6.4 - Juna

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Die neugierigen Blicke in der Uni bin ich ja gewöhnt, doch als ich heute nach meinem Seminar nicht direkt das Weite suche, fühle ich mich wie die Hauptattraktion in einem Zirkus. Statt zum Ausgang des Gebäudes dränge ich mich durch die Menge der Studenten ein paar Meter weiter den Gang hinunter. Ein Typ aus einer Gruppe, von welcher ich glaube, dass ein anderer der Jungs mich schon einmal nach einem Treffen gefragt hat, starrt mich besonders ungeniert an. Fast bereue ich es, heute meine Lieblingsjeans angezogen zu haben. Selbstverständlich ist sie auch schwarz, doch die einzige nicht-Trackpant, in der ich mich wohlfühle. An der Vorderseite hat sie mehrere große Löcher, weshalb ich darunter eine dünne Strumpfhose mit aufgestickten Punkten trage. Ich bin mir bewusst, dass ich in dieser Hose recht ansehnlich aussehe, aber natürlich rechtfertigt das nicht ein solches Verhalten. Wie so oft fühle ich mich auf mein Äußeres reduziert, weshalb ich verstehen kann, dass viele Frauen mittlerweile ihren Körper verstecken. Eigentlich ist diese Tatsache jedoch ziemlich traurig.

„Ey, wir beide in ner Abstellkammer – Bock?", labert mich der Starrer an. Seine Kumpels grinsen, ich dagegen finde das gar nicht witzig. Wieder einmal liegt mir das Ich stehe eher auf hotte Girls als auf kleine Schwänze auf der Zunge, doch wie die Male zuvor schweige ich. Als ich einen Schritt näher an ihn herantrete, breitet sich erst ein gieriges Lächeln auf seinem Gesicht aus, welches jedoch ganz schnell wieder verschwindet, als ich ihm eine saftige Backpfeife gebe. Klar ist Gewalt nicht die Lösung für alles, aber manchmal habe ich eine klitzekleine Hoffnung, dass diese widerlichen Typen dann vielleicht mal aufhören, Frauen derartig zu belästigen.

Mit einem letzten verächtlichen Blick auf seine schmerzverzerrte Grimasse und die geschockten Ausdrücke seiner Kumpels quetsche ich mich weiter. Dabei war ich mir so sicher, dass ich dem einen schon einmal eine gewischt habe, weshalb meine Aktion sie eigentlich nicht hätte verwundern sollen.

Vor meinem Zielraum angekommen sehe ich mich nach zwei bestimmten Gesichtern um und hoffe, dass die beiden noch nicht nach Hause gegangen sind. Die musternden Blicke der anderen ignorierend, lasse ich meine Augen suchend über die Studentenmasse gleiten. Schließlich entdecke ich die beiden dunklen Haarschopfe, atme noch einmal tief durch und dränge mich dann durch die Menschen.

„H-Hey", mache ich auf mich aufmerksam und schlucke nervös, als sich Meadows Freunde zu mir umdrehen. „Hi", sagt die mit den langen, glatten brauen Haaren jedoch freundlich und auch der Dunkelgelockte schenkt mir ein aufgeschlossenes Lächeln. Ich beiße mir auf die Unterlippe und gehe in Gedanken noch einmal meinen geplanten Satz durch. „Habt ihr Unterlagen, die ich M- Isla mitbringen kann?", schaffe ich es dann, an einem Stück zu fragen. Die beiden wechseln einen erstaunten Blick. „Wir wollten ihr nachher Bilder davon schicken", antwortet das Mädel zögerlich, woraufhin der Typ ihr einen Ellenbogen in die Seite rammt. „Gehst du sie heut noch besuchen?", erkundigt er sich lächelnd. Ich nicke leicht, erleichtert, nichts sagen zu müssen.

„Das passt ja gut, dann würden wir uns natürlichen freuen, wenn du den Kram mitnehmen würdest. Ich hätte mit ihr Seminar gehabt, warte kurz", plappert er, wobei er sich an seinem Rucksack zu schaffen macht. Ich ignoriere das nette Lächeln der Braunhaarigen sowie meine zitternden Hände, als ich dem Gelockten die Zettel abnehme. „Danke", presse ich heraus. „Sehr gern, danke dir! Und richte ihr gute Besserung von uns aus, ja?", bittet mich das Mädel, was nach wie vor neugierig aussieht. Ich bin überzeugt, dass sie eigentlich jedes Detail und den Grund wissen will, warum ich zu Isla fahre, aber sie hält sich zurück, worüber ich sehr dankbar bin.

Ich nicke ihnen wortlos zum Abschied zu, ehe ich mich umdrehe und aus der Menge zum Ausgang flüchte. Zum Glück laufe ich dieser Gruppe von Vollidioten nicht mehr über den Weg, weshalb ich mich ungestört auf mein Fahrrad schwingen kann.

Als ich auf Meadows Klingel drücke, ist es fast dreizehn Uhr, weshalb ich überlege, ob wohl noch was von der Suppe übrig ist oder sie diese bereits gegessen hat. „Hallo?", kommt es verzehrt aus dem Lautsprecher, weshalb ich mich hastig räuspere. „Juna... Hier ist Juna", antworte ich dann und könnte dafür schon wieder meinen Kopf gegen die Wand knallen. Allerdings summt es in diesem Ausblick vor mir, weshalb ich lieber die Tür aufdrücke und die Treppe hoch laufe.

„Was machst du hier?", will Isla wissen. Sie sieht schon viel besser als gestern aus, weshalb ich sie vorsichtig anlächle. Heute trägt sie eine Leggins und einen riesigen schwarzen Pulli, der ihr bis zu den Oberschenkeln reicht und auf welchem fett GOLDEN steht sowie ein Foto von dem Typen abgebildet ist, welcher so zahlreich an ihrer Wand zu finden ist. „Nach... nach dir gucken?" Meine Antwort klingt wie eine Frage und ich knibbel unsicher an dem Saum meines Shirts herum. „Oh", macht sie, indessen sie beiseite tritt, weshalb ich die Wohnung betrete. „Ich dachte irgendwie, dass du heut nicht mehr kommst", fügt sie hinzu und ihre hübschen braunen Augen weichen meinem Blick aus. „Also, nicht, dass ich das erwarten würde, aber-" „Ich war in der Uni", falle ich ihr ins Wort, was eigentlich überhaupt nicht meine Art ist. Meadow starrt mich ebenfalls aus großen Augen an, sodass ich am liebsten im Boden versinken würde. „Sorry", sagen wir gleichzeitig. Ein paar Sekunden starren wir uns in die Augen, dann breitet sich auf Islas Gesicht ein verschmitztes Lächeln aus.

„Wie auch immer", schmunzelt sie und bedeutet mir mit der Hand, dass ich meine Schuhe ausziehen kann. „Hast du schon gegessen?", frage ich sie schüchtern. „Nee, ehrlich gesagt lag ich den ganzen Tag nur im Bett", gibt meine Kommilitonin zu. Ich zucke mit den Schultern. Das ist ja an sich schon nichts Verwerfliches, und wenn man krank ist, erst recht verständlich. „Ich ähm..." Ich schlucke erneut und spüre ganz genau, dass meine Wangen warm werden. „Arlo hat mal erzählt, dass du super gern Tiefkühlpizza magst, deshalb..." Ich breche ab und ziehe stattdessen etwas umständlich den flachen, quadratischen Karton aus meinem Rucksack. Dabei segeln die Zettel von ihrem Kumpel zu Boden, weshalb ich mich schnell bücke.

„Die sind... von deinem gelockten Kumpel aus deinem Seminar", erkläre ich leise und strecke meinen Arm aus, nachdem ich mich wieder aufgerichtet habe. „Von der Vorlesung kann ich dir auch sonst meine Notizen geben", füge ich noch leiser hinzu. Dabei bemerke ich nur am Rande, dass es mir nach ein paar Minuten immer leichter fällt, mit ihr zu sprechen, als zu Beginn.

„Wow... danke", wispert Meadow überrascht, während sie mir langsam die Blätter abnimmt. „Hast du Gabriel angesprochen?", fragt sie dann nach. „Ist das...?", will ich wissen, obwohl die Antwort eigentlich offensichtlich ist. „Ja, mein bester Freund. Und seine Freundin und meine beste Freundin heißt Cara", erklärt sie mir lächelnd. Ich nicke etwas eckig. „Ja, hab ich", beantworte ich dann etwas verspätet ihre Frage. „Toll", murmelt meine Kommilitonin nach ein paar Sekunden ehrlich mit einem kleinen stolzen Lächeln, weshalb ich noch verlegener werde, als ich sowieso schon bin. „Ich... geh mal das Essen warm machen", versuche ich mich aus der Situation zu ziehen, doch Islas weiche Stimme hält mich auf. „Ich freu mich übrigens wirklich riesig, dass du mir Pizza besorgt hast", murmelt sie. Ich nicke nur, dann sprinte ich schon fast in die Küche.

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