2.5 - Isla

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Ich kann nur schwer gegen die Enttäuschung ankämpfen, die sich in meinem Bauch ausbreitet, nachdem Juna fluchtartig vor mir weggelaufen ist. Ich habe ja verstanden, dass sie nicht interessiert ist und ich in einer Million Jahren keine Chance bei ihr hätte, aber man hätte doch wenigstens ein paar Worte wechseln können. Wenn wir uns schon immer wieder über den Weg laufen. Außerdem sind Silas und mein Bruder ja wirklich gut befreundet, da könnte man sich doch mal unterhalten (in welchem Verhältnis auch immer sie zu dem verrückten kleinen Jungen steht).

Aber scheinbar muss ich akzeptieren, dass das nicht der Fall sein wird. Was auch immer der Grund sein mag, dass diese wunderhübsche junge Frau mich derartig ignoriert, ich sehe nicht ein, mich davon runterziehen zu lassen.

Entschlossen straffe ich meine Schultern und gehe mit zielstrebigen, aber mit weitaus langsameren Schritten als Juna eben über den gepflasterten Weg zum Törchen und dann zügig nach Hause. Dort schiebe ich mir noch ein Toast in den Mund, indessen ich meinen Rucksack packe. Kurze Zeit später radel ich zur Uni.

„Heyho!", begrüßt mich meine beste Freundin überschwänglich, während ihr schwarzgelockter Freund mir ein warmes Grinsen zuwirft. „Hey", gebe ich zurück und lasse mich in Caras Arme ziehen. Für einen kurzen Augenblick schließe ich meine Augen und lege meinen Kopf auf ihrer Schulter ab. Manchmal, auch wenn ich es selten zugebe, bin ich einsam. Weder Eltern in der Nähe noch eine Beziehung zu haben, lässt mich ab und zu nach liebevollen Umarmungen sehnen. Zusätzlich dreht sich mein Leben jetzt quasi um Arlo, sodass ich kaum noch Quality-Time für mich selbst habe außer Schlafen. Und selbst das ist in den letzten Tagen viel zu kurz gekommen.

Vormittags bin ich in der Uni und im Café, nachdem ich Arlo in die Kita gebracht habe. Am Nachmittag verbringe ich dann entweder zu Hause oder auf dem Spielplatz Zeit mit Arlo, bis er Abends ins Bett geht. Dann beginnt meine Arbeitszeit: Für Mittwoch musste ich einen Vortrag vorbereiten, an dem ich fast zwei Nächte saß. Auch die anderen Seminare verlangen nach Vor- und Nacharbeit. Und wenn ich dann irgendwann das Licht gelöscht habe, kann ich oft nicht schlafen. Obwohl ich zum Sterben müde bin, findet mein Kopf einfach keine Ruhe. Meistens denke ich nicht einmal an etwas bestimmtes, aber es fühlt sich so an, als würde mich der permanente Stress nicht runterkommen lassen.

„Isla? Alles gut?" Ich hebe meinen Kopf wieder an und nicke Cara erst zu, dann schüttel ich den Kopf. „Ich bin ein bisschen erledigt", gebe ich zu. „Du siehst auch ganz schön müde aus", klinkt sich Gabriel in das Gespräch ein. Ich seufze leise und fahre mir über die Augen. „Bin ich auch irgendwie... dieser Vortrag..." Ich seufze noch einmal. „Warum hast du nicht einen späteren genommen?" „Weil sich nichts ändern wird? Oder denkst du, Arlo kann sich plötzlich den ganzen Tag allein beschäftigen?" Ich schlucke und schüttel, von mir selbst enttäuscht, den Kopf. „Sorry, ich wollte dich nicht so anfahren. Ist grad alles nur ein bisschen viel."

„Alles gut, wirklich", beruhigt Cara mich, wobei sie sich ein paar ihrer langen, glatten braunen Strähnen hinters Ohr streicht. „Ich wünschte, wir könnten dir helfen", seufzt Gabriel, der seine Hand auf meine Schulter gelegt hat. „Ihr habt doch auch keine Zeit. Wir müssen eben alle arbeiten. Ich schaff das schon. Irgendwie." Ich setze ein Lächeln auf, was mir meine Freunde jedoch nur so halb abzukaufen zu scheinen.

„Weißt du was, ich zeig dir jetzt was zum Ablenken", bestimmt Gabriel, indessen er sein Handy heraus kramt. „Guck mal, ich hab nämlich voll den nicen Künstler gefunden", erzählt er und zeigt mir seinen Spotify-Bildschirm. Ich fische meine Kopfhörer aus meiner Jackentasche, entwirre sie für gefühlte Ewigkeiten ziemlich entnervt, ehe ich sie mit seinem Handy verbinde. Gabe drückt auf Play und meine Ohren werden gefüllt von einem mitreißenden Hip-Hop, der einen kurzen Augenblick später von einem ganz leicht aggressiven Rap unterstützt wird. Normalerweise ist das nicht unbedingt die Musikrichtung, die ich rauf und runter hören kann, doch sobald ich mein Ohrenmerk auf die Texte gerichtet habe, fällt mir auf, wie unglaublich gut diese sind. In diesem Song zumindest werden Missstände in unserer Gesellschaft auf eine so direkte und gleichzeitig logische Art aufgezeigt, dass ich denjenigen, aus dessen Feder sie geflossen sind, nur bewundern kann.

Nachdem ich den Song durchgehört habe, wobei ich meinen Freunden in den Hörsaal gefolgt bin, mache ich noch einen Screenshot und schicke ihn an mich selbst, ehe ich meinem Kumpel sein Handy zurückgebe. „Fand das Cover auch sehr nice", füge ich hinzu, nachdem ich mich positiv über die Musik geäußert habe. „Ja, oder? Ich finde das in seiner Gesamtheit ziemlich erfrischend", raunt er, da der Professor vorn auf sein Rednerpult geklopft und uns mit einem lauten „Guten Morgen meine Damen und Herren!" aufgeweckt hat.

Zumindest war das wohl sein Plan, aber ich bin einfach zu müde, um dem Stoff auch nur ansatzweise zu folgen. Zunächst versuche ich noch, den Zusammenhang zwischen den Worten auf den Folien zu verstehen, doch nach und nach werden meine Augenlider immer schwerer.

„Isla, hey." Sanftes Rütteln an meiner Schulter lässt mich aufschrecken. Desorientiert blicke ich mich um und natürlich will es das Schicksal nicht gut mit mir. Mein Blick fällt direkt auf Juna, die ganz hinten auf der gegenüberliegenden Seite der halbkreisförmigen Reihen sitzt. Sobald meine müden Augen sie fokussiert haben, wendet sie ihren Kopf von mir weg, sodass ich mir nicht sicher bin, ob ich mir in meiner unausgeschlafenen Verwirrtheit nur eigebildet habe, dass sie mich angeschaut hat. Es muss so gewesen sein, denn sie hat mir ja deutlich zu verstehen gegeben, dass sie an jeglichem Kontakt mit mir nicht interessiert ist.

„Er hat grad ein neues Thema angefangen und ich dachte, du findest es interessant. Tut mir leid", flüstert Cara. Ich richte meine Aufmerksamkeit nach vorn und nicke langsam. „Ja, danke", wispere ich zurück. Trotzdem schweifen meine Gedanken zurück zu Junas Sixpack, was unter ihrem gecroppten Shirt zu erahnen war. (Shit, das war nicht der Plan.) Ich reibe mir noch einmal die Augen, dann konzentriere ich mich wirklich auf die Vorlesung, der ich nach meinem kleinen Powernap etwas besser folgen kann. Trotzdem spüre ich die Erschöpfung meines Körpers noch mehr als deutlich.


sorry, weihnachten hat den übelsten familienstress mit sich gebracht. aber jetzt bin ich wieder da. hoffe, bei euch wars besser : )

adore youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt