3.2 - Juna

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Mit einem Ohrwurm von dem Song, den Kian und ich gerade gemastert haben, laufe ich leicht beschwingten Schrittes zur Kita. Vollkommen in meiner Welt nicke ich mit dem Kinn, ohne darüber nachzudenken, wie mein Gevibe für andere Leute aussehen muss. Stattdessen mache ich mir Gedanken über Kians Idee, mindestens diesen Song oder nicht vielleicht doch eine ganze EP zu veröffentlichen. Eigentlich war das nicht geplant, aber in letzter Zeit haben wir echt viel aufgenommen. Im Allgemeinen war ich in den letzten Wochen ganz schön produktiv, nicht nur was die Musik angeht, sondern auch meinen Sport und sogar die Uni.

Ich merke gar nicht so richtig, wie ich die Hook vor mich her summe, als ich mich dem Kindergarten nähere. Meine Schritte sind dem Beat angepasst, mein Blick auf den Boden gerichtet, damit ich nicht auf die Linien zwischen den Steinen trete. Natürlich meint es das Schicksal nicht gut mit mir, denn ich laufe prompt gegen jemanden. Erschrocken über den plötzlichen Körperkontakt springe ich zurück und schaue auf.

Meadow, nein Isla, steht mit weit aufgerissenen Augen vor mir. „Tut mir leid, ich bin grad..." Sie bricht ab und senkt ihren Kopf. „Schon... schon okay", krächze ich. Fuck, muss ich mich jetzt auch entschuldigen? Immerhin bin ich ja auch in die hineingelaufen. „Sorry", füge ich also leise hinzu, woraufhin sie ihren Kopf wieder hebt.

Mir fällt auf, dass sie noch müder scheint als sonst. Ihr Gesicht sieht ein wenig eingefallen aus, zumindest sind ihre Wangen nicht mehr ganz so rund wie sonst. Unter ihren Augen liegen tiefe Schatten, das Braun ihrer Iris blickt mir stumpf entgegen. Kurz huscht mein Blick über ihre Kleidung. Ich mag ihren Stil und den Spruch, der sich über ihre Brust spannt. Unsicher, ob sie mein Starren bemerkt hat, blicke ich wieder in ihr Gesicht. Sie hält sich mit einer Hand an der Hauswand neben uns fest, indessen sie eher durch mich hindurchschaut.

„Du siehst scheiße aus", kommt es über meine Lippen, wofür ich mich augenblicklich schlagen könnte. Meadow blinzelt, dann nickt sie leicht. „Danke, ich weiß." „Also nicht im Allgemeinen, sondern... ähm vom Zustand so her", erkläre ich mich hastig. „Aha." Wieder nickt sie. Überfordert wippe ich auf meinen Füßen. Ich weiß genau, warum ich normalerweise keine Konversationen anfange. Ich bin die Unfähigkeit in Person.

„Was willst du, Juna?" Meine Augen weiten sich. Woher weiß sie meinen Namen? Ich sehe, wie sie sich auf die Unterlippe beißt. Offenbar hat sie das auch gemerkt. Mir fällt auf, dass sie mich abwartend anstarrt, weshalb mir aufgeht, dass sie mir ja eine Frage gestellt hat. Allerdings weiß ich drauf keine wirkliche Antwort. Ich kann mir selbst nicht erklären, warum ich sie angesprochen habe.

Unsicher hebe ich meine Schultern. „Kein Plan." Ihr Blick auf mir zeigt mir, dass die Antwort nicht ausreicht. Nervös befeuchte ich meine Lippen, während in meinem Kopf ein Gedanke den anderen jagt. Mist, warum bin ich sozial so unfähig? Situationen wie diese bedeuten für mich einfach riesigen Stress. Im Hintergrund bemerke ich, dass mein Atem unruhiger wird. Meine Hände knüllen immer wieder die Enden meiner Pulliärmel zusammen.

„Du sahst so fertig aus. Ist alles okay?", frage ich heiser, nachdem ich tief durchgeatmet habe. Obwohl ich reichlich darüber nachgedacht habe, komme ich mir nun total bescheuert vor. Immerhin kenne ich sie überhaupt nicht, was soll das also werden? Ihr verwunderter Gesichtsausdruck zeigt mir zusätzlich, dass es nicht richtig war. Sofort will ich meinen Fehler wieder ausbügeln und irgendetwas abwinkendes sagen, doch sie kommt mir zuvor.

