6.2 - Isla

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Ein Schrillen reißt mich aus dem Dämmerschlaf. Verwirrt blinzle ich, was sich jedoch nicht als die beste Idee herausstellt, da die Sonne durch einen Spalt in meinen Gardinen direkt in mein Zimmer strahlt. Aus diesem Grund kneife ich meine Lider wieder zusammen. Kurz bin ich mir nicht sicher, ob ich geträumt habe, dass Juna bereits hier war und Arlo in die Kita gebracht hat. Ich bin jedoch zu erschöpft, um auf die Uhr zu schauen.

Seufzend drehe ich mich auf die andere Seite, aber in genau diesem Augenblick zerreißt das laute Geräusch ein weiteres Mal die wohltuende Stille. Dieses Mal bin ich mir sicher, dass es meine Klingel ist. Wer zum Teufel kann etwas von mir wollen? Wenn ich nur ein Paket für jemanden annehmen soll, bin ich wirklich böse. Der Weg, welchen ich zur Wohnungstür schwanke, ist dafür nämlich definitiv zu anstrengend. „Ja?", frage ich, völlig erledigt, in die Sprechanlage. „Hier ist noch mal Juna. Kannst du mich reinlassen?"

Ich drücke den Türöffner und will gerade wieder zurück in mein Bett kriechen, als mir bewusst wird, wer da gerade die Treppen hinauf kommt. Was zum Teufel will Juna hier? Ich fasse mir an den Kopf, denn ich kann nicht glauben, dass ich gerade keinen Fiebertraum durchlebe. Alles andere wäre einfach zu unlogisch.

Allerdings klopft es einen Moment später gegen die Tür, weshalb ich aufschrecke. Gibt es so lebensechte Träume? Zögerlich öffne ich zum zweiten Mal am heutigen Tag meine Wohnungstür, hinter der tatsächlich meine heiße Kommilitonin steht. Verwirrt schüttel ich den Kopf. „Bist du echt?", kommt nicht besonders durchdacht aus meinen Mund, doch ich bin zu erschöpft, um mich darüber zu ärgern. „Jap. Kann ich rein kommen?"

Wortlos trete ich zur Seite und lehne mich gegen die Flurwand, um zu beobachten, wie Juna ihre Schuhe auszieht. „Geh zurück ins Bett", verlangt sie von mir. „Was machst du hier?", murmel ich, ohne darauf einzugehen. Sie seufzt. „Ist das nicht offensichtlich?" Ich starre sie sprachlos an. Einerseits, weil sie zwar immer noch nervös scheint, jedoch trotzdem ganze Sätze zu Stande bringt. Andererseits, weil ich nicht glauben kann, dass sie sich vielleicht um mich kümmern will. Vor allem der zweite Punkt will mir nicht in den Kopf, doch meinem fiebrigen Gehirn fällt kein anderer Grund ein.

Eine Sekunde später dreht sich Juna und meine Wohnung um mich und meine Beine zittern höllisch, weshalb ich nach Halt suchend meine Hände an der Wand hinter mir abstütze. „Fuck", höre ich jemanden fluchen, dann erklingt ein Plumpsen. Einen Wimpernschlag später stabilisieren zwei Hände an meiner Hüfte meinen Stand, bis der Schwindel vergeht. „Besser?", murmelt meine Kommilitonin, als ich wieder scharf sehe. Langsam nicke ich, weshalb sie ihre Hände von mir nimmt. Leider.

„Du legst dich jetzt wieder hin." Ihre Stimme duldet keinen Widerspruch, weshalb ich dankbar den Arm, welcher mir entgegen gestreckt wird, ergreife. Sie führt mich um einen auf dem Boden liegenden Beutel herum, von dessen Existenz ich keine Ahnung hatte, und stützt mich bis in mein Zimmer. Aufatmend lasse ich mich in mein Bett fallen. Sogleich geht es mir etwas besser. Dies bewirkt jedoch auch, dass ich bemerke, dass Juna mich gerade in meinen Schlafklamotten sieht, weshalb ich schnell meine Decke über mich ziehe. Meine hübsche Kommilitonin lässt ihren Blick jedoch über meine Wände gleiten, die vor allem mit Harry Styles geschmückt sind. Nicht nur Zeichnungen und Bilder von mir hängen dort, sondern auch Tourplakate, seine Alben als Vinyl, Merchsticker und ausgedruckte Fotos.

