5.4 - Juna

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Kaum stehe ich wieder im oberen Flur, klingelt es an der Tür. Mit den zwei Weinflaschen in der Hand öffne ich. „Hey, Juna! Oh, sind die zum Überstehen von dem ganzen Chaos?", lacht Malina direkt los. „Nein, Catalina wollte Wein." Ich lasse Vivicas Mutter eintreten. „Ach so", zwitschert die Blonde, wobei sie ihre Schuhe auszieht und vor mir ins Wohnzimmer rauscht. Ich muss zugeben, dass ich sie mir vor den dreien am wenigsten sympathisch ist. Das heißt nicht, dass ich sie nicht mag, im Gegenteil. Malina ist eine wirklich nette Person, allerdings kümmert sie sich so gut wie gar nicht um Vivi. Wir alle sehen sie nur zum 'Dinner for nine' oder wenn mein Papa mal Flaute hat (was eher selten der Fall ist) und sie zum Vögeln vorbeikommt. Romina schreibt uns zumindest immer mal wieder, um sich nach Silas zu erkundigen.

Ich folge Malina langsam ins Wohnzimmer, wo mein Vater mittlerweile dabei ist, Essen aufzutun. Sie wird von allen freundlich begrüßt, während sie sich auf einen Stuhl fallen lässt. Ich unterdrücke ein Schmunzeln, als sie sich mit einem „Ich sag's euch, der Verkehr..." beginnen will, aufzuregen. Allerdings unterbricht Catalina sie beinahe sofort, indem sie mit ihrer Story fortfährt. Ich kann wirklich nichts dagegen machen, dass ich die Mutter von Kian und Keanu am liebsten habe. Immerhin kenne ich sie auch schon am längsten, sodass sie am ehesten eine Ersatzmutter für mich darstellt. Wenn ich will, kann ich immer mit ihr reden und ich habe auch das Gefühl, dass sie mich ebenfalls als halbe Tochter betrachtet.

Nachdem ich Catalina den Wein vor die Nase gestellt habe, wofür ich ein breites Strahlen geschenkt bekommen habe, lasse ich mich zwischen Kian und meinem Vater nieder. Während sich vor allem die Erwachsenen, aber auch Keanu und Vivica angeregt unterhalten, esse ich schweigend. Irgendwann wird Silas müde, weshalb ich Romina vorschlage, dass wir ihn zusammen ins Bett bringen. Ich weiß genau, dass sie allein mit der Aufgabe überfordert wäre, sich aber trotzdem freut, etwas Zeit mit ihrem Sohn verbringen zu können.

„Juna!", ruft Catalina begeistert, als Romina und ich wieder das Wohnzimmer betrete. „Wir haben jetzt von allen das Neuste gehört, nur von dir noch nicht! Erzähl mal, wie läuft es bei dir?" Ich werfe meinem besten Freund einen hilflosen Blick zu, doch er zuckt nur ratlos mit den Schultern. Wenn seine Mutter angetrunken ist, vergisst sie manchmal, dass ich nicht so gern im Mittelpunkt stehe. „Wie ist dein Studium?", erkundigt sich Romina, die zusammen mit mir wahrscheinlich noch am nüchternsten ist. (Gut, Vivi hat natürlich auch nichts getrunken.) Ich werfe ihr ein dankbares Lächeln zu, da ich direkte Fragen besser beantworten kann als ein allgemeines „Erzähl doch mal".

„Ganz gut", nicke ich also. Malina macht eine wegwerfende Handbewegung. „Wir wissen doch alle, dass du das gut machst. Lass uns lieber über die spannenden Dinge reden. Hast du auf jemanden ein Auge geworfen?" Ich ziehe meine Schultern hoch. „Stimmt! Wie läuft es mit den Girls?", ruft Catalina begeistert. „Ach ja, du bist ja so eine Lesbe." Malina sieht nun doch nicht mehr so aus, als würden sie die spannenden Dinge besonders interessieren. „Du weißt schon, dass ich als der Vater von deiner Tochter bi bin, oder?", geht mein Vater sofort in die Verteidigung. „Ja sicher, ich hab ja auch nichts dagegen", beteuert die Angesprochene.

„Na gut. Dann erzähl mal, Süße." Catalina wirft mir einen aufmunternden Blick zu. „Es gibt niemanden", wimmel ich ab. Im Augenwinkel sehe ich, wie Kian mich forschend anstarrt, als wolle er herausfinden, ob ich irgendwie getroffen bin. Allerdings ist Malina mir eigentlich egal. Ich will nur nicht, dass die Stimmung kippt, denn ich weiß genau, dass mein Vater sich wie jedes Mal total auf dieses Familientreffen gefreut hat. Deshalb wünschte ich, dass sich das Thema ändern würde. „Sicher? Mika hat erzählt, dass die große Schwester von Silas' bestem Freund eine ganz nette ist", bohrt Catalina jedoch weiter. Ich werfe Papa einen genervten Blick zu, woraufhin er sein Hundewelpen-Grinsen auspackt. Nicht fair.

„Ja, sie ist ganz nett, aber das wars auch schon. Hast du jemanden kennengelernt?", drehe ich den Spieß um. Catalina lacht, wobei sie mich wissend anschaut. „Nicht so wirklich", winkt sie ab. „Was? Erzähl!", bittet mein Vater augenblicklich begeistert. Die nächste halbe Stunde dreht sich das Gespräch nur einen Typen, den sie gerade datet. Sie hat ihn kennengelernt, da seine Schwester eine gute Freundin von ihr ist und ihn zum Tätowieren gebracht hat. „Zuerst war ich ganz verwirrt, weil er ja blind ist und sein Tattoo gar nicht sehen kann. Aber er kann unfassbar gut zeichnen und wollte eines seiner Motive unbedingt auf seinem Körper verewigen", erzählt Catalina mit leuchtenden Augen. Ich kann richtig sehen, wie begeistert sie von ihm ist. „Dich hats ja ganz schön erwischt", lacht Keanu. „Klingt so. Was meinst du, schaffst du es, ihn bis zum nächsten 'Dinner for nine' festzunageln, damit du ihn mitbringen kannst?", neckt mein Vater. Sie lacht auf. „Vielleicht?"

Eine Weile später fällt Vivica vor Müdigkeit beinahe vom Stuhl. Kian bringt sie ins Bett und als er wieder nach unten kommt, verabschiedet sich Romina von uns. „Tut mir wirklich leid, aber ich muss morgen früh arbeiten", entschuldigt sie sich. „Was? Aber morgen ist doch Samstag!", ruft Malina aus. Silas' Mutter zuckt mit den Schultern. Papa seufzt. „Versprich mir, dich nicht zu überarbeiten, ja? Nicht, dass du uns noch umkippst." Auch, wenn die Vorstellung natürlich furchtbar ist, muss ich darüber lächeln, dass mein Vater sich um die Mütter seiner Kinder so sehr sorgt. Alle drei sind für ihn nicht nur Freunde, sondern gehören auch zur Familie, was ich unglaublich schön finde.

Malina verschwindet ebenfalls, nachdem sie erfahren hat, dass mein Vater heute nicht mehr mit ihr schläft. So bleibt eine gemütliche Runde aus meinem Vater, Catalina, ihren beiden Söhnen und mir. „So, jetzt erzähl doch noch mal ein bisschen mehr von deinem Bald-Freund. Wie heißt er überhaupt?", erkundigt sich Keanu bei seiner Mutter. Sie grinst. „Er heißt Josias und ist wirklich ein toller Kerl", beginnt sie zu schwärmen. „Hast du ein Bild von ihm?", will Kian wissen. Catalina fischt sofort ihr Handy hervor, als hätte sie nur so auf die Frage gewartet. Stolz zeigt sie ein Foto eines schlanken und eher kleinen Mannes, durch dessen weißblondes Haar sich ein paar graue Strähnen ziehen. Mein Vater nickt beeindruckt und auch Kian, Keanu und ich finden ihn ziemlich gutaussehend. Mich freut aber auch sehr, dass er ziemlich sympathisch aussieht.

„Ich würde mich freuen, ihn kennenzulernen", gebe ich also meine Meinung kund. Catalina lächelt mich warm an. Vielleicht, weil es einer der wenigen freiwilligen Sätze an diesem Abend aus meinem Mund war, vielleicht aber auch, weil sie sich über die Aussage an sich freut. Zumindest drückt sie mir einen Kuss auf die Wange. „Danke, Süße. Vielleicht bringe ich ihn erst einmal alleine her", überlegt sie, was wir anderen stark befürworten.

„Und du? Willst du mir nicht doch von der Schwester von Silas bestem Freund erzählen? Arlo heißt der, richtig?" Ich nicke. Mein kleiner Bruder hat heute Abend ziemlich viel von Meadows Bruder gesprochen. „Sie heißt Isla und ist wirklich ganz nett. Aber ich bin nicht in sie verknallt oder so. Und du weißt ja auch, wie ich bin", erkläre ich ihr, denn das ist die Wahrheit. Dass ich sie definitiv nicht schlecht aussehend finde, erwähne ich nicht. Eventuell sollte ich darüber demnächst mal mit Kian reden, vor allem, wenn sie mich wirklich anschreiben sollte. „Na gut. Aber vielleicht wird das ja noch was! Halt mich auf jeden Fall auf dem Laufenden", bittet Catalina mich, weshalb ich nicke. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass es in naher Zukunft nichts neues zu erzählen geben wird. Denn wahrscheinlich wird Meadow früher oder später eh genug von meiner Schweigsamkeit haben.

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