8.2 - Isla

619 46 18
                                    

„Hey, Große", begrüßt mich mein Vater lächelnd. Ich blicke in die Kamera, nachdem ich noch einmal sichergestellt habe, dass meine Tür verschlossen ist. Arlo war zwar eben schon so gut wie eingeschlafen, aber man kann ja nie wissen. Und ich bin wirklich nicht so erpicht darauf, dass mein kleiner Bruder dieses Gespräch mit anhört.

„Wie läuft es mit Arlo?", will Dad wissen. Ich zucke leicht mit den Schultern. „Ganz gut eigentlich. Eine Kommilitonin von mir hat auch einen kleinen Bruder in seiner Kita-Gruppe, mit dem er sich angefreundet hat. Ne Zeit lang war ich echt super fertig, bis sie angeboten hat, dass ihre Familie sich zwei Nachmittage die Woche um ihn kümmert", berichte ich. Mir ist gerade erst aufgefallen, dass ich schon länger nicht mehr mit meinem Vater telefoniert habe, sodass er nicht so genau weiß, was die letzten Wochen bei mir abgegangen ist.

„Wow, das klingt echt nett. Und mit der Kommilitonin hast du dich angefreundet?", will er wissen. Ich grinse verlegen. „Nicht wirklich", seufze ich. „Eher... hab ich mich in sie verliebt", berichte ich dann. „Oh! Und wie... Ist sie auch lesbisch? Oder zumindest nicht hetero?", will er wissen. Ich merke genau, wie meine Wangen warm werden. „Davon gehe ich jetzt mal aus", nicke ich zögerlich. Dad reißt die Augen auf. „Warte, bist du mit ihr zusammen? Wie heißt sie überhaupt?" Ich schüttel den Kopf. „Sie heißt Juna", informiere ich ihn.

„Und nein, wir sind nicht zusammen, aber... naja eventuell haben wir gestern auf ner Party... rumgemacht?" Mein Vater schmunzelt. „Eventuell?", hakt er nach. Ich lache leise. „Ja, okay, nicht nur eventuell, sondern ganz sicher", antworte ich ihm. „Das ist doch schön", freut er sich für mich. Ich nicke langsam. „Heute Vormittag, als ich Arlo bei ihr abgeholt habe, haben wir uns noch mal geküsst. Aber wir haben beide Male nicht geredet", berichte ich ihm. „What?", wundert sich Dad mit gerunzelter Stirn. Ich zucke erneut mit den Schultern. „Ja. Sie... Über Worte zu kommunizieren, ist nicht ihre größte Stärke, im Allgemeinen nicht", erkläre ich.

Mein Vater und ich diskutieren noch eine Weile darüber, was Junas Meinung zu dem Ganzen wohl sein wird, bis er zu Arbeit muss und ich todmüde bin. Beim Abschied legt er mir nahe, sie vielleicht mal darauf anzusprechen. Sie muss ja nicht beginnen, pausenlos mit mir über ihre Gefühle zu reden, aber es wäre vor allem für mich ganz gut, zu wissen, wie ernst sie es meint.

Nachdem wir aufgelegt haben, kuschel ich mich in meine Decke. Kurz stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn sie neben mir liegen würde, verwerfe den Gedanken dann jedoch lieber ganz schnell. So lange ich nicht weiß, ob bei ihr ebenfalls Gefühle im Spiel sind, will ich mir nicht zu viele Hoffnungen machen.

Juna ist allerdings ziemlich gut darin, mir Hoffnungen zu machen, wie ich am nächsten Tag feststelle. Am Montag haben wir wie gewöhnlich um neun Uhr zusammen Seminar. Ich habe das Gefühl, dass meine attraktive Kommilitonin mich beinahe pausenlos anstarrt, weshalb es mir selbst nicht besonders leicht fällt, mich zu konzentrieren. Wären wir in einem dramatischen Liebesfilm, würden wir jetzt über irgendwelche geheimen Zeichen ausmachen, gleichzeitig rauszugehen und dann auf dem Gang leidenschaftlich herummachen.

Als der Prof das Seminar für beendet erklärt, packe ich meine Sachen ein, indessen ich mit einem Auge bei Juna bin. Diese lässt mich ebenfalls nicht aus den Augen und als ich den Raum verlassen will, läuft sie plötzlich im Gedränge der Studenten neben mir her. Ihre Finger umfassen sanft mein Handgelenk und ziehen mich zur Tür der Damentoiletten, die direkt neben dem Seminarraum sind. Kaum stehen wir eng voreinander in einer der Kabinen, lächelt sie mich vorsichtig an. „Hey", flüstert sie, wobei sie eine Hand ausstreckt und behutsam über die nackte Haut meiner Taille streichet. Sofort bekomme ich eine Gänsehaut, weshalb ich mich gleichzeitig dafür verfluche und feiere, mein oversized Shirt seitlich hochgeknotet zu haben.

„Hi", entgegne ich ebenso leise. Ihr fällt eine hellbraune Haarsträhne ins Gesicht, welche ich liebevoll hinter ihr Ohr streiche, ehe ich meine Hand leicht an ihrem Hals ablege. Juna tritt näher an mich heran, dann legt sie behutsam ihre Lippen auf meine. Anders als bei den letzten beiden Malen sprühen unsere Bewegungen nicht vor Leidenschaft. Heute küsst sie mich unglaublich sanft, fast schon zurückhaltend. Ihre Finger streichen zärtlich über meine Seiten und ich habe das Gefühl, dass sie mir damit etwas sagen will. Das Problem ist, dass ich sie zwar verstehe, aber es nicht ganz glauben kann.

Wir küssen uns sicherlich minutenlang ganz zaghaft und unschuldig. Irgendwann seufzt sie leise, bevor sich unsere Münder trennen. Juna lächelt mich noch einmal warm an, streicht zart über meine Wange, drückt mir einen langen Kuss auf die Stirn. Dann ist sie weg.

Etwas überrumpelt stehe ich noch kurz in der Kabine herum, starre an die beschmierten Wände. Life is short, eat chocolate first! steht dort, worauf ein Pfeil deutet, welcher mit einem wirst dann halt fett beschriftet ist. Ich schnaufe über diesen Ausdruck des toxischen Körperbilds. Ich esse gern Schokolade und bin gerne nicht perfekt schlank. Neben einem Tic-Tac-Toe lese ich Henriette dreht das Quadrat bei Tetris und Das Leben macht Gin!. Ich schüttel den Kopf. Studenten sind komisch.

Dann fällt mir ein weiterer Satz ins Augen. Nice to sweet you ;) steht da. Ich schlucke. Ob es für Juna wirklich nur das ist? Spaß an Körperlichkeiten? Eigentlich hat sie mir zwar gerade vor zwei Minuten gezeigt, dass dies nicht der Fall ist und so gern ich von mir behaupte, dass ich auch nichts gegen etwas Lockeres habe, so genau weiß ich auch, dass es bei Juna eben anders ist. Weil ich mich nun mal in sie verliebt habe. Und das ist nicht rückgängig zu machen.

Zum Glück habe ich nach ein paar Stunden Schicht im Café noch ein wenig Zeit zu Hause, bis ich Arlo abholen muss. Indessen ich mir ein paar Schupfnudeln in der Pfanne anbrate, höre ich laut Musik. Heute ist es kein Harry Styles, da ich mich aus irgendeinem Grund, der sicherlich nicht mit Samstagabend zu tun hat, besonders gay fühle. So benutze ich den Pfannenwender als Mikrofon, während ich durch meine kleine Küche tanze und laut Born This Way, So What und I Kissed A Girl, natürlich der Rock-Remix, mitsinge. Beinahe vergesse ich meine Schupfnudeln, doch dann erinnere ich mich doch noch an eines meiner liebsten Studentengerichte. Sie schmecken köstlich ungesund nach Fertigessen. 

adore youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt