Kapitel 39

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Die letzten Männer und Frauen in Vollmontur hievten sich über den Rand des Einstiegs, ehe einer die Tür mit einem kräftigen Ruck zuschob. Alle ließen sie sich einfach auf dem Metallboden nieder. Einige setzten die Masken gar ab und gaben ihr Gesicht preis. Alles Männer und Frauen im mittleren Alter. Sie wirkten ebenso fertig und verschwitzt, was vermutlich auch daran lag, dass es unter der Maske und der dicken Schutzkleidung sicher schnell warm und stickig wurde.
Das Flugobjekt setzte sich in Bewegung, weswegen Yunho sich etwas aufrichtete. Er rückte näher an die länglichen, aber schmalen, Fenster, um nach draußen zu sehen. Auch Chris, Darian und ein paar wenige andere rafften sich auf, um nach draußen zu sehen und sich an den Fenstern zusammenzudrängen. Unter ihnen lag die Insel und von hier hoben, ließ sich erst einmal das gesamte Ausmaß der Insel betrachten. Auch ihr Camp war gut zu sehen, das mitten aus dem Dickicht herausstach. Die verlassene Forschungsstation auf dem kleinen Berg war zu erkennen und auch die zwei Buchten der Insel erblickte man auf Anhieb. Die Insel war wirklich groß.

Chris konnte es noch gar nicht glauben, dass sie nun wirklich von dort wegkamen. Obwohl er unbedingt einen letzten Blick auf die Insel erhaschen wollte, um sich zu vergewissern, wie sie in der Ferne immer kleiner werden würde, fühlte es sich noch so surreal an. Vielleicht weil der Schock und das Adrenalin noch längst nicht abgeklungen war. Vielleicht weil er noch viel zu erschöpft war, um das alles zu realisieren und zu verarbeiten, womöglich fühlte es sich deswegen noch so surreal an.

Er hatte Wochen dort gelebt, die andere sogar weitaus länger als er, fast zwei Jahre. Für Darian und die andren musste es also noch einmal deutlich unfassbarer sein nun von dort wegzukommen. Erstaunlicherweise spürte Chris weder Erleichterung noch Freude oder Trauer. Er fühlte einfach gar nichts. Er spürte keinerlei Regung, als er gleichgültig, nahezu mit leerem Blick zurück auf die Insel blickte. Womöglich war auch dies noch dem Schock und dem rauschenden Adrenalin geschuldet, weil die Grausamkeit über die vielen Verluste und Erlebnisse, die sie dort auf der Insel gelassen hatte, noch tief in Mark und Knochen saß. Er konnte einfach keine Freude empfinden. Er fühlte momentan nur Leere.

Einfach alles war noch zu unbegreiflich und die Ereignisse noch zu frisch, um sie zu verarbeiten. Chris presste die Lippen aufeinander als er Ina erblickte, die noch immer zusammengekauert in einem Eck saß und um Jan trauerte. Er wünschte er hätte etwas für ihn tun können. Ina und er mussten sehr gute Freunde gewesen sein. Auch kam ihm Luke ins Gedächtnis, der sich erst kürzlich an die Verzweiflung verloren hatte. Wenn Luke nur gewusst hätte, was geschehen würde, dass sie nun doch von der Insel runterkamen, dass eine Möglichkeit bestünde, dann hätte er diese Entscheidung gewiss nicht gefällt. Vermutlich würde er seine Entscheidung nun bereuen, denn er hätte einer der Überlebenden sein können. Chris spürte jedenfalls einen dumpfen Schmerz in seinem Herzen, als ihm bewusst wurde, wie traurig und gemein dieses Schicksal war.

Er wandte sich von der Fensterfront ab und ließ sich wieder zu Boden gleiten. Sein Blick fiel rüber zu einem der Männer, die ihre Masken abgesetzt hatten. Der Mann lächelte ihm zu. Ein leichter Dreitagebart umspielte seine schmalen Lippen. Seine schwarzen Haare waren schon leicht graumeliert.
„Was zieht ihr alle für Gesichter?" sagte er mit einer leicht kratzigen Stimme „Es ist vorbei. Ihr habt es endlich geschafft."

Chris wechselte mit den anderen leicht ungläubige Blicke, ehe sie alle wieder zu dem Mann sahen.
„Ihr seid nun sicher. Wir bringen euch an einen Ort wo Licht euch nicht finden wird. Nie wieder." versicherte er aufrichtig.

Yunho war der erste der etwas sagte, der sich aufgerafft bekam Worte zu formen „Licht?"

Chris erinnerte sich an den Namen. Im Gebäude der leeren, verlassenen Forschungsabteilung hatten sie mehrere Schriftzüge gefunden, auf denen Licht gestanden hatte.

Der Mann nickte „Die Organisation, die euch auf die Insel verfrachtet hat."

„Wieso?" kam Chris einfach so reflexartig und reserviert über die Lippen noch bevor er den Gedanken gefasst hatte „Wieso brachten sie uns auf die Insel?"
Der Mann sah ihn kurz eingehend an, ehe er antwortete „Alles zu seiner Zeit. Unser Truppanführer Jun Sato wird euch sicher alles erklären sobald wir die Basis erreicht haben."

Yunho warf wieder einen Seitenblick zu Chris. Chris war sich nicht sicher ob Yunho ihm mit dem Blick mitteilte, dass er misstrauisch war oder dass es ihm missfiel nicht direkt Antworten zu bekommen. So wie er Yunho kannte, gefiel ihm beides nicht.

„Geben Sie uns wenigstens Antworten darauf was das alles für Kreaturen dort waren. Die Scratchers zum Beispiel, die sie niedergeschossen haben?" mischte Darian sich nun ein und seine Stimme klang erstaunlich gereizt.

Der Mann lachte, weswegen alle ihn verwundert ansahen.
„Scratchers?" fragte er lachend „So habt ihr die Dinger genannt?"

Die Jungs sahen sich wieder untereinander etwas angesäuert an, darüber, dass sich der Mann offenbar über die eigene Kreativität lustig machte.
„Ja irgendwie mussten wir die Scheißviecher ja nennen! Wie hätten wir sie sonst nennen sollen, mh? Konnt ja keiner von uns wissen, dass es einen offiziellen Namen gibt, oder was? Scratchers, wir haben sie so genannt wegen den langen Fingernägeln!" plädierte Yunho sofort etwas eingeschnappt.

Der Mann nickte weiterhin belustigt und unberührt von Yunhos Verärgerung „Na an Kreativität hat's euch nicht gemangelt, was?"
Die Jungs sahen ihn nur weiter etwas dunkel an und schienen nicht auf Späße ausgelegt, dass erkannte endlich auch der Mann, weswegen er schnell umschwang und sich räusperte, „Es sind Magieverseuchte."

„Magieverseuchte?" hakte Chris irritiert nach.
Der Mann nickte „Menschen, die von finsterer Magie zerfressen wurden und sie so zu abscheulichen Biestern wurden. Sie besitzen keinen Verstand mehr. Nichts bleibt mehr von den Menschen übrig, die sie einst gewesen waren sobald die Magie ihren Verstand und ihre Seelen völlig verzerrt hat."

Chris Hals schnürte sich zu und er schluckte einen schweren Klos herunter. Er hatte es bereits geahnt, aber nun die Bestätigung zu hören, dass diese Kreaturen wirklich mal einst normale Menschen gewesen waren, machte die Tatsache noch schrecklicher. Auch wenn sie ihren Verstand verloren hatten, so waren sie einst mal normale Menschen, Menschen, die er getötet hatte. Chris wischte sich unweigerlich die Hände an der Hose ab, als wolle er die Schuldgefühle und das Blut von sich abstreifen.

Dabei fiel sein Blick auf seinen Arm auf dem immer noch Kratzer prangten von den Scratchern. Die Sorge musste ihm ins Gesicht gestanden haben, weswegen der Mann sofort beschwichtigte „Sie sind nicht ansteckend, keine Sorge."

„Wie genau wird man dann zu einem Scratcher oder Magieverseuchten oder wie auch immer Sie das nennen wollen, wenn sie nicht ansteckend sind?" hakte Yunho weiterhin kritisch und mit stoischer Beharrlichkeit nach.

Der Mann lächelte nur wieder über die Frage. Warum er dauernd grinste, war Chris mehr als schleierhaft, denn ihm war momentan überhaupt nicht zum Lächeln zu mute.
„Nicht alle Menschen sind dazu bestimmt mit Magie umgehen zu können, um genau zu sein sind nur die wenigsten damit gesegnet Magie nutzen zu können. Alle anderen, die es versuchen werden von der Dunkelheit zerfressen, weil sie die Magie nicht kontrollieren können. Sie drehen durch, werden zu süchtigen, bestialischen Magiejunkies. Die sind wie auf Droge, richtige Junkies einfach. Ihr jedoch zählt zu diesen außerordentlich wenigen Menschen, die eben jene besonderen Fähigkeiten besitzen Magie kontrollieren zu können, genau das macht euch zu einer Zielscheibe." erläuterte der Mann.

Wieder tauschte Chris mit seinen Freunden schweigende Blicke aus.

Die Fünf Elementare - Das Erwachen [Band 1 der Elementary-Trilogy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt