9.3 - Isla

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Ich bin immer noch fasziniert davon, wie unser Seminarleiter auf die Situation reagiert hat, da ich leider schon selbst oft genug mitbekommen habe, dass andere Menschen Diskriminierung einfach übersehen und ich mit den Idioten alleine da stehe – egal, ob es um meine Sexualität oder mein nicht-europäisches Aussehen geht. Häufig gehen Passanten einfach weiter, weil es sie ja nicht direkt betrifft oder sie kein Risiko eingehen wollen. Ich finde es ziemlich schade, dass so wenig Menschen genug Zivilcourage aufbringen, um sich einzumischen. Zudem bin ich der Meinung, dass man indirekt zustimmt, wenn man nicht seine Stimme gegen Diskriminierung erhebt, ob man nun selbst davon betroffen ist oder nicht.

Juna scheint ebenso geflasht zu sein, denn sie bewegt sich nicht, sondern starrt nur unverwandt unseren Seminarleiter an, welcher den Kurs gerade auf die verschiedenen Formen der Diskriminierung aufmerksam macht. Auch auf solche, die nicht allzu bekannt sind, wie der Ableismus. Ich streiche noch einmal sanft über den Oberschenkel meiner Freundin, auf welchem meine Hand noch lag, bevor ich meinen Block heraus hole und mitschreibe.

Das Elf-Uhr-Seminar haben wir nicht zusammen, doch ich spreche mit Juna ab, dass wir uns danach wieder bei den Fahrrädern treffen. Ich habe dann zwar Schicht im Café, werde aber ganz sicher nicht ohne einen Abschiedskuss gehen.

„Hab dich vermisst", nuschelt meine Freundin gegen meinen Hals, bevor sie ein paar Küsse dorthin pflanzt. „Waren zwar nur zwei Stunden, aber mir gehts genau so", gebe ich zurück, fahre mit einer Hand über ihren Rücken unter ihr Croptop. Vorsichtig streiche ich über den Verschluss ihres BHs, dann ziehe ich meinen Kopf ein wenig zurück, um sie noch einmal küssen zu können. Ich habe das Gefühl, langsam aber sicher süchtig danach zu werden. Doch so, wie Juna gerade sanft an meinen Lippen saugt, glaube ich fast, dass ich nicht die Einzige bin.

„Hm- Ich würde jetzt so gern zu dir oder zu mir gehen, aber ich muss leider arbeiten", hauche ich in einer Kusspause gegen ihren Mund. Sie verzieht enttäuscht das Gesicht, ehe sie zaghaft zu lächeln beginnt. „Ich könnte mitkommen?", schlägt sie leise vor. Ich reiße die Augen auf. „Würdest du das machen?", will ich freudig wissen, woraufhin sie nickt. „Oh", antworte ich nur und drücke ihr mehrere überschwängliche Küsse auf die Lippen.

„Tschüss, ihr Turteltäubchen!", erklingt Caras Stimme hinter mir, weshalb ich mich von meiner Freundin löse, um mich zu meinen besten Freuden zu drehen. Anstatt meinem ersten Impuls zu folgen und meine Zunge rauszustrecken, gurre ich einmal taubenähnlich, weshalb Gabriel beginnt, laut zu lachen. Juna neben mir gluckst ebenfalls leise, sodass ich mich wieder ihr zuwende, um in den Genuss dieses Anblicks zu kommen. Sanft streiche ich mit einer Fingerspitze über ihre erhobenen Mundwinkel. „Wusstest du, dass im Zeugnis meiner ersten Klasse stand, dass ich besonders gut im Tiere nachahmen bin?"

Meine Freundin grinst nun noch breiter. Mir fällt auf, dass ich ihre Zähne hübsch finde. Okay, ich finde alles an ihr unfassbar hübsch. „Kann ich mir vorstellen", antwortet sie leise, dann küsst sie meine Nase. „Müssen wir los?", fragt sie dann. Ich lächle, als mir auffällt, wie ungezwungen sie bereits mit mir spricht. Natürlich lässt sie noch keine langen Reden vom Stapel, aber das muss sie auch nicht. So, wie sie ist, reicht sie mir mehr als vollkommen. Trotzdem freue ich mich riesig über jeden Schritt, den sie in Richtung eines vertrauten Verhältnisses tut.

*

„Einen Kurkuma-Chai, bitte", bestellt Juna, indessen sie lächelnd zu mir nach oben blinzelt. Ich nicke. „Kommt sofort", gebe ich liebevoll zurück und streiche nur einmal sanft über ihre Finger, da ich nicht will, dass die anderen Kunden sich irgendwie belästigt fühlen. Mein fettes Grinsen kann ich jedoch nicht verbergen, welches auch meinem Chef auffällt, als ich in die kleine Küche trete. „Du strahlst ja mehr als die Sonne", zieht er mich auf, doch ich zucke nur glücklich mit den Schultern. „Kann sein", gebe ich zurück und beginne, die verschiedenen Bestellungen zu bearbeiten, welche ich gerade aufgenommen habe. Bei Junas Chai gebe ich mir natürlich besondere Mühe und bringe ein etwas krüppeliges Herz im Milchschaum zustande.

„Aha, für wen ist der?", will mein Chef auch sofort wissen. Ich grinse etwas verlegen, doch da ich weiß, dass er politisch ähnlich eingestellt ist wie ich, was schon die ganzen linken Plakate an den Wänden und der Tür des Cafés zeigen, habe ich keine Bedenken. „Für meine Freundin", antworte ich ihm also lächelnd. Er grinst ebenfalls. „Na, wenn das so ist, leg doch einen Cookie dazu und sag ihr, der geht aufs Haus, weil sie meine Lieblingsmitarbeiterin so strahlen lässt", weist er mich mit einem warmen Gesichtsausdruck an. „Wow, danke", freue ich mich. Ich wünschte, es wären alle Menschen ein bisschen mehr so wie er.

„Was ist das?", will Juna verwundert wissen. „Ein veganer Hafer-Schoko-Cookie", erkläre ich. „Aber...", beginnt meine Freundin, doch ich unterbreche sie, indem ich die Worte meines Chefs wiederhole. Augenblicklich beginnt das hübsche Grün ihrer Augen zu funkeln. „Sag ihm danke und gerne", gibt sie zurück. „Und danke für das Herz", fügt sie schüchtern flüsternd hinzu. Ich lächle sie zärtlich an und bin mir sicher, dass sie mich auch ohne Worte versteht.

Nach meiner Schicht gehen wir Hand in Hand zusammen zur Kita. Da heute Mittwoch ist, verbringt Arlo den Nachmittag zwar eigentlich bei mir, doch wir sind uns einig, dass wir viel lieber mit unseren Brüdern auf den Spielplatz gehen würden. „Mea- Isla", hält meine Freundin mich ein paar Meter vor der Kita auf. Ich lächle sie fragend an. „Was? Und zweite Frage: Wie wolltest du mich grade nennen?" Ich stoße sanft mit meiner Hüfte seitlich gegen ihre. Sie beginnt, nervös auf ihrer Unterlippe zu knabbern, weshalb ich mich vor sie stelle und eine Hand an ihre Wange lege. „Ich weiß, dass du noch nicht willst, dass die Kleinen es wissen", murmel ich, da ich glaube, dass es darum geht.

Meine Freundin atmet tief durch. „Ja... nein", macht sie dann, dessen Bedeutung ich beim besten Willen nicht verstehe. „Ich wollte es, aber mir ist aufgefallen, dass es eigentlich Quatsch ist und alles nur komplizierter macht", fügt sie leise hinzu. Ihr Blick huscht zwischen meinen Augen hin und her. „Also, wenn das für dich auch okay ist, würde ich es ihnen gern sagen, damit ich gleich deine Hand nicht loslassen muss", wispert sie. Ich gebe ihr einen schnellen Kuss. „Natürlich ist das okay, ich freue mich sogar sehr darüber", gebe ich zurück. Sie lächelt vorsichtig. „Und zur zweiten Frage..."

Sie senkt kurz den Blick, sucht dann jedoch wieder den meinen. „Ich habe dir in meinem Kopf einen Namen gegeben, als ich deinen echten noch nicht wusste und irgendwie... Irgendwie habe ich nicht aufgehört, so über dich zu denken", erklärt sie leise. Ich hebe interessiert meine Augenbrauen. „Klingt cute. Wie nennst du mich denn in deinem Kopf?", will ich wissen. Juna grinst scheu. „Meadow", murmelt sie. Ich beginne zu lächeln. Meadow, das klingt irgendwie toll. „Ich mag einfach die Natur und weite Wiesen besonders, egal, ob es jetzt Blumenwiesen sind oder grüne, und naja, ich mag dich und irgendwie... passt es zu dir", haspelt meine Freundin. Sanft nehme ich ihr Gesicht in meine Hände. „Ich find den Namen sehr schön und finde es unglaublich süß, dass du mich so genannt hast. Und ich habe absolut nichts dagegen, wenn du mich weiter so nennst, sei es in deinem Kopf oder außerhalb dessen", mache ich ihr klar, weshalb sie erleichtert lächelt.

„Gut", haucht sie gegen meine Lippen, nachdem sie sich mir entgegen geneigt hat. „Mir ist das nämlich schon öfter fast rausgerutscht", gesteht sie, ehe sie mich zärtlich, aber doch bestimmt küsst. Mit einem leisen Seufzen schiebe ich sanft meine Zunge in ihren Mund und schlinge meine Arme fest um sie herum. Würden wir nicht die Kinder abholen müssen, hätte ich absolut nichts dagegen, das hier ein bisschen zu vertiefen.

adore youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt