Kapitel 38

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Dann passiert alles in Zeitlupe. Ich spüre, wie mich jemand Arm packt und zu Seite schubst. Panisch mit dem Armen rudern falle ich. Zum zweiten mal an diesem Tag spüre die Luft um mich, bis ich auf dem Boden aufschlage und eine halbe Rolle machen. Scherz breitet sich in meinem Körper aus, doch diesen realisiere ich überhaupt nicht. Erstarrt bleibe ich auf dem Boden liegen, während der Schuss immer noch in meinen Ohren nachhallt. Die Angst bohrt sich in mich wie viele kleine Nadeln, macht mich bewegungsunfähig.

Brandon

Urplötzlich schießt dieses Wort in meinen Kopf und lässt mich blitzartig den Kopf heben. Wenn diese verrückte Person ein weiteres mal schießt und das auf Brandon, könnte ihn das sein Leben kosten. Das werde ich niemals zulassen!

Entschlossenheit packt mich, als ich mich vom Boden hoch stemme. Meine Augen blicken starr zu Boden, lassen mich an Fassung gewinnen, während Adrenalin durch meine Adern pumpt. Noch bevor ich dazu komme, den Kopf zu heben ertönt erneut ein Schuss. Ich kreische panisch auf, als die Kugel keine drei Zentimeter neben mir in die Wand einschlägt.

Der verrückte schießt auf mich

Sobald ich die Situation realisiert habe, kommt die Angst wieder. Wie ein Mantel stülpt sie sich über mich, lässt mich ersticken. „Summer! Bleib unten!", höre ich in meiner Angst plötzlich Brandons Stimme. Panisch blicke ich zu ihm hoch und mein Kreislauf droht zusammen zu sacken. Eigentlich sollte mich Brandons Anblick beruhigen. Eigentlich sollte ich Angst um ihn haben, nicht vor ihm. Doch so wie er nun da steht, macht er mir mehr Angst als der verrückte mit der Pistole.

Seine Augen blitzen kalt, emotionslos und sein Gesicht ist zu einer gleichgültigen Maske erstarrt. Sein Körper ist angespannt, als wolle er sich auf etwas vorbereiten. Nichts erinnert mehr an den freundlichen Jungen, der so viel gelacht hat. Auch wirkt er älter, viel älter. Und das macht mir Angst. Doch am meisten ängstigt mich das Ding in seiner Hand. Silbern glänzend liegt sie in seiner Hand, so perfekt, als gehöre sie dort hin.

Mit schock geweiteten Augen betrachte ich die Waffe in seiner Hand, bevor ich ängstlich wimmernd von ihm weg rutsche. Ich weiß, dass er es merkt. Das kurze Zucken seines Kopfes in meine Richtung verrät es. Doch er sieht nicht so aus, als wäre er darüber wütend. Eher meine ich einen traurigen funken in seinen Augen ausmachen zu können, als sie sich für eine Millisekunde treffen. Und dennoch habe ich Angst. Ich weiß nicht mehr, wer hier der Verrückte ist und dank der schwarzen Punkte, welche vor meinem Sichtfeld tanzen weiß ich, dass ich kurz vor einem Zusammenbruch stehe.

Mein Herz pocht hektisch gegen meinen Brustkorb, als wolle es ihm entfliehen. Ich will die andere Person sehen, will hoffen, dass sie mir nichts böses will. Langsam hebe ich den Blick, blicke Zentimeter vor Zentimeter weiter dem anderen Verrückten entgegen. Dann treffen meine Augen auf schwarze Schuhe. Es sind sportliche, die doch sehr robust wirken. Erstaunlicherweise sind sie auch ziemlich klein, wenn man bedenkt, dass diese Person höchstwahrscheinlich ein Mann ist. Langsam wandern meine Augen höher, über lederne Jenas bis zu einer kugelsicheren Weste und ich keuche entgeistert auf. Der Verrückte ist kein Mann. Es ist eine Frau, vielleicht gerade mal zwanzig Jahre alt. Und ihre Augen blicken auf mich.

Mörderischer Hass spiegelt sich in dem farblosen Grau wieder, lässt mein Körper erzittern. Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus, als sie langsam, so als wäre sie ein Raubtier, auf mich zu kommt. Ich weiche panisch krabbelnd zurück, während mir Tränen über das Gesicht laufen.

Ich will nicht sterben!

Ihre Hand hebt sich wie in Zeitlupe, die dunkle Mündung der Waffe zielt auf mich. Wie automatisch schließen sich meine Augen, warten auf den Tot, der nun kommen wird. Ich möchte meinen Tot nicht sehen. Ich möchte die Kugel nicht verfolgen können, bis sie sich in mich bohrt. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass sich kurz darauf wieder blitzschnell zu öffnen, als ein weiterer Schuss ertönt. Ich zucke zusammen, warte auf den Schmerz, doch dieser kommt nicht.

Ein markerschütternder Schrei, von Hass und Mordlust getränkt, durchschreitet die Totenstille. Mein Blick schießt zu der Verrückten, welche sich ihre Hand hält, ihr Gesicht zu einer schmerzenden Grimasse verzogen. Was ich dann sehe, stülpt mir den Magen um. Blut, rot und dickflüssig läuft über ihre Hand, tropft hinunter auf den Boden uns lässt ein Bild des Grauens entstehen. Ihre Waffe ist ihr aus der Hand gefallen und liegt nun dunkel glänzend auf dem Boden, in mitten einer Pfütze rotem Wassers. Diese Szene erinnert mich an einen blutigen Thriller und mein Magen zieht sich krampfhaft zusammen.

Oh mein Gott!

Ängstlich wandert mein Blick weiter, trifft auf Brandon und mein Herz bleibt stehen. Er steht da, das Gesicht zu einer ausdruckslosen Masse erstarrt, während er seinen Arm langsam sinken lässt. Den Arm, in dessen die silberner Waffe glänzt. Er hat geschossen. Und Haargenau getroffen. Ich weiß nicht, was mich mehr ängstigen soll. Oder wer. Da gibt es diese Verrückte, welche zuerst geschossen hat und mich nur knapp verfehlt hat. Die, deren Mordlust in jedem ihrer Bewegungen zu sehen. Zum anderen steht da Brandon. Der Brandon, der mich gleich am ersten Tag so lieb aufgenommen hat, dem ich vertraut habe. Doch nun hat er gezeigt, dass er etwas anderes ist. Etwas, das grausame Taten verrichten kann. Denn er kann nicht nur mit einer Waffe umgehen. Nein, seine Schießkünste sind auch noch perfekt, auch wenn ich mich in diesem Bereich nicht auskenne. Doch diese Hand in einem Abstand von zwanzig Metern zu treffen, ist verdammt schwer. Das weiß sogar ich.

Wie als hätte er meinen Blick gespürt, dreht er den Kopf zu mir und seine Augen treffen meine. Augenblick werden sie weich. Ich erkenne die vertraute Wärme und auch das Mitleid, welches sich in ihnen spiegelt. Und dann weiß ich es: Er ist der Gute.

Was dann passiert realisiere ich gar nicht richtig. Mein Hirn hat auf Halbschlaf gestellt und so bekomme ich nur halb mit, wie Brandon schnellen Schrittes auf die Frau zu geht. Ich realisiere kaum, dass er keine Waffe mehr hat. Nur benommen sehe ich, wie die Verrückte mit einem hasserfüllten Schrei auf ihn losgeht. Ohne Waffe und trotz einer blutenden Hand. Mein Blick wird immer verschwommener, die Geräusche immer undeutlicher, als sie sich einen Kampf liefern, wobei beide heftig etwas abbekommen.

Das letzte, was ich sehe ist, wie Brandon mit der flachen Hand schräg gegen den Kehle schlägt, welche darauf hin erstarrt und zusammen sackt. Dann umhüllt mich die Schwärze der Dunkelheit.

***

Das erste Mal, dass ich so etwas schreibe...Feedback?

Und herzlichen Glückwunsch an alle, die Brandon verdächtigt haben - ihr hattet recht und wart doch alle falsch. Also jedenfalls die, die mir ihre Meinung gesagt haben 😉

Wie auch immer. Wir nähern uns dem Ende dieses Buches, dass kann ich euch schon verraten. Aber keine Sorge, es wird auch einen zweiten Band geben 😁

Bis demnächst 👋

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