9.2 - Juna

612 50 7
                                    

Nervös tippel ich mit meinem Fuß auf dem Boden herum. Wir haben nicht wirklich einen Treffpunkt abgemacht, weshalb ich bei meinem Fahrrad stehen geblieben bin, in der Hoffnung, dass Meadow ebenfalls mit ihrem Drahtesel kommt. „Wartest du auf jemand bestimmtes oder kann ich dich kurz entführen?", erklingt eine schleimige Stimme neben mir. Mir läuft es kalt den Rücken herunter, indessen ich reflexartig einen Schritt zur Seite mache. „Verpiss dich", schnauze ich den Typen an, da ich nicht wirklich in der Stimmung bin, ihm eine mitzugeben. „Ach, bist du dir da sicher? Ich dachte, wir könnten-" Er bricht ab und starrt hinter mich.

Noch bevor ich mich umdrehen kann, spüre ich zwei Arme um meinen Oberkörper und einen Kuss in meinem Nacken. Für eine Millisekunde spanne ich mich an, doch dann erkenne ich, dass es Meadows kleine Hände sind, die auf meinem bloßen Bauch liegen. Unwillkürlich beginne ich zu lächeln und drehe mich um, ohne den Schleimbrocken vor mir noch zu beachten. „Hi", flüstere ich, dann gebe ich meiner Freundin einen sanften Kuss. „Urg", höre ich es hinter mir, doch es ist mir herzlich egal. Vielleicht erleichtert es mich sogar ein Stück weit, dass der Typ nicht begeistert von unserem Anblick ist, sondern sich seine Schritte entfernen.

Meadow beißt zart in meine Unterlippe, sodass ich meine Konzentration vollends ihr widme. Vorsichtig fahren meine Hände über ihren Rücken, bis ich eine in ihrem Nacken und eine auf ihrer Hüfte ablege. Ich muss lächeln, als sie leise und überaus zufrieden seufzt.

„Hey", antwortet Isla eine ganze Weile nach meiner Begrüßung. Meine Mundwinkel heben sich erneut unwiderruflich in die Höhe, während sie mich liebevoll mit ihren wunderbaren braunen Augen betrachtet. Für ein paar Augenblicke starre ich sie einfach nur an, denn lehne ich mich erneut nach vorn, um ihr einen behutsamen Kuss auf die Stirn zu drücken. Es ist etwas ungewohnt, dass jemand noch kleiner ist als ich, denn obwohl mein Vater wirklich groß ist, bin ich ein ziemlicher Zwerg. Doch der dezente Größenunterschied zwischen uns ist einfach perfekt an.

„Dein Sixpack fühlt sich nice an", platzt Isla heraus, weshalb ich überrascht zu lächeln beginne. Mein Freundin beißt sich etwas erschrocken auf die Unterlippe. Offenbar war diese Aussage so nicht geplant, doch ich habe rein gar nichts dagegen, wenn sie derartig direkt ist. „Ach ja?", murmel ich schmunzelnd. Meadows Hände fahren von meinem Rücken nach vorn, wo sie erneut sanft über meinen Bauch streichen, nur, dass sie diesmal nicht hinter mir steht. Auch, wenn ich das (natürlich schwarze) Croptop heute ohne wirklichen Hintergedanken angezogen habe, gratuliere ich mir gerade selbst zu dieser Entscheidung.

„Oh ja", gibt sie leise zurück. Ihr Blick springt von meinem Bauch in mein Gesicht, weshalb ich sie angrinse. Vorsichtig lasse ich die Hand von ihrer Hüfte ebenfalls zart über ihren Bauch streichen, welcher diese süße Rundung hat, ehe ich behutsam ihre Hand nehme. „So schön ich das finde, wir müssen zum Seminar", murmel ich resigniert. Sie schiebt kurz beleidigt ihre Unterlippe vor, was ziemlich niedlich aussieht, weshalb ich ihr noch einen letzten Kuss gebe, ehe wir händchenhaltend losgehen.

Ich weiß nicht, ob ich je schon mal mit jemandem Händchen gehalten habe, der nicht zu meiner Familie gehört. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, weshalb ich nur zaghaft unsere Finger miteinander verschränke. Meine Freundin drückt jedoch meine Hand und schenkt mir ein warmes Lächeln, sodass mein Herz glücklich schneller klopft.

Ich bin so verliebt, dass ich unaufmerksam werde und mir erst zwei Meter vorher auffällt, dass wir gerade auf Meadows Freunden zusteuern. Sofort wird das Pochen meines Herzens nervöser Natur und ich merke ganz genau, dass meine Hand in ihrer schwitzig wird. Aus diesem Grund will ich unsere Finger voneinander lösen, doch meine Freundin hält mich ganz fest. Ich bemühe mich um einen neutralen Gesichtsausdruck, als wir schließlich vor den beiden stehen, damit sie nicht gleich bemerken, dass ich am liebsten weglaufen würde.

„Hey!", ruft die mit den braunen, langen Haaren, welche glaube ich Cara heißt. „Hi", gibt Isla zurück und umarmt mit ihrem freien Arm erst ihre beste Freundin, dass deren gelockten Freund. „Alles klar?", lächelt dieser. „Oh ja, sowas von, Gabs", grinst Meadow, indessen sie erneut meine Hand drückt. Ob irgendwer von mir erwartet, dass ich etwas sagen soll? Unruhig schlucke ich, lasse meinen Blick über die beiden mehr oder minder fremden Gesichter wandern. Allerdings starrt mich keiner auffordernd an, weshalb ich möglichst unauffällig einmal tief durchatme. Ich hoffe einfach, dass sie mich nicht mit Fragen bombardieren.

Glücklicherweise scheint das Pärchen vor uns entweder mein Unwohlsein zu bemerken oder zu wissen, dass ich nicht gern mit Menschen rede, denn sie quatschen einfach mit meiner Freundin, ohne mich großartig mit einzubeziehen. Dabei fühle ich mich jedoch nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil, ich bin ganz froh, dass ich einfach schweigend daneben stehen und zuhören kann. Zudem schenkt Meadow mir immer wieder ein sanftes Lächeln oder streicht mit ihrem Daumen zart über meinen Handrücken, als wollte sie mir bestätigen, dass alles gut ist.

Obgleich sich die Situation für mich ziemlich lang angefühlt hat, sind sicherlich nur ein paar Minuten vergangen, seit wir zu Cara und Gabriel gestoßen sind. Mittlerweile ist es fünf vor halb, weshalb die Freunde sich voneinander verabschieden, da sie einen anderen Kurs belegen als wir. Cara versichert sich noch, dass Isla sie vor dem nächsten Seminar trifft, da die beiden dieses zusammen haben, dann sind die zwei schließlich weg.

Meadow dreht sich stolz lächelnd zu mir. „Du bist nicht weggelaufen!", stellt sie fest. Ich zucke mit den Schultern. „Hast mich ja festgehalten", nuschle ich, streiche dabei jedoch über ihre Hand, damit sie nicht denkt, dass dies ein Vorwurf ist. Eigentlich bin ich glaube ich ganz froh, dass ich das Pärchen langsam kennenlerne. Gut, sehr langsam, aber die beiden erscheinen mir recht nett und ebenfalls rücksichtsvoll, weshalb es für mich keine große Belastung ist, Zeit mit ihnen zu verbringen.

„Ich hab nicht vor, dich je wieder loszulassen", gibt Meadow leise zurück, während sie mich zu unserem Raum zieht. „Uhm... danke, schätze ich", murmle ich, da ich keine Ahnung habe, wie man mit einer solchen Aussage umgeht. Meine Freundin kichert leise, und obwohl ich das Geräusch meist eher nervig finde, kann ich nichts dagegen machen, dass ich es bei ihr mag. „Ich bin verdammt verknallt in dich", flüstere ich deshalb, als wir uns in der letzten Reihe niederlassen. Ihr Gesicht beginnt zu strahlen. Schneller, als ich gucken kann, lehnt sie sich zu mir, um mich kurz, aber zärtlich zu küssen.

„Uhhh heiße Lesben", erklingt es hinter uns. Sofort spanne ich meine Kiefermuskeln an und drehe mich zu der Stimme. „Zumindest ist eine der beiden heiß", fügt jemand anders hinzu und mir fallen die beiden Typen ins Augen, die mich ungeniert anstarren. Ich will aufstehen, doch Meadow legt mir bestimmt eine Hand auf den Oberschenkel. Im gleichen Augenblick tritt der junge Mann, welcher das Seminar leitet, auf die beiden zu. „Raus", sagt er ruhig. „Was? Wir haben doch gar nichts gemacht", kiekst der, der als erstes gesprochen hat. „Vielleicht denken Sie da noch einmal drüber nach, denn ich sehe das anders. Das wird wohl ein unentschuldigter Fehltermin für Sie beide. Kurz und Schließer, richtig?" Er schlägt sein Kursheft auf.

„Ach, wie schade, Sie hatten schon jeder einen Fehltermin... Mensch, das tut mir jetzt leid, dass man zum Bestehen des Kurses nur einen haben darf", bedauert er ironisch. Ich reiße meine Augen auf, denn ich wusste nicht, dass unser Seminarleiter derartig cool drauf ist. Die beiden respektlosen Typen wollen noch diskutieren, werden jedoch ziemlich schnell nach draußen geschickt. „So", macht der junge Mann nun, als er sich nach vorn begibt. „Heute beschäftigen wir uns mit den unterschiedlichen Formen der Diskriminierung." Er wirft uns ein schnelles Lächeln zu, dann nimmt er sich die Kreide. „Welche kennen Sie?"

adore youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt