Kapitel 42

89 33 62
                                    

„Du bist seine Tochter."

Unaufhörlich hallt Mum's Stimme in mir wieder. Mein Körper steht unter Schock, während ich scharf die Luft anziehe. Ein Zittern überfällt meinen Körper und alles beginnt sich zu drehen. Von Schwindel gepackt kippe ich nach hinten auf die weiche Matratze und bekomme es nicht einmal mehr mit.

Mein Vater. Ein Mafiaboss. Der Mafiaboss.

Die Worte sickern zuerst in meinen Kopf, wo sie die reinste Panik auslösen. Dann weiter zu meinem Herz, welches sich schmerzhaft zusammen zieht. Schlussendlich kommen sie in meinem Magen, woraufhin mir kotzübel wird. Gerade noch so kann ich mich zur Seite beugen, als ich mich auf schon geräuschvoll auf den Boden neben dem Bett erbreche. Würgend versuche ich, diese Worte zu verdrängen. Versuche sie nicht an mich heranzulassen. Doch das ist unmöglich. Diese achtzehn Buchstaben, diese vier Worte, dieser eine Satz, ist wie ein harter Schlag ins Gesicht.

Stöhnend lasse ich mich zurück in die Kissen fallen. Mein Magen ist leer, genau wie ich. Ich kann nichts mehr fühlen, nur die Kälte und die Lehre, welche mich umgibt. Tränen rinnen über mein Gesicht, doch ich weine nicht. Weswegen auch? Schon seit ich wieder zurück in Amerika war, wusste ich, dass sich etwas gewaltig ändern würde. Ich wusste es einfach. Und ich hatte recht behalten. Auch wenn ich niemals gedacht hätte, dass sich so viel ändern würde. Zumal ich die leise Befürchtung habe, dass das noch nicht einmal alles ist.

„Ach Mäuschen, komm her", murmelt Mum, als ich hemmungslos anfange zu schluchzen. Inzwischen hat eine Krankenschwester mein Erbrochenes aufgewischt, Mom ist ebenfalls verschwunden. Völlig verzweifelt kralle ich mich an Mums Shirt und lasse den Tränen freien lauf. Die ganze Angst, die ganze Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit fällt mit jeder weiteren Träne, doch ich weiß, dass meine Tränen nie reichen würden, um diese Gefühle zu vergessen.

Dafür beißt sich der Schmerz zu sehr fest. Wie viele kleine Nadeln bohren sie sich in mein Herz und auch wenn jede der Nadeln nicht sehr wehtut, ergeben sie zusammen doch viel mehr Schmerz, als es ein Messer je hätte tun können. Die Hoffnungslosigkeit knallt gegen mich wie Wellen gegen die Kaimauern, immer wieder, immer wieder, bis diese schließlich zerbricht. Bis meine Gegenwehr zerbricht und die Welle alles verschlingt, was ihr im Weg steht. Die Verzweiflung breitet sich über mir aus wie eine trügerisch kuschelige Decke. Sanft hüllt sie mich ein, spielt mir vor, mich zu beschützen, nur um sich dann über mich zu stülpen und mich zu ersticken. Als wäre ich ein nutzloses Etwas.

Wann genau hat sich mein Leben so verdammt verändert?

Immer mehr Tränen rinne über mein Gesicht, unaufhaltsam laufen sie hinab und färben Mum's Shirt in ein dunkleres Blau. Eigentlich dachte ich, dass alles besser werden würde. Eigentlich dachte ich, das Schlimmste schon hinter mir zu haben. Doch diese Situation jetzt, zwischen all den Lügen und Geheimnissen, ist schlimmer als alles, was ich je erlebt habe. Und ich hasse es! Ich hasse mein Leben abgrundtief. Wie gerne würde ich einfach wieder dieses unschuldige Mädchen sein, dessen schlimmstes Erlebnis ein gebrochenes Herz war. Wie gerne würde ich jetzt mit Emersy, Cathrina und Paislee in den Pausen sitzen und zuhören, wie sie über andere ablästern. Ich würde sogar noch einmal Alexs brutale Beendung unserer Beziehung erleben, nur um jetzt nicht hier sein zu müssen.

„Mum, ich will das alles nicht", schluchze ich und vergrabe mein Gesicht in ihrem Shirt. Mum streichelt mir sanft über die Haare. „Ich weiß, Mäuschen. Ich weiß", flüstert sie und drückt mich fest an sich. Sie leidet mit mir. Das spüre ich und trotzdem macht es die ganze Situation nicht besser.

Kann ich nicht einfach die Zeit zurückdrehen? Dann müsste ich das ganze nicht durchmachen. Müsste nicht hier sitzen, müsste nicht mir einmal von Alex das Herz brechen lassen. Wäre es nicht schön, eine Rückspurtaste für das Leben zu haben? Wenn mal etwas nicht läuft, einfach einmal tippen und man kann die Stunden, Tage oder auch nur Minuten erneut erleben. Und dann alles richtig machen. Doch das hört sich schon zu schön an, um wahr zu sein.

Doch würde mein Leben dadurch wirklich besser werden? Würde es wirklich anders ablaufen?

Ehrlich gesagt habe ich mir nie Gedanken über meinen Vater gemacht. Auch nicht, als die anderen bei den Veranstaltungen mit ihren Vätern aufgetaucht sind. Für mich gab es immer nur Mom und Mum, einen Vater habe ich nie vermisst. Ich bin ohne aufgewachsen und kannte es nicht anders. Später, in der Schule, erfuhr ich dann, dass zwei Frauen alleine keine Kinder bekommen konnten. Ich habe mir dabei nichts gedacht, da wir anschließend erklärt bekommen haben, wie das mit dem Samenspenden funktioniert. Ich dachte, dass ich auch eben auch so entstanden bin. Aber ich habe nie nachgefragt, da es mich einfach nicht interessiert hat. Warum sollte ich es mich auch? Ich hatte meine Eltern, die mich liebten, der Rest war egal. Doch nun, da ich die Wahrheit wusste, wünschte ich mir, diese nie erfragt zu haben.

Allerdings ist da auch dieser kleine, winzige Teil von mir, welcher mehr darüber erfahren will. Und genau diesen Teil lasse ich siegen, als ich mich aufrichte und geräuschvoll die Nase hochziehe. Entschlossen wische ich mir die Tränen von den Wangen, welche sicher schon ganz rot und geschwollen sein müssen.

„Wie?", frage ich schließlich und meine Stimme klingt ganz heißer, doch das macht mir nichts aus. Trotz der Tatsache, dass ich nur ein einziges Fragewort gestellt habe, mit dem man tausend Fragen bilden könnte, weiß Mum, was ich mein. „Er und deine Mutter waren mal verheiratet. Eine Zwangsehe. Die war die Tochter eines Drogendealers und großen Firmenleiter. Er hat sie schlecht behandelt und sie ist abgehauen, sobald sie konnte. Damals warst du drei Monate alt", erzählt sie und zieht bei den Worten „schlecht behandelt" wütend die Augenbraue zusammen. Er hat sie also nicht nur schlecht behandelt, sondern war ein regelrechtes Monster. Ich schlucke schwer. Und so jemand war nun mein Vater. Wobei nein, er ist nicht mein Vater. Für mich gibt es keinen Vater und erst recht keinen solchen, der wohl ein richtiges Monster ist.

„Und warum will er mich jetzt so plötzlich haben?", frage ich weiter, auch wenn mich die Angst erneut packt. Mum lächelt mich traurig an. „Das wissen wir nicht. Vielleicht liegt es daran, dass du inzwischen im heiratsfähigen alter bist", gesteht sie und mir steigt erneut die Galle hoch. „Du meinst...er will...will..." Ich breche ab, schaffe es nicht, diesen Satz zu Ende zu sprechen. Mum nickt langsam und ich reiße geschockt und panisch zugleich die Augen auf.

Heilige Scheiße, der Mann ist verrückt!

***

*Dramatische Musik*

Summer tut mir total leid...dabei quäle ich sie ja damit...😅

Wie hättet ihr reagiert? Konnte man ihre Reaktion gut nachvollziehen?

Und wer versteht jetzt mehr? Ehrlich gesagt sind in diesem Buch ziemlich viele große Klischees, die man allerdings nicht wirklich erkennt...naja, jetzt habt ihr mal einen kleinen Einblick in mein Autorenhirn bekommen 😉

Bis demnächst 👋

Secrets of the past | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt