4.3 - Juna

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Nach zwei Stunden beginne ich langsam, meinen Kram wieder einzupacken. Wirklich viel habe ich nicht geschafft. Die meiste Zeit habe ich wahrscheinlich tatsächlich über heute Abend nachgedacht. Jetzt muss ich mich allerdings auf den Weg machen, um die Jungs von der Kita abzuholen. Auf dem Fahrrad denke ich lieber darüber nach, was ich mit ihnen spielen könnte.

Glücklicherweise fällt es mir nicht so schwer, mit unbekannten Kindern zu sprechen wie mit unbekannten Erwachsenen. Kinder sind viel einfacher, weil sie ehrlich sind. Sie versuchen nicht, etwas zu sein oder darzustellen, was sie nicht sind. Erwachsene machen sowas, wahrscheinlich auch zum Teil unbewusst, quasi dauerhaft.

Was nicht unbedingt ein Vorwurf ist, denn in manchen Situationen kann mensch eben einfach nur einen Teil von sich zeigen, da mensch Verantwortung hat, ein Vorbild sein muss oder gegenüber einer anderen Person seriös rüberkommen muss. Deshalb kann mensch meist nicht also Polizist-Prinzessin herumlaufen, wie Silas vor ein paar Tagen. Oder einfach auf der weiten Straße anfangen, zu tanzen. Oder in einer Klausur random singen oder Verstecken spielen wollen.

Sicherlich haben viele Erwachsene trotzdem noch Lust, sich schräg zu kleiden und Quatsch zu machen (zumindest hoffe ich das). Trotzdem tun sie es meist nicht, vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Ich nehme mich selbst da nicht aus. Und genau aus diesem Grund, da sie immerzu ernst sind und zum Teil eine Maske tragen, fällt es mir weit aus schwerer, mit ihnen zu kommunizieren, als mit Kindern.

„Hey, ich hole heute Silas und Arlo ab", spule ich den auf dem Fahrrad mehrfach geprobten Satz gegenüber der einen Erzieherin ab. „Ach ja, das hat Isla heute morgen schon erzählt! Die beiden Rabauken sind in der Bauecke, ich hole sie eben!" Erleichtert darüber, dass sie direkt davon rauscht und keine Antwort von mir zu erwarten scheint, lehne ich mich entspannt gegen die Wand neben der Tür. Keine Minute später stürmen die beiden Jungs mit Indianergeheul auf mich zu. Grinsend beuge ich mich zu ihnen herunter, weshalb ich von ihrem Schwung fast umgeworfen werde.

„Na, ihr beiden?", lächele ich, indessen ich jeden mit einem Arm umarme. „Wir haben was für dich gemalt!", ruft Arlo aufgeregt. „Guck mal, er hat so tolles Glitzer!", schreit mein kleiner Bruder gleichzeitig. „Was? Einer nach dem anderen", bitte ich die Jungs. „Hier", beginnt Arlo und drückt mir stolz ein Papier in die Hand. „Oh, danke!", mache ich lächelnd. Auf dem Bild ist ein großer Baum zu erkennen, an dem eine Schaukel hängt, auf welcher zwei Strichmännchen mit bunten Farben im Gesicht sitzen.

„Das sind Arlo und ich! Da! Und guck, wir haben beide Glitzer im Gesicht, weil Isla gesagt hat, sie bringt mir heute Abend was mit!", brabbelt Silas aufgedreht. „Das sieht sehr schön aus, danke", wiederhole ich mich, wobei ich meinem Bruder durch die Haare streiche. „Und das ist sehr nett von Isla", füge ich leiser hinzu. Entschlossen schiebe ich den Gedanken an heute Abend beiseite, falte mein Bild vorsichtig, um es in meine Pullitasche zu schieben, und stehe dann auf.

„So, Schuhe und Jacken anziehen!", bitte ich die beiden. „Ich will aber keine Jacke, das ist mir zu warm!", nörgelt mein kleiner Bruder. „Du kannst sie offen lassen, okay?", biete ich ihm an. „Nee! Das ist auch zu warm!" Ich seufze und hocke mich erneut hin, sodass ich ihm die Jacke um den Bauch binden kann. Arlo hat seine glücklicherweise angezogen, wenn auch offengelassen. Auch ihre Hausschuhe haben beide gegen ihre Schuhe getauscht, weshalb ich noch einmal die Klettverschlüsse kontrolliere und ihnen dann jedem eine Hand hinhalte. Draußen wechselt Arlo dann an Silas freie Hand, sodass ich noch mein Fahrrad schieben kann.

Auf dem Weg hüpfen die beiden gut gelaunt neben mir her, sind jedoch zum Glück nicht mehr ganz so aufgedreht wie vorhin. Zwar bin ich es gewöhnt, doch trotzdem erschöpfen mich Nachmittage mit energiegeladenen Kindern. So hoffe ich, dass die Jungs sich schon auf dem Spielplatz ausgetobt haben und ihre Aktivität von eben auf die Aufregung zurückzuführen ist, dass sie heute ihren ersten Nachmittag zusammen verbringen.

Tatsächlich vergehen die Stunden mit den Jungs ziemlich schnell. Zuerst basteln wir ein paar Papierflieger am Tisch, was von den Kleinen ziemliche Konzentration erfordert, da die Faltungen sehr genau sein müssen, damit sie gut fliegen. Dann werden die fertigen Flieger angemalt und schließlich im ganzen Haus durch die Gegend geworfen. Später gesellt sich Kian zu uns, welcher mit den Jungs einen Muffinteig produziert, indessen ich Vivica bei der Korrektur einer Arbeit über die Schulter gucke.

Als die Muffins dann im Ofen sind, verziehen sich die Jungs in Silas' Zimmer, um eine Höhle aus Decken und Kissen zu bauen. Durch die halboffene Tür klingt ihr Gekicher durchs ganze Haus, welches mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht zaubert.

Schließlich ist Vivi mit ihren Schularbeiten fertig, die Höhle der Jungs sowieso eingestürzt und die Muffins aus dem Ofen genommen und abgekühlt. Kian hat einen Zuckerguss aus Zitrone und Puderzucker vorbereitet, welchen die Jungs nun über die Muffins verteilen dürfen. Dabei landet der Zuckerguss natürlich auch auf der Arbeitsplatte, dem Boden und den Klamotten der Kinder, doch zu einer richtigen Sauerei kommt es glücklicherweise nicht. Ungeduldig warten die beiden, bis der Zuckerguss trocken ist, wobei sie ihn mit ihren Fingern immer wieder eindrücken, um festzustellen, dass er noch nicht fertig ist.

Schließlich hat das Warten ein Ende. Mit großen, glücklichen Augen beißen die beiden von ihren selbstgemachten Muffins ab, was mit so einem kleinen Mund gar nicht so leicht ist. Doch beiden scheint es sehr zu schmecken. Auch Kian und ich dürfen probieren und ich muss sagen, dass sich das Ergebnis dieser Aktion wirklich sehen – beziehungsweise in diesem Fall schmecken – lassen kann.

Mit der mehr oder minder tatkräftigen Hilfe der Jungs räumen Kian und ich dann die Küche auf. Außerdem füllen wir für Arlo und Isla ein paar Muffins in eine Tupperbox. Gerade, als ich den Deckel schließe, klingelt es an der Tür. Mit einem unauffälligen Schlucken werfe ich Kian einen unsicheren Blick zu. „Na komm, du machst das schon", murmelt er. Die beiden Jungs sind mittlerweile ins Wohnzimmer gerannt und hüpfen dort auf dem Sofa, weshalb sie die Klingel wahrscheinlich gar nicht gehört haben. Innerlich kratze ich meinen Mut zusammen, indessen ich durch den Flur zur Haustür laufe.

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