7.5 - Juna

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Aus irgendeinem Grund entscheide ich mich dazu, zu bleiben. Jax ist sehr freundlich und scheint genau zu wissen, wie er mit mir umgehen soll, denn er stellt mir fast ausschließlich Fragen, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind und sich nicht auf meine Gefühle beziehen. Zwischendurch wendet er sich immer wieder meinem Vater zu, um ihm einen zärtlichen Kuss zu geben oder etwas zu ihm zu sagen, sodass ich ein paar Pausen von unserem Gespräch habe. So fühle ich mich irgendwie wohl, obwohl ich mit einem fast Fremden an unserem Küchentisch sitze.

„Wann sehen wir uns wieder?", will Jax nun leise von meinem Vater wissen. Dieser weicht seinem Blick aus. „Ich weiß nicht so genau", gibt er murmelnd zurück. Ich sehe ihm genau an, dass er Schiss bekommt und es erwägt, weiterhin vor seinen Gefühlen wegzulaufen. „Papa", mache ich deshalb bestimmt, sodass er mich anschaut. Ich hebe eine Augenbraue, woraufhin er seufzt. „Ich hole kurz mein Handy und gucke in meinen Terminkalender, okay?", murmelt er, während er aufsteht. Jax beginnt zu lächeln.

„Danke", wendet er sich an mich, als mein Vater aus dem Raum ist. „Kein Ding", gebe ich leise zurück. Kurz überlege ich, traue mich dann aber doch. „Er hat Angst, weil er seit... meiner Geburt keine romantischen Gefühle mehr zulässt. Das... muss er dir mal selbst erzählen, aber bitte... sei vorsichtig mit ihm", bringe ich hervor. Mein Gegenüber nickt nachdenklich. „Sowas habe ich mir schon gedacht. Danke, dass du das gesagt hast", lächelt er leicht. Ich nicke etwas zackig. „Gern", krächze ich. Jax bedenkt mich mit einem warmen Blick. „Du machst das gut", wispert er dann.

Bevor ich irgendwie darauf reagieren kann, tritt mein Vater wieder neben den Rothaarigen. Indessen die beiden sich für die nächste Woche ganze drei Dates klären, die nicht nur aus Vögeln bestehen, überlege ich, wie viel Jax von meinem Vater über uns Kinder gehört hat. Seltsamerweise stört mich dies gar nicht, da ich dem hoffentlich-future boyfriend von Papa irgendwie vertraue.

„Ich bringe dich noch zur Tür", kommt dann in meinem Gehirn an und ich beobachte, wie mein Vater Jax an der Hand nimmt. Ehe die beiden die Küche verlassen, schenkt mir der Rothaarige noch ein Lächeln. „Schön, dass du runter gekommen bist, Juna. Wir sehen uns bestimmt bald wieder", strahlt er. Ich winke ein wenig unsicher, doch das scheint ihn nicht zu stören.

Mit einem leisen Ächzen lässt sich Papa fünf Minuten später wieder auf dem Stuhl mir gegenüber nieder. Fragend hebe ich meine Augenbrauen, weshalb er schnaubt. „Guck nicht so. Ich war Jahre nicht mehr bottom", rechtfertigt er sich, weshalb ich zu grinsen beginne. „Wenn er das darf, ist es echt ernst mit euch", vermute ich. Papa stützt seinen Kopf in die Hände. „Ich schätze, ja", gibt er leise zu. „Irgendwie bin ich ganz schön verliebt", fügt er hinzu. „No shit, Sherlock", antworte ich ihm ironisch. Mein Gegenüber grinst und rutscht etwas auf seinem Stuhl herum. „Ich hoffe, er war vorsichtig", kommentiere ich dies. Sofort nickt mein Vater und seine Augen beginnen zu strahlen. „Das war er. Und ach, Juna, du kannst dich nicht vorstellen, wie schön Sex mit Gefühlen ist", schwärmt er. „Das kann ich tatsächlich nicht", bejahe ich trocken. Papa lächelt mich an. „Sieht aus, als müssten wir beide über unseren Schatten springen und uns trauen, was? Ich hab mich schon ein paar Schritte getraut. Heut Abend bist du dran", grinst er. „Ich gebe mir Mühe, wenn du mir versprichst, deine Dates nächste Woche nicht abzusagen", erpresse ich ihn schmunzelnd, woraufhin er seine Hand ausstreckt. „Deal."

*

„Natürlich geht das, Juna. Meine Güte, du siehst so heiß aus, jeder auf dieser Party wird in Ohnmacht fallen", beantwortet Kian die Frage nach meinem Outfit. Er sitzt in seiner löchrigen, lilanen gebatikten Jogginghose auf dem Boden neben meinem Kleiderschrank. Ich verdrehe die Augen. „Alter!", beschwere ich mich. „Was?" Er grinst und wackelt mit den Augenbrauen. Kopfschüttelnd versuche ich die Schranktür zuzudrücken, um in den Spiegel an dessen Außenseite schauen zu können. Dummerweise hängen ein paar meiner Hoodies heraus, weshalb die Tür mir wieder entgegen fliegt. „Fuck, man!", grunze ich genervt.

„Beruhig dich mal", verlangt Kian von mir. „Halt die Fresse. Warst du schon mal verliebt?" Er weiß genau, dass es eine rhetorische Frage war, denn natürlich war er schon mal verliebt. Ich will dieser Bitch immer noch alle Knochen brechen. „Okay, Punkt für dich", gibt mein bester Freund zu. „Hmpf", antworte ich nur. Er lächelt schief. „Du hast schon wieder diesen Mord-Blick drauf", stellt er fest. Schulterzuckend blicke ich in den Spiegel, was nur funktioniert, weil ich die Schranktür mit einer Hand festhalte. „Kein Wunder, bei dem Gedanken an diese Pissfotze." Er seufzt dramatisch auf. „Gott, wenn ich gewusst hätte, dass dein Vokabular so ausfällig wird, wenn du nervös und verliebt bist...", beginnt er, lässt den Rest des Satzes jedoch in der Luft hängen.

Ich lasse die Holztür los und kümmere mich nicht darum, dass einer der Pullis herausfällt. „Was dann?", frage ich leicht aggressiv mit verschränkten Armen nach. Kian hebt die Hände, indessen er zu mir hochschaut. „Nichts, ich hätte es nur einfach nicht gedacht." Ich glaube ihm, und wenn er lügt, ist es mir gerade auch egal.

„Muss ich mich schminken?" Mein bester Freund schüttelt den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Müssen ist sowieso ein ganz blödes Verb", findet er. Ich seufze und streiche über meine eher eng anliegende Trackpant. „Hast recht", stimme ich ihm dann zu. Nervös zupple ich an dem selbstverständlich ebenso schwarzen, körperbetontem Croptop herum, welches gerade so meinen BH verdeckt. Ich habe überlegt, keinen anzuziehen, aber anders als beim Make-up bin ich nicht mutig genug, dem gesellschaftlichen Druck zu trotzen. Außerdem habe ich keinen Bock drauf, dass sich das Anstarren und Catcalling potenziert. Ich hasse es, dass ich so denke und auch noch einen Grund dafür habe.

Ich wünschte, Meadow würde manchmal keinen BH tragen. Es ist furchtbar respektlos und ich fühle mich wie einer dieser bescheuerten Typen, die Frauen nur auf ihr Äußeres reduzieren, aber fuck, seit gestern lasse ich mich sie heiß finden. Ich wusste schon vorher, dass sie für mich schön ist, vor allem ihre Augen. Gott, und ihr Gesicht. Und ihre Unterarme und ihr kleiner Bauch, den sie so selbstbewusst präsentiert, und ihre unperfekten Oberschenkel und ihr Hintern und-

Und ihre Lippen. Scheiße. Ich bin so verdammt verknallt. Wie konnte ich das zuvor unterdrücken?

„Gehts dir gut?", fragt Kian leise nach. Ich zucke zusammen, weil ich vergessen habe, dass er immer noch neben mir auf dem Boden sitzt. Langsam lasse ich mich ebenfalls in den Schneidersitz plumpsen. „Ich weiß es nicht", murmle ich. „Was, wenn sie mich nicht mag? Was, wenn sie-" Nein, Moment. Sie hat mir gesagt, dass sie nicht auf Typen steht, wobei sie im Nachhinein betrachtet endlos süß aussah. Aber wer weiß, vielleicht ist sie auch asexuell oder aromantisch. Oder sie mag jemand anderen. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob ich ein eifersüchtiger Mensch bin, aber bei dem Gedanken zieht sie mein Brustkorb seltsam zusammen. Verliebt zu sein ist verfickt anstrengend.

Mein Stiefbruder legt beruhigend seine Hand auf mein Knie. „Du wirst überleben", verspricht er mir. Ja, das glaube ich auch. Irgendwie wird schon alles. Nur wie es mir dann geht, egal, was heute Abend passiert, das kann ich überhaupt nicht einschätzen. Schon jetzt fühle ich mich verdammt merkwürdig. Als würde ich im freien Fall sein, hoch oben in der Luft, und nicht genau wissen, was mich erwartet, dort, wo ich aufkomme. Ob mich ein Trampolin oder eine Wolke empfängt – oder ein Betonboden. Und mit dieser Unsicherheit fühle ich mich ganz und gar nicht wohl.

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