Magnus
Mit gekräuselter Stirn drücke ich meine Nase an das Glas des Fensters. Der Wind fegt über die Stadt und bringt die ganzen ausgebreiteten Regenschirme beinahe zum Fliegen. Das Wetter ist so schlimm das selbst Mary Poppins schlecht werden würde. Ob sie sich schon mal übergeben musste? War sie gegen Wind und Wetter resistent? Welche Jahreszeit liebte sie? Und wie viel Haarspray verwendete sie, damit ihre Haare immer so perfekt saßen?
"Ach Magnus. Die Fenster hatte ich erst geputzt. Jetzt habe ich schon wieder deinen Nasenabdruck dort." Ich trenne mich von dem kühlen Halt, welchen mir das Fenster geboten hat. Meine Augen schielen auf die Spitze meiner Nase. Sie ist rot. Den Ärmel meines Shirts ziehe ich über meine Handfläche und versuche somit den Fleck hinfort zu wischen. Dadurch wird es leider nur noch schlimmer. Mein Onkel hebt seine Hand und macht diese mit seiner Stirn bekannt. "Es ist hoffnungslos..." Ich kann nur lächeln. Onkel Ragnor hat mir schon oft erklärt das der Stoff meiner Kleidung nicht dafür geeignet ist, ein Fenster zu putzen. Von Natur aus war er grimmig. Zufrieden stellen konnte man ihn nur mit Abwesenheit aller Menschen.
Das hatte mittlerweile die ganze Familie verstanden. Alle außer ich. Oft wollte ich mich schon für meinen Besuch entschuldigen. Aber es tat mir einfach nicht leid. So einfach war das. "Ich mach es dann gleich weg." Ragnor zog seine Augenbrauen bis zum Haaransatz. "Gut, ich mach es gar nicht." Empört sah er mich an. Ich konnte nicht anders als ihm die Zunge heraus zu strecken bevor ich mir eines der tausend Putztücher nahm. Das blaue Fensterputzmittel stand gleich vorne. Großzügig sprühte ich es auf das Glas. Kurz empfand ich ein Gefühl der puren Freude. Wie eine heiße Kartoffel ließ ich diese fallen. Dabei ärgerte ich mich wieder selbst über mich.
Genervt verrieb ich das gut riechende Mittel auf dem Fenster und sah währenddessen dabei zu, wie es seine vollständige Durchsicht wieder erlangte. "Mum sagte du brauchst bei irgendetwas Hilfe?" Genervt seufzte er. "Sie übertreibt. Wie immer." Die beiden waren Geschwister und das komplette Gegenteil. Ragnor war mürrisch. Meine Mum war ulkig. Trotzdem verstanden sie sich. Ihre Geschwisterliebe war immer wieder faszinierend.
Ein weiterer Grund warum ich meinen Onkel ständig besuchte war, das er gefühlt der einzige Mensch ist der mich nicht auf meine Eigenschaften hinwies. Sie störten mich selbst. Aber ich musste mit ihnen leben und er war es, der es genau so sah. Ragnor wollte nichts ändern. "Ich weiß. Sie hat mich groß gezogen." Er zuckt nur mit den Schultern. "Wenigstens etwas, was sie konsequent durchgezogen hat. Und daraus auch noch etwas akzeptables entstanden ist." Ein Kompliment für seine Verhältnisse. Dankbar lächle ich ihn an.
Seine Mundwinkel zucken Richtung Himmel. "Ok, genug geredet. Wollen wir los legen?" Damit ging er voraus. Ich sah nochmal zum Fenster. Es glänzte und somit war ich mit meinem Werk zufrieden. Flink folgte ich meinem Onkel in sein Arbeitszimmer. Er benutzte es nur noch kaum. Mit der Zeit hatte er sich abgewöhnt auch noch zusätzlich Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Es hat ihn immer mehr belastet.
"Den Schrank müssten wir aussortieren." Er deutete mit einem Finger auf das Prachtexemplar. Beherzt öffnete ich die Türen. In wenigen Sekunden kam mir ein drittel des Innenlebens entgegen. "Wie sagt Mum immer so schön. Aufräumen ist für Anfänger. Profis schlagen die Schranktüren schneller zu als das Gerümpel rausfallen kann." In dem Punkt waren sie gleich. Im Chaos fanden sie Sachen besser als in der Ordnung. Etwas, was ich zum Beispiel nicht verstand. Mein ehemaliges Kinderzimmer ist der einzige Raum in der Wohnung meiner Mum, welches penibel aufgeräumt ist.
"Es hat sich über die Jahre so manches angesammelt." Kritisch nicke ich. "So manches klingt nach einer deutlichen Untertreibung." Ich hebe eine Zeitschrift auf. "Wow. Krass. Erst elf Jahre alt." Der Stuhl neben mir war Einladung genug mein Allerwertesten darauf zu platzieren. Ich blätterte durch die Zeitung um den Witz des Tages zu suchen. "Erzählt die Frau ihrem Mann nach dem Arztbesuch 'Weißt du was, der Arzt meinte, ich hätte so tolle Beine wie eine zwanzig Jährige.' Der Mann 'Und deinen sechszig Jährigen Arsch hat er nicht erwähnt?' Die Frau dann darauf 'Also von dir haben wir gar nicht geredet.'"
Mein Grinsen wird größer und auch bei Ragnor sehe ich das zucken der Mundwinkel. "Den muss ich mir glaube ich ausschneiden." Fein säuberlich greife ich zu der Schere, die auf dem Schreibtisch liegt. Auch der ist voll gestellt und ich frage mich ernsthaft, wie er all die Jahre hier arbeiten konnte. "Ok wir machen es so. Links kommt das hin was ich nicht mehr brauche. Rechts das was ich behalte."
Nachdem der Schnipsel mit dem Witz in meine Hosentasche gerutscht ist legen wir los. Die Zeitung kann ein dreiundzwanzig alter Brief topen. Er ist zumindest noch jünger als ich. Wir finden längst verfallene Gutscheine. Ich möchte mir gar nicht ausrechnen, wie viel Geld er damit hätte sparen können. An meiner Pinnwand zu Hause habe ich auch noch einige und ich versuche sie immer rechtzeitig einzulösen.
Unter all dem Gerümpel fällt mir auch ein alter Playboy in die Hände. Grimmig reißt mir mein Onkel diesen aus den Händen. "Ich will auch langsam mal fertig werden" sagt er, nachdem ich meine Augenbraue tanzen lasse. Der Haufen den wir auf den Namen 'Müll' getauft haben wird immer größer. Nur einige Bücher landen auf dem Stapel der bleiben darf.
"Oh was ist das?" Onkel Ragnor verdreht die Augen. Ich halte ihn auf und das manchmal mit voller Absicht. Aber es ist wirklich spannend die Sachen durchzulesen. Es ist wie wenn man etwas sucht und dann auf Dinge stößt, die man zwar nicht finden wollte, man aber dann dennoch Stunden davor sitzt, weil so viele Erinnerungen auftauchen. Erinnerungen die unter dem ganzen Alltag vergraben waren.
"Das ist ein Telefonbuch. Darin befindet sich eine Auflistung aller Teilnehmer eines Telefonnetzes. Mit Name und dazugehöriger Nummer." Ich blättere hindurch. Flüchtig lese ich mir unbekannte Namen durch. "Das ist jetzt auch schon wieder ein paar Jahre alt", gibt mein Onkel dann zu. "Glaubst du manche Nummern sind noch vergeben?" Schon wieder auf einen neuen Papierstapel konzentriert, zuckt er nur mit den Schultern. "Keine Ahnung. Wieso probierst du es nicht einfach? Auch wenn ich gar nicht wissen möchte, was es dir bringt das zu wissen."
Die Idee finde ich gar nicht mal schlecht und so schnappe ich mir mein Handy. "Ich blättere durch und du sagst irgendwann Stopp." Wieder leiert er mit seinen Augen. "Meinetwegen." Ich nehme das Buch in die Hand und fange von hinten an schnell aufzublättern. In der ungefähren Mitte sagt er "Stopp". Wir sind bei dem Buchstaben 'M'.
Als Nächstes fahre ich mit meinem Finger über die Seite. Solange bis er wieder grimmig "Stopp" ausspricht. "Valentine Morgenstern", laut lese ich den Namen vor den wir durch Zufall nun heraus gesucht haben.
"Na dann wollen wir mal."
...Fortsetzung folgt
Hattet ihr einen Kindheitshelden? Wenn ja, wer war es?
Bei mir ist es ein Ja. Die beiden sind bis heute meine Helden und werden es auch immer bleiben. Mein Papa & mein Opa.
Ich dachte für euch ist es vielleicht schöner, wenn ich euch nicht nur die Fragen stelle sondern auch mit beantworte.
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Das Haus der Geschichten
FanficAlexander und Magnus. Wir schicken sie auf Reisen. Durch Höhen und Tiefen. Immer wieder lernen sie sich neu kennen und das auf unterschiedlichster Art. Das Haus der Geschichten ist eine Sammlung von OneShots und Kurzgeschichten.