Kapitel 27

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Ein lautes Stimmenwirrwarr ließ Chris erwachen. Zunächst blinzelte er verwundert darüber, bis er realisierte, dass er sich den Tumult nicht einbildete. Sofort riss er die Augen auf und sah wie einige Mädchen und Jungs wild durch das Camp rannten. Irgendetwas war passiert.

Es war noch helllichter Tag. Chris erhob sich eilig und bemerkte nur beiläufig, dass irgendjemand ihm eine Decke übergelegt hatte, als er wohl fest eingeschlafen war. Er hatte nicht einmal bemerkt wer es war, aber es war auch nebensächlich sich darüber nun Gedanken zu machen.

Chris verließ seinen Ruheort und lief mit schnellen Schritten auf den Tumult zu. Wild riefen einige irgendetwas durcheinander. Manche schienen ziellos umher zu rennen. Die Wachleute auf den Türmen sahen angespannt nach draußen. Bogenschützen hatten sich zusätzlich positioniert und am Tor zum Camp schien die Hölle los zu sein.

Chris versuchte Yunho oder Darian in dem wilden Durcheinander ausfindig zu machen, irgendjemand den er fragen konnte was los sei.

Ein Junge rempelte ihn ausversehen an, als er an Chris vorbeistürmte. Er rief noch ein Entschuldigung zurück, ehe er weiter rannte. Es machte Chris nervös nicht zu wissen was los war und all die chaotischen Menschen hier herumwuseln zu sehen wie ein orientierungsloser Ameisenhaufen.

Angst und Verunsicherung zeichnete sich in den Gesichtern ab, so viel konnte Chris herauslesen.

Er arbeitete sich voran, schob sich an einigen vorbei, bis er endlich Darian erblickte, der bei einigen Jungs und Mädchen direkt vorne am Tor stand, welches ein Spalt breit offen war.

Dahinter hatte sich eine enge Menschenmenge gebildet, wie eine Mauer, die angespannt und dicht an dicht beisammenstanden, alle mit Waffen in der Hand.
Wild wurden Wörter durcheinander gerufen, so dass Chris Mühe hatte einiges davon herauszufiltern.

„Schließt das Tor!"
„Nein noch nicht!"
„Beeilt euch!"
„Scheiße!"

„Jetzt macht, verdammt nochmal!"
Chris zuckte zusammen als Geheul erklang, völlig unverkennbare Schreie, die Klänge und Rufe der Scratchers. Chris Kopf ratterte und er brauchte einige Sekunden, um die Sachlage zu ordnen. Es war noch Mittag. Die Sonne stand hoch am Himmel und da draußen waren Scratchers zu hören, kein Wunder, dass alle in Aufruhr waren. Es war unmöglich, er musste sich irren. Scratcher kamen nur bei Nacht bzw. sobald es dämmert aus ihren Löchern gekrochen, aber niemals bei Tag!
Erneut fegten schrille Schreie und langgezogenes Ächzen und Stöhnen, wie eine Welle des Grauens über das Camp. Diese seltsamen Schauerlaute konnten nur von den Scratchers stammen. Sie waren unverwechselbar.
Rufe überschlugen sich mit den Schreien der Kreaturen.
„Ana!" hörte er nun deutlich Darian „Beeil dich!"
Chris sah wieder vor zum Tor, wo eine ganze Reihe Jungs und Mädchen sich bereit machten den letzten Torspalt zu schließen und die andere bewaffnete Reihe damit begann nervös hin und her zu tänzeln.

Wenig später schlüpfte jemand durch den Torspalt. Es war Ana, im Schlepptau einen Jungen, der offensichtlich bewusstlos war. Sie hatte sich einen Arm über die Schulter gelegt und schliff den Jungen hinter sich her. Ein zweiter Junge schlüpfte direkt hinter ihr hindurch, stolperte schon mehr ins Camp. Er krabbelte hysterisch über den Boden, weg von dem Tor und Chris hatte noch nie einen solch entsetzten Ausdruck gesehen wie bei diesem Jungen.

„Schließt das Tor! Schließt das gottverdammte Tor!"

Sofort warf sich eine ganze Meute gegen das sperrige, widerspenstige Holztor und mit gemeinsamer Kraft schoben sie es zu. Keine Sekunde zu spät, denn direkt danach donnerte etwas auf der anderen Seite gegen das Tor, so dass die Hölzer gar wackelten. Die Jungs und Mädchen wichen sofort erschrocken zurück. Jemand klopfte wild gegen das Holz und rief hysterisch.
„Lasst mich rein!"
In Chris Hals bildete sich ein Klos und er fühlte einen schweren Stein im Magen. Die Rufe des Jungens wandelte sich in binnen von Sekunden in fürchterliche, qualvolle Schreie, die einem die Seele zerrissen und sich in Mark und Knochen bohrten. Grässliches Knurren und Keuchen der Scratchers war zu hören was sich in qualvolle Schreie und Flehen des Jungens überschlug. Alle im Camp ließ es das Blut in Adern gefrieren und sie still stehen. Sie starrten einfach nur wie angewurzelt vor sich hin und die Farbe entglitt jedem aus dem Gesicht.
Die Geräuschkulisse war schrecklich und es reichte, um zu wissen, was auf der anderen Seite des Holzwalles geschah. Der arme Junge der dort zurückgeblieben war, wurde von den Scratchern gerade in alle Einzelteile zerlegt und allein die Vorstellung, allein die Laute, ließen Chris den Magen umdrehen und ein Gefühl in ihm aufkommen, als würde er sich am liebsten übergeben wollen.

Anderen erschien es allerdings nicht anders zu ergehen. Einige sackten auf die Knie. Ein anderer rannte mit vorgehaltener Hand vor dem Mund davon und unterdrückte deutlich ein Würgen. Während der andere Junge, der es zuvor gerade noch so ins Camp geschafft hatte, sich auf die Seite warf und seinen Mageninhalt entleerte. Vermutlich war der zusätzliche Schock ihm heftig auf den Magen geschlagen. Es wäre nicht verwunderlich.

Die flehenden, verzweifelten Schreie des Jungens waren derweil verschwunden, zurück blieb das widerliche Ächzen und Stöhnen der Scratchers, die damit begonnen hatten ihre Fingernägel über das Holz des Walls zu schaben und halbherzig dagegen klopften. Es war ein beunruhigendes Gefühl zu wissen, dass dort draußen eine Unmenge an schreckliche Kreaturen lauerte. Zwar lag der massive Holzwall zwischen ihnen, aber wirklich beruhigend empfand dies momentan niemand. Im Gegenteil sie fühlten sich alle ziemlich unsicher.

Ana war mit dem bewusstlosen Jungen derweil auch zu Boden gesackt. Ein Menschenauflauf bildete sich um sie und jeder schien Antworten zu erwarten. Darian schob sich durch die Menschenmasse, auch Chris versuchte sich weit nach vorne zu schieben, um einen Blick auf die Geschehnisse zu werfen.
Ana sah ziemlich mitgenommen aus, aber noch schlimmer schien es den bewusstlosen Jungen getroffen zu haben. Blut rann seinen rechten Arm herunter, der völlig in Rot schimmerte und mit tiefen Kratzspuren nur so übersät war, die sich in sein Fleisch gebohrt hatten. Sein Shirt und seine Hose völlig zerrissen und auch am rechten Oberschenkel klafften tiefe Kratzspuren.

„Wo ist der Rest?" entgegnete Darian, der eigentlich die Antwort auf diese Frage genauso gut kannte wie jeder andere hier auch.
„Zurückgeblieben..." gab Ana schweratmend zurück und sah eingehend auf zu dem rostbraunhaarigen.

„Was zur heiligen Scheiße ist passiert?" hörte man aus der Menge, eindeutig Yunho, der sich nun grob und verärgert an den Schaulustigen vorbeidrängte, die kaum rückten.
„Diese Mistdinger kamen wie aus dem Nichts..." begann Ana abgehakt vor Atemnot, aber mit Zorn in der Stimme „Sie sind einfach auf uns losgegangen. Es wurden immer mehr. Eine ganze Horde von denen!"

Fassungslosigkeit stand in allen Gesichtern. Sie schienen nicht glauben zu können was Ana da gerade berichtete, auch wenn sie alle bereits mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört hatten, dass es wahr war.
„Die Scratchers haben uns einfach überrumpelt. Wir hatten keine Chance." gestand sie etwas verbissen, wohl auch weil sie an die andren dachte, die es nicht geschafft hatten.
„Ich dachte die seien nur nachtaktiv!" hörte man einen Jungen aus der Menge.

Ein Mädchen fügte an „Und mögen die Sonne nicht!"
Getuschel und Diskussionen brachen aus. Die Stimmen überschlugen sich. Alle sprachen einfach drauf los.
„Ruhe, verdammt nochmal!" schrie Yunho und sofort verstummten alle wieder, ehe er ruhig weiter sprach „Ja das dachten wir ja auch und die ganze Zeit war es auch so, dass sich die Scratchers nur bei Nacht und Dämmerung gezeigt haben. Wir müssen nun Ruhe bewahren! Wie wildgewordene Hühner hysterisch im Kreis rennen bringt uns nicht weiter!"

„Aber wieso tauchen sie dann plötzlich am hellen Tag auf?" warf einer ein „Es muss doch ein Grund geben!"
„Vielleicht sind sie sauer, weil unsere drei Helden letzte Nacht ein paar ihrer Kumpels abgemurkst haben. Vielleicht fordern sie Rache oder ihr Essen zurück." sagte jemand kühl und es klang fast wie die Stimme aus dem Hinterhalt, so belanglos und ausdruckslos einfach aus der Menge heraus.
Chris erkannte die Stimme allerdings sofort und augenblicklich drehten sich einig um, machten Platz und gaben so Erik preis, der mit verschränkten Armen einfach in der Menge gestanden hatte.

Die Fünf Elementare - Das Erwachen [Band 1 der Elementary-Trilogy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt