweglosen Lage verspürt. Nie hatte man das Gefühl gehabt, dass man in einer beklemmenden Situation festsaß. Als Chris immer in diese lachenden und fröhlichen Gesichter gesehen hatte, dann waren alle schrecklichen Gedanken wie weggeblasen gewesen und er hatte gar vergessen sich auf einer grässlichen, einsamen Insel zu befinden. Die Ausgelassenheit hatte auch stets die Geräuschkulisse da draußen übertönt.
Heute allerdings, war nichts von dieser aufheiternden Stimmung zu sehen und die betrübte Stille war mehr als moderat. Heute verspürte man, bis tief in die Knochen, wie ausweglos und misslich die Lage war. All diese sorgenschweren Gesichter und dieses schweigsame Beisammensein, erinnerte jede Sekunde daran was geschehen war und wo sie sich befanden. Diese befangene Stimmung und Situation fühlte sich zentnerschwer an und ließ Chris Magen randalieren.

Er erblickte Darian, der an einem der langen Tische saß und vor sich seine Schüssel stehen hatte. Er schien sein Essen überhaupt nicht angerührt zu haben und starrte einfach nur geistesabwesend vor sich hin. Er saß fast den ganzen Tag schon so bedrückt irgendwo und starrte einfach vor sich hin. Ihm gegenüber hatte sich Sarah gesetzt, die in ihrem Essen herumstocherte und immer mal wieder unsichere Blicke zu Darian warf. Sie schien angefressen zu sein Darian so zu sehen und die Stimmung nicht heben zu können. Sie hatte mehrfach versucht ein Gespräch zu beginnen, war allerdings gescheitert, weil Darian stets abgeblockt hatte. Nun stocherte sie daher in ihrem Essen umher und schien am Ende ihres Lateins.

Direkt am Lagerfeuer saß Erik und stierte in die Flammen mit einer finsteren Mimik, als forderte er das Feuer heraus. Er schien immer noch ziemlich angesäuert von der Auseinandersetzung.

Yunho schien es da nicht anders zu ergehen. Auch er hatte immer noch einen verärgerten Ausdruck im Gesicht und saß abseits von allen mit dem Rücken an einer der Holzhütten gelehnt, während er einige Grashalme in Stücke riss. Der Asiate hatte keine Schüssel bei sich und schien sich auch nichts zu Essen geholt zu haben.

Ana hingegen saß seufzend an einem anderen Tisch. Auch sie schien deutlich frustriert und genervt von der Situation. Sie sah immer mal wieder durch die Gegend. Sah mal zu Darian, mal zu Yunho, ehe sie kopfschüttelnd wieder in ihre Schüssel blickte.

Ina und Jan hingegen standen gerade bei Marc an, um sich etwas zu Essen zu holen. Auch in deren Gesicht spiegelte sich Missstimmung und beide wirkten etwas blass. Sie hatten sich um die Verletzten gekümmert, was gewiss auch an deren Gemüt zerrte. Zusätzlich nun alle anderen mit solch einer Lauen zu sehen, zog allesamt runter.

Darek und Ayden saßen ebenfalls am Lagerfeuer. Auch sie beide wechselten kein Wort. Sie aßen nur schweigsam.

Chris senkte den Blick, denn irgendwie war es unheimlich deprimierten alle so niedergeschlagen zu sehen. Es schlug ihm auf den Magen, so dass er kein Verlangen verspürte sich für die Essenausgabe bei Marc anzustellen, weil er wusste, dass er ohnehin kaum einen Bissen hinunterbringen würde und wohl eher nur im Essen herumstochern würde, so wie die meisten anderen auch. Es wäre also Verschwendung sich etwas zu Essen zu holen.

Chris hoffte einfach nur, dass sich die Stimmung über Nacht heben würde und am nächsten Morgen diese tiefe Frustration sich aufgeklärt hätte wie eine verflüchtigende Regenfront. Aber er zeigte keine allzu große Zuversicht. Er glaubte nicht wirklich daran, dass diese Stimmung sich einfach wieder aufklären würde. Das Camp schien einen großen Tiefpunkt erreicht zu haben und es würde schwer werden dort wieder hauszukommen. Chris ahnte noch nicht, dass dieser Tiefpunkt, allerdings noch nicht an der tiefsten Stelle war.

Für heute wünschte er sich allerdings, dass er eine weitere Erinnerung zurückbekäme, in der winzigen Hoffnung, dass sie ihm vielleicht endlich Antworten lieferte. Irgendeine Antwort, die allen vielleicht wieder Hoffnung machen würde und womit er dieses Tief verscheuchen könnte. Er hoffte es so sehr, sehnte es sich herbei und betete gar dafür.

Die Fünf Elementare - Das Erwachen [Band 1 der Elementary-Trilogy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt