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So eine Woche vergeht wie im Flug, wenn man entweder mit Möbelaufbau oder Computerspielen beschäftigt ist. Mehr als zwei Mal habe ich unsere Wohnung auch nicht verlassen, das erste Mal zum Einkaufen und dann für die Suche nach einem Schwimmbad, weil Yeeun mir damit gedroht hat, nicht zu meinem Geburtstag vorbeizukommen. Ich käme ja auch viel lieber zu ihr, um das Meer zu sehen.

Meine Suche ist erfolgreich, und das Formular zur Mitgliedschaft im Schwimmverein liegt auch schon bereit. Ich habe einfach noch nicht den Mut aufgebracht, es auszufüllen, weil Eomma dann ganz sicher davon ausgeht, dass ich hier angekommen bin und ihr verziehen habe. Dabei ist keines von beidem bisher passiert.

Der erste Schultag entspricht meiner Laune - grau und langweilig, genau wie das Wetter. Ein paar Leute aus meiner neuen Klasse führen Gespräche mit mir, und einer von ihnen gibt mir auch seine Nummer, falls ich irgendwelche Fragen habe, aber ich werde es mir definitiv nicht zum Ziel machen, mich mit allen gut zu verstehen. Und Freunde will ich auch keine finden. Wenn sich irgendjemand als herausragend nett entpuppt, bitte, meinetwegen, aber auf Enttäuschungen kann ich verzichten, also mache ich mir auch keine Hoffnungen.

Nachmittags zwingt Eomma mich zu einem Spaziergang am Fluss entlang, denn wenigstens dabei hat sie Rücksicht auf mich genommen; ich kann durch mein Zimmerfenster aufs Wasser sehen. Wie daheim. Nur dass die einzige Gemeinsamkeit ist, dass es aus H2O-Molekülen besteht, und selbst da wäre ich mir hier nicht so sicher.

Wir sind eigentlich die ganze Zeit still, und ich weiß, dass Eomma mit der Zigarettenschachtel in ihrer Manteltasche spielt, auch wenn ich auf der anderen Seite laufe. Sie hat angefangen, nachdem sie erfahren hat, dass Appa sie betrügt, und ich kann es ihr nicht verübeln - es ist nur ein weiterer von unzähligen Gründen, warum ich diesen Mann hasse. Ich sehe meine verschrobenen Urgroßeltern lieber als ihn. Yeeun und ich haben ihn sogar aus den Familienbildern geschnitten, die Eomma danach weggeworfen hat. Hier stehen jetzt nur noch alte Kinderfotos von Yeeun und mir auf der Kommode im Wohnzimmer, wo früher der ganze Kaminsims und die Wände voll waren. Aber Eomma hat immer die Fotos gemacht, von uns mit unserem Erzeuger, also ist es kein Wunder, dass kaum noch welche übrig sind.

Es ist kalt, und ich bin froh, mich vorhin für meinen Mantel entschieden zu haben. Meine Beine sind bis zu den Knien schön warm. Dafür frieren meine Füße. Turnschuhe waren wohl eher weniger schlau. Die Gehirnzellen habe ich für den Mantel gebraucht.

"Sieh mal." Eomma deutet über das Wasser auf die andere Seite. "Ist das ein Denkmal?"

Sieht so aus, will ich sagen, frag Google, aber meine Aufmerksamkeit richtet sich auf einen Fleck auf dem Wasser. Nichts Besonderes eigentlich, bei den Massen an Müll, die ich schon überall herumliegen gesehen habe, aber irgendetwas daran gefällt mir nicht. Ich kneife die Augen zusammen. Es sieht aus wie...

Ein Mensch. Da treibt ein Mensch im Wasser.

"Eomma." Ich ziehe an ihrem Ärmel, damit sie sich wieder zu mir umdreht. "Siehst du das?"

"Was-" Sie verstummt, als ihr Blick meinem Finger folgt, und ich glaube, etwas wie einen Hilferuf zu vernehmen.

Es ist tatsächlich ein Kopf.

"Du rufst einen Notarzt und holst die Wolldecke", ordne ich Eomma an.

"Jeno, du willst jetzt nicht wirklich-"

"Du hast mich die ganzen Abzeichen machen lassen, und jetzt soll ich hier stehen und zusehen, wie jemand ertrinkt? Das kannst selbst du nicht ernst meinen."

Sie seufzt leise. "Mantel und Schuhe aus", erinnert sie mich.

"Ich hab die Ausbildung gemacht."

black swan 𖣓 nominWo Geschichten leben. Entdecke jetzt