Kapitel 23

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„Gina", sage ich, während meine Laune fünf Etagen abwärts rutscht. Sie will ich jetzt am wenigsten sehen.

In Erwartung, gleich etwas abwertendes oder zumindest negatives von ihr hören, wappne ich ich innerlich gegen die Beleidigungen. Ihr Gesichtsausdruck irritiert mich allerdings etwas, denn dieser Strahlt nicht das gewöhnliche hochnäsige sondern etwas ganz anderes auch, welches ich jedoch nicht deuten kann, da ich es an ihr noch nie gesehen habe. Doch es scheint fast so, als würde sie...Strahlen?

„Hey Schwesterherz!", begrüßt mich Gina überschwänglich und mir klappt der Kinnladen auf. Wie ein unbekanntes Wesen starre ich sie an und kann nicht glauben, dass sie das gerade wirklich gesagt hat.

Bitte WAS? Schwesterherz? Das hat sich doch jetzt nicht ernsthaft gesagt, oder?

„Okay...?", gebe ich misstrauisch von mir. Noch nie hat sie so mit mir gesprochen oder gar dabei gestrahlt. Mir kommt die Idee, das sie vielleicht etwas von mir wollen könnte, doch das erscheint mir im nächsten Moment ziemlich unwahrscheinlich. Gina hält mich für einen unbrauchbaren Tollpatsch mit dem Verstand einer Erbse, da will sie sicherlich nichts von mir.

„Ach ja, das ist Summer. Meine kleine Schwester", quasselt Gina da auch schon weiter. Erst jetzt realisiere ich den Jungen neben ihr und atme sogleich erleichtert aus. Es ist nicht Alex. Mir scheint, als würde mir eine große Last von den Schultern fallen. Ich wüsste nicht genau, was ich tun würde, sollte Alex vor der Tür stehen. Doch dass ich ihm eine Scheuern würde, schließe ich nicht aus. Aber nun zu dem unbekannten jungen Mann, welcher so eben meine Interesse geweckt hat. Schließlich trifft man nicht alle Tage jemanden, der meine Schwerster zu so einem liebenswürdigem Wesen macht. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass dieser plötzliche positive Stimmungsumschwung etwas mit besagtem Typen zu tun hat. Obwohl ich dem übergangslosen Frieden nicht wirklich trauen kann.

„Und wer bist du?", frage ich an den jungen Mann gewandt, welcher ca. im Alter meiner Schwester ist und betrachte ihn mit einem argwöhnisch Blick. Ich weiß noch nicht so recht, was ich von ihm halten soll. „Ehlia", gibt dieser mir Auskunft und mit dem warmen Lächeln, welches er mir schenkt, ist es mir auf Anhieb sympathisch. Auch wenn er mir etwas Wortkart erscheint. Meine Sorge, er könnte genauso ein Biest wie Gina sein, verschwindet im jedoch auf nimmer wiedersehen im Jenseits. Allerdings sieht er mit seinen freundlichen haselnussbraunen Augen und den blond-braunen Haaren auch sehr wie ein kuscheliger Teddy aus und auch sein Lächeln ist mehr als einladend. Er ist nicht der klassische hübsche Typ, sondern eher die bester-Freund Version. So wie Brandon, wobei mir gerade Auffällt, dass Ehlia erstaunlich viel Ähnlichkeit mit diesem hat. Vielleicht sind sie ja Cousins. Jedoch ist sein Aussehen und meinem demnach zugeordneten Charakter ein Grund, warum ich nicht verstehe, was Gina bei ihm sucht. Denn eigentlich steht sie doch auf Typen wie Alex. Typen, die einem nur das Herz brechen, leider aber unverschämt gut aussehen.

„Ach komm', Summerchen. Ehlia kannst du später noch ausquetschen, aber jetzt lass uns doch erst einmal ins Haus", lacht Gina und dieses Lachen ist keines Wegs gespielt. Langsam frage ich mich wirklich, was mit meiner Schwester passiert ist oder was sie sich um Himmelswillen eingeworfen hat, um so zu sein. Denn dieses Verbhalten ist eindeutig nicht normal.

Ich stehe nur schweigend im Türrahmen und glotze meine Schwester an, wie ein Goldfisch die Scheibe. Davon lässt sich Gina allerdings nicht beirren und drängt sich einfach an mir vorbei, Ehlia an einer Hand hinter sich her ziehend.

Dieser wirkt ziemlich belustigt, jedenfalls spricht das amüsiertes Funkeln in seinen Augen dafür. „Freut mich auch, dich kennen zu lernen, Summer", zwinkert er mir zu, bevor er auch schon im Hausinneren verschwunden ist. Ich blinzele perplex, ehe ich mich ebenfalls umdrehe und ihnen folge.

Die Situation, in der ich mich gerade befinde, erscheint mir so surreal und ich frage mich mehrmals, ob ich nicht gerade im Bett liege und dies nur ein Traum ist. Sicherheitshalber kneife ich mir einmal in den Arm, doch der drauf folgende Schmerz ist Bestätigung genug. Nun drängt sich mir die Frage auf, wer Ehlia ist. Dank der Selbstverständlichkeit, mit der Gina ihn hineingezogen hat, scheinen sie sich schon länger zu kennen.

Aber warum weiß ich dann nichts von ihm?

Im nächsten Augenblick kann ich mir die Frage selbst beantworten. Gina und ich standen uns noch nie nahe, weshalb ich dementsprechend auch sehr wenig über sie und ihr Leben weiß. Somit ist es nicht wirklich verwunderlich, dass ich nichts von Ehlia wusste. Doch wenn sie tatsächlich mit Ehlia zusammen ist - wovon ich stark ausgehe - warum hatte sie dann noch mit Alex rumgemacht?

Meine Gedanken finden ein jähes Ende, als ich gegen den Türrahmen unseres Wohnzimmers laufe.

Warum muss dies aber auch immer im Weg stehen?!

„Autsch! Verdammte Tür!", grummele ich leise vor mich hin, während ich die Hand an meine pochende Stirn gepresst ins Wohnzimmer stolpere. Dort herrscht immer noch reger Aufbruchverkehr herrscht. Mum Bügelt noch diverse Kleidungsstücke, während Mom dabei ist, die Bücher in unseren übergroßen Bücherregal zu ordnen und dabei ab und zu eines beiseite zu legen, welches sie wohl mit in die Ferienwoche nehmen will.

„Mum, Mom, das ist Ehlia. Mein Freund!", stellt gerade Gina Ehlia und strahlt dabei wie die Sonnen am wolkenlosen Himmel. Mom Blick erstaunt auf, nur um dann erfreut aufzujauchzen. „Das ist ja eine schöne Überraschung! Gina, meine Kleine, wo hast du diesen hübschen jungen Mann den aufgegabelt?", quasselt Mom aufgeregt los und nimmt dann Ehlia in Augenschein. Sie hat Ehlia wohl so eben als Schwiegersohn gekennzeichnet und ihn somit unter ihre mütterliche Fuchtel gestellt. Ob ich ihn wohl vor ihren Umarmungen und Unmengen an schlechtem Essen warnen soll, welche ihm wohl in nächster Zeit zu gute kommen werden? „Das du mir meine Tochter ja nicht unglücklich machst!", droht sie ihm, wird jedoch sofort wieder ausgelassen und redet in einer Tour weiter.

In mitten ihres Wasserfalls an Worten, überhöre ich beinahe Mum's Reaktion. Aber nur beinahe. „Ach, hey Ehlia", sagt sie und lächelt Ehlia an, als kenne sie ihn schon. Nein Moment, ihre Worte bestätigen, dass sie ihn kennt. Sie scheint noch nicht einmal verwundert darüber, dass dieser Ehlia plötzlich mit Gina zusammen ist. Meinen Blick zwischen Mum und Ehlia hin und her wandern lassend, arbeitet mein Hirn auf Hochtouren um eine mögliche Erklärung für das alles zu finden, nur um zu der Erkenntnis zu kommen, dass es keine gibt. Jedenfalls keine, die Sinn macht. Und zum zweiten Mal an diesem Tag frage ich mich, in welchem falschen Film ich hier wohl gelandet bin.

„Moment, ihr kennt euch?", platze ich heraus und Mum schenkt mir einen Blick, den ich nicht recht deuten kann. Die Aufmerksamkeit aller liegt auf mir, selbst Mom hat aufgehört zu reden. „Nun, so kann man es sagen", zwinkert Ehlia mir zu. Ich nicke nur benommen und versuche nicht einmal zu verstehen, was hier gerade gespielt wird. „Ich gehe in mein Zimmer", murmele ich abwesend, ehe ich schleunigst aus dem Wohnzimmer verschwinde und all diese Fragen hinter mir lasse. Ginas Stimme lässt mich jedoch innehalten. „Hey, warte mal Summer! Wegen der Woche...Alex's Schwester hat gefragt, ob du vielleicht zu ihnen möchtest. Ehlias Haus liegt nicht weit von Alex's Haus entfernt, deshalb wäre ich auch in der Nähe, sollte etwas sein", ruft sie und erscheint sogleich im Türrahmen. Ich jedoch stehe ich auf dem Treppenabsatz, während meine Gedanken rasen.

***

Neues Kapitel! Bemerkt ihr eigentlich, dass die Kapitel immer länger werden^^?

Also: Was haltet ihr nun von Gina? Und von Ehlia?

Wegen der Aussprache: Ehlia wird mit einem langgezogenen "E" gesprochen 😉

Wie denkt ihr, wird sich Summer entscheiden...oder nein, wie wollt ihr, dass sie sich entscheidet? Hat eigentlich jemand von euch eine Idee, woher Ella und Ehlia sich kennen könnten?

Nach dieser Flut an Fragen entlasse ich euch dann mal und wünsche euch ein wunderschönes Wochenende 👋❤

Bis demnächst 😜

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