„Ich bin müde", gibt sie zögerlich zu. Ich schlucke die Worte auf meiner Zunge wieder herunter und denke schnell über neue nach. „Warum?", formt mein Mund ohne meine Zustimmung. „Weil ich wenig schlafe", antwortet sie, woraufhin ich rasch nicke. Natürlich, das ist doch offensichtlich. Was habe ich mir bei meiner Frage gedacht? Überfordert starre ich sie an. Und jetzt?

Meadow starrt zurück, ohne etwas zu sagen. Unruhig schlucke ich. „Kann... ich dir irgendwie helfen?" Mein Blick springt durch die Gegend, damit ich sie bloß nicht anschaue. Trotzdem nehme ich im Augenwinkel wahr, wie sie Mund und Augen aufreißt. Kurz sieht sie aus, also würde sie fast in Ohnmacht fallen, doch dann scheint sie sich wieder zusammen zu reißen. „Du... du gehörst doch zu Silas, oder?" Ich muss aufgrund ihrer Formulierung fast lächeln. „Ich bin seine Halbschwester", bestätige ich. Sie nickt etwas erleichtert und streckt mir unvermittelt ihre Hand entgegen. „Ich bin Isla, Arlos Halbschwester." Vorsichtig ergreife ich ihre kleine Hand und drücke sie kurz. „Juna", nuschle ich, da sie das ja schon zu wissen scheint.

„Ich wollte fragen, ob du Silas vielleicht an... zwei Tagen die Wochen länger in der Kita lassen könntest? Dann würde Arlo es vielleicht in Ordnung finden, wenn ich ihn später abhole und ich könnte in der Zeit arbeiten oder was für die Uni machen..." Ihre Stimme wird zum Ende immer leiser, als wäre sie sich total unsicher, ob die Frage nicht seltsam ist. Ich kann sie verstehen, immerhin kennen wir uns eigentlich gar nicht. Trotzdem habe ich das Bedürfnis ihr zu helfen, denn sie scheint so erschöpft zu sein.

„Kann ich theoretisch, aber Arlo könnte auch an zwei Tagen in der Woche zu uns kommen. Irgendeiner ist immer da, der sich ja sowieso um Silas kümmert, das wär also kein Problem", biete ich an. Meadow, nein Isla, reißt erneut ihre Augen auf. Mir ist bewusst, dass das ein ganz schön freigiebiges Angebot ist, allerdings fände ich es auch für die beiden Jungs schön, wenn sie auch außerhalb der Kita miteinander spielen könnten. Außerdem beschäftigen sie sich dann wahrscheinlich meist gegenseitig, sodass man nur aufpassen muss, dass sie keinen größeren Mist bauen.

„Das... wow, ich bin grad ziemlich überrascht. Aber... also wenn das wirklich nicht so viel Aufwand ist... Normalerweise würde ich sowas nie annehmen, aber ich bin echt etwas verzweifelt im Moment", gibt sie leise zu. Unsicher kaut sie auf ihrer Lippe, den Blick zum Boden gerichtet. „Keine Eltern und keinen Freund... oder Freundin?" Meine Stimme sollte beiläufig klingen, aber ob meines Mangels an Kommunikationsfähigkeit hören sich meine Worte einfach nur unsensibel an. Bevor ich das wieder gutmachen kann, schüttelt sie schon stumm den Kopf. Ich nicke, unsicher, was ich jetzt sagen soll. Um nachzuhaken, kennen wir uns nicht gut genug und ich bin auch nicht fähig, mein Mitgefühl oder ähnliches auszusprechen.

„Also wenn's wirklich kein Problem ist...", nimmt Isla nun den Faden wieder auf. „Nein, sonst hätte ich es ja wohl kaum angeboten." Innerlich verdrehe ich die Augen über meinen Satz. „Dann... ja", murmelt sie und lächelt vorsichtig. Ich nicke ihr zu. „Wollt ihr gleich einmal mitkommen und das Haus und die anderen kennenlernen?", schlage ich vor, indessen ich bemerke, dass ich nicht mehr ganz so nervös wie zu Beginn des Gesprächs bin. „Das wäre toll, danke", stimmt sie zu. Dann dreht sie sich halb in Richtung Törchen. „Gehen wir rein?" 

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