2.1 - Juna

721 50 22
                                    

„Sicher?", murmelt Kian in seiner üblichen ruhigen Stimmlage. „Jap", nicke ich kurz. „Wie kannst du erst nachdem du sie im Café gesehen hast bemerken, dass sie in deinem Studiengang ist und nen Kind hier abholt?" Er klingt ziemlich amüsiert. „Pff. Kein Plan, man. Sie ist mir halt vorher nie aufgefallen", gebe ich zurück. „Wo ist denn unsere kleine Prinzessin?", lenke ich dann vom Thema ab. Kian lacht in sich hinein. Er kennt mich mehr als gut genug, um mich genau zu durchschauen.

„Silas?", rufe ich, ihn ignorierend. „Hier!" Mein kleiner Halbbruder kommt angelaufen und strahlt zu uns hoch. Ich streiche ihm liebevoll durch die hellbraunen Haare. „Können wir los?" „Ja, ich muss noch eben meine Jacke holen!" Gefühlte zwei Sekunden später steht er wieder neben uns. Nachdem er seine Jacke Kian gegeben hat, nimmt er von jedem von uns eine Hand, sodass er zwischen uns geht. Ich werfe Kian ein Lächeln zu, welches er liebevoll erwidert.

Zehn Minuten später schließe ich die Haustür zur Wohnung von meinem Vater und den Kindern auf. So sehr ich meine große verrückte Familie liebe, bin ich froh, meine kleine Mansardenwohnung mit einem separaten Eingang zu haben. Trotzdem verbringe ich dann doch den Großteil des Tages bei den anderen, ebenso wie Kian, der die Souterrainwohnung bewohnt.

„Halloooo!", ruft Silas fröhlich, lässt unsere Hände los und schlüpft aus seinen Schuhen. „Huhu!", erklingt eine Stimme zurück, die ich als die von Keanu identifiziere. Dieser kommt auch schon sogleich in den Flur und grinst uns an. „Na?" Ich lache, da er nur eine Jogginghose trägt und seine bunt gefärbten Haare in alle Richtungen von seinem Kopf abstehen. „Du siehst aus, als würde jemand in deinem Bett auf dich warten", spricht Kian meine Gedanken aus. „Leider nicht", lacht sein kleiner Halbbruder. (Wobei klein übertrieben ist. Er überragt uns alle mit seinen 17 Jahren. Gut, bei mir ist das nicht besonders schwer, aber Kian und Papa sind nicht die kleinsten.)

„Na dann. Wo ist Vivi?", erkundige ich mich, wobei ich meine Jacke und Schuhe ausziehe. „Informatik-AG, heute ist doch Montag." Kian sieht mich strafend an, als würde er mich fragen wollen, wie ich das bloß vergessen könnte. „Stimmt ja. Wie war deine Schule?", wende ich mich wieder an Keanu. „Ach, gut. Chillig." Er stößt sich von der Wand ab und fängt Silas auf, um diesen Huckepack zu nehmen und ins Wohnzimmer zu rennen. „Hast du Wirtschaft wiederbekommen?", erkundigt sich Kian, als wir den beiden folgen und uns auf das Sofa fallen lassen, während die beiden jüngeren durch die Gegend hopsen. „Nee, der Preziack ist sooo faul." Ich grinse, wobei ich beobachte, wie Keanu Silas an den Händen im Kreis um sich herum fliegen lässt.

Eine Stunde später, in der ich halbwegs aufmerksam einen Text für die Uni gelesen habe, während die Jungs um mich herum gehampelt sind, kommt meine jüngere Halbschwester in die Wohnung geplatzt. „Hey!", schreit sie, um das Gebrüll von Silas zu übertönen, der gerade von Kian durchgekitzelt wird. Lächelnd stehe ich auf, um sie in den Arm zu nehmen. „Na, Kleine. Wie war dein Tag?" „Super. Jemand Lust auf nen Workout?" Keanu reißt den Kopf hoch. „Was für eins?" Wieder muss ich mir ein Lachen verkneifen. Mein bunthaariger Halbbruder versucht gerade, von seiner jugendlichen Lauch-Figur wegzukommen, was so gar nicht zu klappen scheint. „Oberkörper, Arme und Bauch", grinst Vivica. „Bin dabei", nicken Keanu und ich gleichzeitig. Kian grinst. „Ich geh dann mal mit Silas was kochen." Ich lache. Er ist einfach kein Sportler, aber da er häufig vergisst zu essen, sieht man ihm das nicht ansatzweise an. Eher im Gegenteil.

