Kapitel 36

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Nach Luft schnappend reiße ich die Tür auf und flüchte förmlich aus der Toilette. Mir ist egal, was Aisha von mir halten wird. Mir ist egal, was irgendjemand denken muss, wenn ich weiß wie die Wand durch das Schulhaus renne. Das Verlangen nach Luft drückt mit jeder Sekunde schwerer auf meine Lunge, lässt diese Schmerzen und nach dem lebensnotwendigen Sauerstoff schreien. Schwarze Punkte beginnen vor meinen Augen zu tanzen und zeigen mir, wie lange ich noch von einer Ohnmacht entfernt bin. Meine Schritte hallen ungewöhnlich Laut in meinem Ohren wieder, wie ein Monster, welches hinter mir her hetzt, erschienen sie mir. Ich kann die scharfen Krallen, wie sie ein grausames Klicken von sich geben, als sie immer wieder auf den Boden aufschlagen, förmlich hören. Panik bricht in mir aus, besetzt meinen Körper und macht mich Taub für meine Umgebung.

Das kann nicht sein! Das kann nicht sein!

Meine Gedanken sind ein einziges Durcheinander, welche von Minute zu Minute schlimmer wird, sodass ich keine Kontrolle mehr über mein tun habe. Mein Atem beschleunigt sich und die schwarzen Punkte benetzten nun auch meine Augenränder. Japsend nach Sauerstoff renne ich weiter, doch meine Kräfte schwinden. Immer langsam werden meine Schritte, immer hektischer mein panisches Lufteinziehen, immer dicker die schwarzen Ränder. Mühsam arbeite ich mich vor, kann das Licht des Ausgangs wie das Tor zum Himmel sehen. Ich schleppe mich immer weiter voran, Schritt vor Schritt, zu verzweifelt, um aufzugeben.

Ich muss es schaffen!

Plötzlich war dieser Gedanken da, tauchte aus dem ganzen Chaos auf wie ein leuchtendes Neonschild in der Nacht. Wie besessenen kämpfe ich mich voran, halte an diesem einen Gedanken und der damit verbundene Hoffnung fest. Mein Körper ist taub für jegliche Empfindungen. Ich spüre nur das hektische Pumpen meines Herzens, welche sich für mich jedoch in Zeitlupe bewegt. Die Türklinke erscheint vor mir und ich versuche krampfhaft, diese runter zu drücken.

Ich brauche Luft!

Verzweifelt ringe ich nach Sauerstoff, doch ich kann nicht Atmen. Mir ist, als würde etwas meine Atemwegen blockieren. Etwas, dass verhindern will, dass ich Leben. Das ich Überlebe.

Meine Finger verkrampfen sich um dem Griff, während meine Sicht immer weiter verschwimmt. Mit der Aufbringung all meiner Kraft stemme ich die Tür auf, stolpere einen Schritt und falle. Dann bin ich draußen.

Ich spüre, wie ich falle. Spüre, wie meine Haare hochgewirbelt werden und mein Körper einen kurzen Augenblick schwebt. Spüre, wie ich hinab stürze, wie zuerst mein Knie, dann meine Arme den rauen Asphalt berühren. Und dann ich da der Schmerz. Tief brennt er sich in meinen Knöchel, breitet sich in meinem Körper aus und lässt mich Aufstöhnen. Dann ist der Moment vorbei und mein Körper schnappt gierig nach Luft. Doch schon der erste Atemzug ist ein Fehler. Das merke ich sofort.

Ich schreie auf, während Erinnerungen auf mich herunter prasseln, wie ein Kugelregen. Erinnerungen, die ich verdrängen will. Erinnerungen, die mich an die schrecklichsten Ereignisse meines Lebens erinnern. Erinnerungen, die ich nie zuordnen kann, immer vergesse. Und die mich doch jedes Mal quälen als wären sie der Teufel höchstpersönlich.

Ich hatte diese Erinnerung schon oft. Diese eine, welche sich gerade beginnt zu zeigen. Das weiß ich, aber ich weiß nicht, wann das war oder was darin vor kam. Doch ich hasste sie. Das weiß ich genau. Und jetzt würde sie mich ein weiteres mal quälen.

Erschöpft lege ich den Kopf auf das kühlen Asphalt und schließe die Augen, als ich auch schon überrollt werde. Wie ein Zug aus dem schwarzen Schlund kommt sie auf mich zugerollt, das grausame Geräusch der Bremsen auf die Schienen hallt im ganzen Tunnel wieder. Ich zucke zusammen, als sich das hohe kreischen in meine Ohren brennt, will aufschreien, doch kein Ton verlässt meinen Mund. Dann wird alles schwarz, bevor ich von gleißend hellem Licht gepackt werde. Es zieht mich in sich und egal wie sehr ich strampele, wie sehr ich mehr wehre, ich werde immer weiter hinein gezogen. Wie eine Welle schlägt sie über mir zusammen, fällt mit all ihrer Last auf mich, bevor stille einkehrt.

Wasser. Überall. Über mir, unter mir, überall um mich herum. Es umschließt mich wie eine eiserne Faust. Ein Faust, die bereit ist, mich zu töten. Langsam, wie eine Schlange, kriecht die Kälte, die das Wasser bringt, mit sich. Erst dringt sie durch meine Haut, dann durch meine Knochen, bahnen sich einen Weg zu meinem Herzen wie ein unaufhaltsamer Zug. Panik breitet sich in mir aus. Verzweifelt versuche ich, die Luft anzuhalten und nichts des kostbaren Sauerstoffes zu verbrauchen. Doch lange halte ich es nicht aus.

Meine Augen blicken nach unten, suchen nach dem kleinen Bündel. Und da ist es. Das weiß des Lakens sticht zwischen dem dunkles blau des Wasser heraus. Ich will schreien, will die Panik und den Schmerz in meinem Inneres heraus lassen, während ich beobachte, wie das Bündel immer weiter hinab sinkt. Es bewegt sich nicht, keine Leben ist zu sehen. Ich will hinter ihm hinter her schwimmen, will ihn retten, doch ich kann nicht. Meine Kräfte schwinden von Sekunde zu Sekunde, während die Wunde an meinem Arm im heftiger brennt. Blut tritt heraus, verteilt sich in den Wassermassen und verschwindet, als hätte es nie existiert. Und trotzdem versuche ich es. Versuche ihm hinter her zu schwimmen, zu retten.

Das Wasser dringt in meine Nase, versucht zu meiner Lunge zu dringen. Ein Husten dringt über meine Lippen und der Druck auf meiner Lunge nimmt stetig zu. Lange werde ich die Luft nicht mehr anhalten können. Immer panischer Strampele ich um mich, doch die Wasseroberfläche scheint unerreichbar. Es ist mir, als würde meine versuche der Rettung hoffnungslos sein. Eher wurde ich mit jedem weiteren Strampeln mehr und mehr in die Tiefe gesogen, welche wie das Maul eines Ungeheuers scheint. Die Angst überfällt mich, macht mich schwach und unfähig.

Nun bin ich wie er. Sinke unaufhaltsam dem Boden entgegen. Meine Kontrolle über meinen Körper ist verschwunden, verzweifelt blicke ich dem Bündel nach, wie er immer weitere in die Tiefe sinkt. Ich weiß, dass ich machtlos bin. Ich weiß, dass ich ihn retten müsste. Weiß, dass ich Schuld bin. Schuld an dem tot eines unschuldigen Menschen. Doch ich würde ebenso sterben wie er. Ebenso kalt und verschollen auf dem Meeresboden.

Nein! Ich will nicht sterben!

Immer lauter wird die panische Stimmen in meinem Kopf, immer schwerer wird die Last auf meiner Lunge, immer tiefer sinke ich hinab auf den Meeresboden. Meine Gedanken brechen ab, ich kann an nichts mehr denken, außer die Kälte und das Wasser um mich herum. Dann kann ich nicht mehr. Ich lasse los. Lasse all die Luft entweichen. Fühle mich frei. Frei wie ein Vogel für einen winzigen Moment. Es ist, als würde ich schweben. Dann kommt der Druck mit aller Macht zurück. Mein Körper bettelt nach Sauerstoff. Es wird still. Totenstill. Wasser füllt meine Lunge. Um mich herum nur die Stille. Ich atme. Einmal, zweimal. Meine Lunge beginnt zu schmerzen. Mein ganzer Körper schreit vor Schmerz. Doch ich spüre nichts. Die Kälte betäubt mich. Verdrängt den Schmerz. Lässt mich wieder schweben. Mein Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Ich habe keine Angst mehr. Meine Augen schließen sich langsam, wie in Zeitlupe, dann wird alles schwarz. Ich bin gestorben. Genau wie er.

***

Hach, ich liebe es, solche Kapitel zu schreiben! *verträumtes Aufseufzte* Vor allem, weil ihr meist nur Bahnhof versteht. Und wie vielleicht einige schon bemerkt haben, bin ich eine kleine Sadistin, die es liebt, euch zu quälen *hust* Cliffhang *hust*. Aber mal ehrlich, was wäre dieses Buch ohne Cliffhangs? Genau: lAnGwEiLiG!

Wie auch immer. Also, damit ihr fleißigen Leseratten nicht einschlaft und auch etwas eure Finger anstrengen müsst: Was denkt ihr, ist da passiert? Und konnte man Summer's Gefühle und Reaktionen gut Nachvollziehen und sie sich vor allem Bildlich vorstellen?

Bis demnächst - und ja, ich würde jetzt erst einmal dran bleiben, da jetzt der spanendere Teil beginnt. 😉

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