Juna sagt jedoch nichts dazu, als sie ihren Blick wieder auf mich richtet. „Hast du nen Fieberthermometer?", will sie wissen. Ich nicke und nehme das Teil von meinem Nachttisch, wo ich es heute Nacht hingelegt habe. Zumindest glaube ich das, denn ich erinnere mich dunkel daran, mit Schüttelfrost ins Bad gekrabbelt zu sein, um es zu holen.

Das Thermometer piept, weshalb ich es mir wieder aus dem Mund nehme. „Neununddreißig", murmel ich leise. „Scheiße. Warte kurz." Juna verschwindet wieder aus meinem Zimmer. Ich schließe meine Augen und erwarte halb, das Geräusch der zufallenden Haustür zu hören oder endlich aus diesem unrealistischen Traum aufzuwachen. Doch nichts dergleichen passiert.

Stattdessen schiebt die Grünäugige eine Minute später die Bettdecken von meinen Unterschenkeln. Kurz darauf spüre ich an meinen Fußgelenken eine angenehme kühle Feuchtigkeit. „Wadenwickel", erklärt sie auf meinen fragenden Blick knapp. Ich nicke, dann starre ich sie erneut einfach nur an. „Ist dir schlecht?", erkundigt sie sich nun. „Nee", bringe ich hervor, versinke dabei jedoch weiterhin in ihren Augen. „Gut. Willst du schlafen?" Ich zucke desinteressiert mit den Schultern. „Bin grad nicht so müde", füge ich hinzu. Dazu ist diese Situation für mich viel zu verwirrend. Sie nickt, bevor sie erneut den Raum verlässt. Ob sie mich nun allein lässt?

Weitere fünf Minuten später werde ich eines Besseren belehrt. Juna betritt, eine große Tasse und eine Packung Salzstangen in der Hand, erneut mein Zimmer. Sobald der Geruch der heißen Flüssigkeit mich erreicht, verziehe ich das Gesicht. „Woher kommt denn der Kamillentee?", will ich gequält wissen. Ein Grinsen huscht so schnell, dass ich mir dessen nicht ganz sicher sein kann, über ihr Gesicht. „Hab ich mitgebracht. War auch ganz gut, hast ja nichts anderes als Kaffee hier." Sie blickt konzentriert auf meinen Nachttisch, indessen sie ihre Ladung darauf abstellt. Allerdings weicht sie auch danach meinem Blick aus. Sei es, weil sie gerade mehr gesprochen hat, als nötig gewesen wäre, oder weil sie meine Küche durchsucht hat.

Ich suche ihren direkten Blickkontakt, als ich mich vorsichtig aufrichte. Juna schnappt sich jedoch ein Kissen von meinem Schreibtischstuhl, welches sie sanft hinter meinen Rücken schiebt. Dann hält sie mir, mit weiterhin gesenkten Augen, den Tee hin. „Danke", murmel ich und hoffe, dass sie versteht, dass es sich nicht nur auf den Tee bezieht. Meine Kommilitonin tritt unsicher einen Schritt zurück. „Warum setzt du dich nicht zu mir?", schlage ich vor, ehe sie weglaufen kann. Dabei klopfe ich auf die Matratze. Junas Blick streift scheu meine Augen, dann holt sie sich meinen nun kissenlosen Schreibtischstuhl. Ohne auf meine Proteste einzugehen, lässt sie sich auf diesem nieder.

Eine Weile studiere ich schweigend wieder einmal ihr hübsches Gesicht, bevor mir siedend heiß etwas einfällt. „Scheiße, hast du nicht Seminar?", platzt es aus mir heraus. Mein Gegenüber zuckt jedoch nur mit den Schultern. „Bin ja sonst immer da", nuschelt sie abwinkend. Ich seufze, indessen ich sie weiterhin forschend betrachte. „Ich versteh es einfach nicht, warum du hier bist." Wie es zu erwarten war, ändert sich ihr abweisender Gesichtsausdruck nicht. „Du bist krank und allein. Trinkst du jetzt mal deinen Tee?" Frustriert nehme ich einen Schluck, um gleich darauf das Gesicht zu verziehen. „Bah", mache ich gequält. Junas Mundwinkel zucken, doch sie sagt nichts. Ich lasse mich tiefer in die Kissen sinken, indessen ich sie, durch den Dampf des Tees hindurch, weiterhin anstarre. Ich bin gespannt, wie lange sie bleibt.

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