Vivi leitet uns anderen beiden an, trotzdem passen wir auf, dass sie nicht zu viel macht. Immerhin ist sie erst zwölf. Als wir beim abschließenden Stretchen sind, betritt Papa die Wohnung. Lächelnd steckt er den Kopf ins Wohnzimmer. „Hey, na? Wo sind die anderen? Oh, ihr seid ja fleißig. Juna, wollen wir morgen mal wieder trainieren gehen?" Er lächelt mich warm an. Mein Papa ist einfach der beste und liebevollste Papa der Welt, egal was andere sagen. Klar kommt es für manche Leute vielleicht komisch rüber, dass seine vier Kinder alle verschiedene Mütter haben und zusätzlich noch Kian als sein Stiefsohn irgendwie Teil der Familie ist, aber man kann ja allein daran, dass wir alle zusammen wohnen, sehen, dass er Vater mit Herz ist. Er ist nur eben kein Typ für feste Beziehungen. Allerdings macht er das seinen One Night Stands auch jedes Mal vorher deutlich, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. So wissen die Frauen und Männer, die sich auf ihn einlassen, immer, woran sie sind, was mir sehr fair vorkommt.

„Die anderen kochen was zum Abendessen", informiert Vivi ihn. „Können wir gern. Heute nicht mehr?", antworte ich gleich darauf. „Nope, heut Abend bekomme ich Besuch", grinst Papa. „Ah okay, dann morgen", nicke ich. „Gut, wir können dann ja noch mal besprechen, was wir machen. Und jetzt geht mal duschen, ihr stinkt, meine Süßen. Ich bin solang bei meinen anderen Schätzchen!"

Während sich Vivica und Keanu darüber streiten, wer zuerst duschen darf, schnappe ich mir meinen Kram und verschwinde durch die Tür im Flur zu meiner schmalen Treppe. Am unteren Ende der steilen Stufen ist ein schmaler Flur mit einer privaten Haustür für mich und Kian, diese Verbindungstür sowie die Tür zu Kians Treppenabgang. Am oberen Ende befindet sich meine Wohnungstür. Da die Treppe direkt zum zweiten Stock geht, ist sie leider zu steil, um zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Allerdings bin ich erprobt im Hochsprinten der schmalen Stufen, sodass ich rasch in meinem Flur stehe. Von diesem gehen die Türen zum Bad und in eine kleine Küche ab (und in einen größeren Raum, in dem meine Familie den Schrott sammelt, den sie nicht braucht und von dem sie sich trotzdem nicht trennen können). Eine weitere Treppe führt hoch zu meinem offenen Schlafraum, der die Hälfte meiner unteren Etage bedeckt. Unter dieser steht noch ein altes Sofa, daneben ein Bücherregal und eine alte Stehlampe. Ich liebe meinen kleinen Rückzugsort.

Zum Abendessen bewege ich mich frisch geduscht wieder in die große Wohnung. Kian hat mit Silas tatkräftiger Hilfe ein veganes Curry gemacht, welches wundervoll riecht und mich immer wieder daran erinnert, dass mein Halb-Stiefbruder (oder einfacher: mein bester Freund) ein halbes Jahr in Indien war und wirklich gelernt hat, wie man dieses leckere Gericht zaubert. Glücklicherweise war dies vor meinem Abi, sonst wäre ich wirklich sehr einsam gewesen. Kian ist schließlich meine wichtigste Lieblingsperson, auch wenn ich meinen Vater und meine anderen Geschwister auch über alles liebe. Trotzdem tun unsere ruhigen Stunden zusammen immer ganz gut, da innerhalb dieses wilden Haufens ständig was los ist. Man hat nie seine Ruhe. Außer, ich bin oben bei mir oder unten in Kians Reich, am liebsten im Studio. Für diesen Raum gilt die ungeschriebene Regel, dass wirklich niemand anderes außer uns beiden ihn betreten darf. Und das ist wirklich herrlich. 



ich weiß, junas familiensituation kommt euch vielleicht noch ein bisschen verwirrend vor. ich verspreche, dass sich das mit der zeit aufklären wird... und wenn es doch nicht ganz verständlich ist, könnt ihr gern nachfragen : ) 

wie immer würd ich mich über feedback sehr freuen! 

adore youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt