Kapitel 17

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„Chris!" hörte er streng die Stimme eines Mannes „Du musst dich schon mehr anstrengen."

Vor dem Mann stand ein kleiner, junger Chris, nicht viel älter als in der letzten Erinnerung, also so um die sieben, acht Jahre alt. Erst beim näheren Hinsehen erkannte er, dass der Mann, derselbe war wie in einer anderen Erinnerung. Der Mann der sich ihm als Alec vorgestellt hatte.
Er sah betreten und beschämt zu Boden und zog eine traurige Schnute. Der Mann ging in die Hocke, um auf eine Höhe mit ihm zu sein, ehe er die Hände auf seine Schultern legte.
„Hör zu..." begann er nun deutlich ruhiger und weicher „Es ist wirklich wichtig, dass du lernst diese Kräfte zu beherrschen, verstehst du?"
Er nickte nur kaum merklich.
„Du bist sehr wichtig und besonders. Du kannst das schaffen, das weiß ich." redete Alec nun auf ihn ein und lächelte ihm zu „Wenn du lernst mit diesen Kräften umzugehen, dann kannst du dich verteidigen und kannst all diejenigen beschützen, die dir lieb sind. Ist das nicht großartig? Du bist der Schlüssel dazu die Welt zu verändern und sie wieder zu einem besseren Ort zu machen."

Ein leicht ungläubiges, erzwungenes Lächeln kam dem Jungen über die Lippen und er sah nur leicht mit den Augen zu ihm nach oben. Er schien nicht allzu überzeugt und pure Traurigkeit stand in seinem Gesicht.
„Ich hätte Mutter beschützen können..." flüsterte er dann betreten.

Der Mann atmete schwer aus, ehe er ihn zu sich zog und die Arme beschützend und liebend um ihn legte „Ach, Chris....sag das nicht so als wäre es deine Schuld."

Tränen drohten dem Jungen aufzukommen, während der träumende Chris versuchte zu begreifen was die Szenerie die er da, aus perspektive seines viel jüngeren Ichs erlebte, zu bedeuten hatte. Alles kam ihm bekannt vor und doch fehlten so viele Puzzleteile damit es ein ganzes Stück ergab. Es war absolut eigenartig etwas aus der Perspektive eines Vergangenheits-Ichs zu erleben und zu wissen, dass es eine Erinnerung von einem war, aber doch nichts recht damit anfangen konnte.

Alec schob den Jungen wieder etwas von sich weg, um ihm ins Gesicht zu sehen. Eilig wischte sich der junge Chris die Tränen aus dem Gesicht, als wäre es ihm peinlich, wenn der Mann ihn weinen sah. Er lächelte jedoch nur wieder und strich nun selbst mit dem Daumen ihm die Augen trocken.

„Ich bemüh mich ja...." sagte der Junge dann, ein wenig verzweifelt „...aber es ist schwer."
„Ich weiß, ich weiß...." sprach Alec sensibel „Aber ich weiß auch, dass du das schaffen kannst. Glaub an dich."

Der Junge sah ihn nur weiter ungläubig an.
„Komm schon. Du bist doch ein starker Junge. Also zeig mir was du kannst." sprach er weiter aufmunternd und tippte ihm dann auf die Nase und brachte ihn wenigstens kurz zum Schmunzeln.
„Also lass uns die Übung noch einmal versuchen, ok?" sagte Alec dann und erhob sich.
Er nickte und ergriff seine Hand „Danach darf ich wieder zu meinen Freunden?"

Der Mann nickte „Klar."

Im selben Moment wurde die Tür geöffnet und ein grimmiger Mann trat ein. Er trug eine dicke, rote Daunenjacke, schwarze Hosen und dicke Feldstiefel. Am Gürtel hatte er verschiedenste Dinge hängen wie ein Walkie-Talkie, ein Halfter mit einer Pistole und noch andere seltsame Gerätschaften.
„Die Untersuchung wartet." sagte der Mann mit belegt kühler Stimme.
Der junge Chris drückte unweigerlich die Hand des Mannes fester und schmiegte sich schutzsuchend an Alec.

„Jetzt schon?" entgegnete Alec überrascht und sah kurz hinab zu Chris, ehe er wieder zu dem Mann rüber sah „Kann das nicht noch einen Moment warten. Wir sind noch nicht fertig."
Der Mann blieb jedoch eisern „Anweisung von Oben aus der Forschungsabteilung. Ich soll den Jungen direkt mitnehmen."

„Ist das nicht ein bisschen viel?" warf Alec wieder protestierend ein „Der Junge versucht bereits drei Elemente zu beherrschen."

Die Mimik des Mannes blieb absolut unberührt „Gerade deswegen sind die stetigen Kontrolluntersuchungen wichtig, auch um mehr Ergebnisse zu erzielen. Das sollten Sie selbst doch auch am besten wissen."
Der Mann sah dann zu Chris „Also los komm mit."
„Ich will aber nicht..." sagte Chris ein wenig kleinlaut, weswegen Alec wieder zu ihm sah „Du weißt doch, dass du da nicht drum herum kommst."
Er nickte wissend „Aber ich mag die Untersuchungen nicht..."
„Danach kannst du auch wieder zurück zu deinen Freunden, ok?" schlug Alec ihm versöhnlich vor, ehe er noch anfügte „Und wie wäre es, wenn ich euch dann allen ein Eis spendiere?"
Chris Augen funkelten zum ersten Mal und zum ersten Mal schien seine Traurigkeit aus seinem Gesicht zu weichen „Wirklich?"
„Versprochen!" sagte Alec.

Der kleine Junge nickte und ging dann mit dem grimmigen Mann mit. Er warf nochmal einen Blick zurück zu Alec, der ihm nachwinkte, ehe er dann dem Mann hinterhertrottete, durch einen langen, sterilen Flur. Die Wände waren weiß und kahl. Der Boden war mit grauen Fließen bedeckt, in die wiederum eine Lichtleiste, je rechts und links angebracht war, ähnlich wie die Lichtleiste in einem Flugzeug für die Notausgänge. Sie liefen an etlichen futuristischen, hydraulischen Türen vorbei, die offenbar alle mit einem Sicherheitscode verschlossen waren und eine Schlüsselkarte benötigten, davon zeugte die Apparatur, die neben den Türen in der Wand eingelassen war. Große Fensterscheiben gewahren ab und an Einblicke in die Räumlichkeiten hinter den Türen, in die man durch den Flur sehen konnte dank der Fenster, die massiv wie Panzerglas wirkten. Nicht alle Räume hatten diese innengelegenen Fenster zum Flur. Chris kam sich mehr vor wie in einer Raumstation

Ab da verschwamm das Bild und Chris erwachte wieder in der Gegenwart in seiner Hängematte in der Hütte. Jeder Erinnerungsfetzen schien skurriler zu werden und immer mehr Fragen aufzuwerfen. Es ist und bleibt Chris alles ein einziges Rätsel. Es war als lägen tausende Buchstaben bereits vor ihm und doch konnte er die Buchstaben nicht zu einem Wort zusammenfügen. Das war so verdammt frustrierend! Es gab keinen wirklichen Anknüpfungspunkt, als läge ein verworrenes und mit tausend Knoten gespicktes Seil vor ihm, bei dem er nicht wusste, wo Anfang und Ende war um es zu entwirren.

Wieder war das Wort Elemente gefallen und Chris bekam das Gefühl einfach nicht los, dass dieses Wort unheimlich wichtig war und irgendwas in ihm auslöste. Ihm kam das Wort so verdammt bekannt und geläufig vor und doch wusste er nicht wieso. Er kramte angestrengt in seinem Oberstübchen herum, aber fand nichts Greifbares. Es war wirklich niederschmetternd, wenn man ganz genau wusste, dass alle Antworten sich in dem eigenen Kopf versteckten, aber eine bescheuerte Blockade verhinderte, dass man dort drangelangte. Es war zum verrückt werden.

Seufzend rieb Chris sich die Hände übers Gesicht. Er sollte einsehen, dass es nichts brachte seinen Kopf zu durchwühlen. Die Erinnerungen kamen nur in Fetzen zurück, ganz wie sie wollten, aber nicht, wenn er explizit danach bat und sein Gehirn durchforstete. Mittlerweile müsste er es verstanden haben und dennoch ertappte er sich immer und immer wieder dabei, als er versuchte in seinem Kopf angestrengt nach weiteren Erinnerungen zu kramen und vergeblich versuchte die Stücke zusammenzufügen und die noch fehlenden ausfindig zu machen. Jedes Mal blieb er ohne Erfolg. Im Gegenteil, wenn er es zu angestrengt versuchte, bekam er dadurch wieder Kopfschmerzen.

Als er die Traumerinnerung nochmal Revuepassieren ließ, schoss ihm wie ein Blitz ein Gedanke in den Kopf. Das ganze Gerede von Ergebnissen, Kontrolluntersuchungen und das Aussehen dieser schlichten, aufs pragmatische heruntergebrochene Einrichtung erinnerten stark an ein Krankenhaus oder....eine Forschungseinrichtung! Das verlassene Gebäude auf der Insel, welches zwischen den Gebirgen und über den Baumkronen hervorlugte. Yunho hatte es mal erwähnt, dass das Gebäude an eine verlassene Forschungsanlage erinnerte. Genau das war vielleicht der Anknüpfungspunkt, um dieses ganze chaotische Gewirr zu lösen.

Es konnte kaum ein Zufall sein, dass sich auf der Insel ein verlassenes Gebäude befand, was laut Yunho wie eine Forschungsstation oder Labor aussah und in seiner Traumerinnerung er sich ebenfalls in einer Art Forschungseinrichtung befand, oder? Das musste ein Hinweis sein. Alles deutete irgendwie darauf hin und es verursachte immer mehr ein ungutes Gefühl in der Magengegend von Chris, denn das konnte doch gar nichts Gutes bedeuten...

Die Fünf Elementare - Das Erwachen [Band 1 der Elementary-Trilogy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt