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Es dauert, bis ich zufrieden bin, dabei ist es echt nicht mehr als sorry, dass ich mich nicht gemeldet hab, können wir das besprechen, wenn ich wieder in der Schule bin?

"Na los, abschicken!" Jaemin hat mich mit Küssen bestochen, und weil er mich jetzt das zweite Mal dazu auffordert, setze ich kurz mein Gehirn außer Betrieb und sende die Nachricht ab, bevor ich doch noch kneife.

"Du hast es mir versprochen", murmle ich gleich im Anschluss und lege mein Handy zur Seite, sehe ihn erwartungsvoll an.

"Ich weiß", es erscheint nach und nach ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen, "darf ich dich erst noch fragen, wovor du so Angst hast, wenn du ihnen schreibst?"

Ich zucke mit den Schultern. "Ich kann einfach keine Freundschaften mehr. Und dann krieg ich Schiss, dass ich was Falsches sag oder mach. Bei allen anderen ist das nicht so schlimm, aber die beiden sind halt... mehr an mir interessiert, weißt du? Und das macht es eben schwieriger."

"Verständlich." Eine Weile sieht er mich nur an, vermutlich in Gedanken. "Tut mir leid, ich bin echt gar nicht hilfreich momentan. Ich geb meinen Senf auch noch wieder dazu ab, nur gerade nicht. Aber ich hör dir noch zu und küss dich jetzt auch."

Lächelnd ziehe ich ihn an mich. "Das reicht mir ja schon."

"Mir aber nicht", schmollt er. Und damit er sich nicht noch mehr beschweren kann, küsse ich ihn.

Das Vibrieren meines Handys trennt uns voneinander.

"Wer ist es, wer ist es?" Neugierig sieht Jaemin mich an, während ich auf den Bildschirm tippe, damit er hell wird.

"Sungchan", murmle ich, während ich die Buchstaben überfliege, "alles gut, wir waren eh zu optimistisch, das in den Ferien zu machen, betretener Emoji, Sho und ich hätten heute angefangen, oder morgen, aber wenn du nicht kannst, machen wir das auch ohne dich, es gibt eh noch genug zu tun. Musst du auch nicht wissen, wann du wieder kannst, wir gucken einfach, wenn du wieder da bist, Lächeln."

"Naww", Jaemins Stimme macht mich gleich weniger nervös, "willst du antworten?"

"Nicht jetzt." Jetzt will ich meinen Freund küssen. Und das mache ich auch.

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"Kommst du morgen wieder?" Jaemin sieht mich mit bittenden Kulleraugen an.

"Kommt drauf an, wie's dir geht." Ich stupse gegen seine Nase. "Und ob ich mich nicht doch bei dir angesteckt hab."

"Dann wär's doch erst recht egal."

"Dann schaff ich's aber gar nicht erst zu dir."

Langsam schiebt er seine Unterlippe vor. Ich muss ihn küssen.

"Ich versuch's, Aphrodite."

"Okay. Sag mir Bescheid." Jetzt küsst er mich.

"Und du kommst sicher die Treppe allein wieder hoch?"

"Versprochen", lächelt er.

"Gut. Bis morgen, Stadtjunge."

"Bis morgen. Pass auf dich auf. Und meld dich, wenn was ist, Meermann."

Mit einem Lächeln küssen wir uns noch einmal, noch zweimal, bevor ich die Wohnung verlasse. Auf dem Weg nach unten höre ich die Tür zufallen, und schlucke und laufe noch ein wenig schneller. Nicht daran denken. Eomma wartet zuhause mit Essen auf dich. Und wenn du sie fragst, guckt ihr bestimmt irgendeinen Film zusammen. Alles, nur nicht an morgen denken. Alles, nur nicht an Schule denken. Alles, nur nicht daran denken, was ist, wenn ich es doch wieder tue.

Ich kann die ganze Woche nicht zur Schule gehen. Donnerstag will Eomma, dass ich es versuche, und weckt mich rechtzeitig auf, aber als ich aus dem Badezimmer komme und sie sich von mir verabschiedet, fange ich fast an zu heulen und schiebe dezent Panik – es fühlt sich an wie mein erster Tag im Kindergarten, und so sehr stelle ich mich auch in etwa an –, weshalb Eomma mich umarmt und mir verspricht, dass ich nicht gehen muss, wenn ich nicht kann. Also bleibe ich wieder zuhause. Und Freitag gehen wir zusammen einkaufen und für mich noch Schuhe, weil Eomma gesagt hat, dass das manchmal helfen kann.

Montagmorgen bin ich dann totmüde, und alles bis zum Schulweg ist völlig verschwommen, weshalb ich hoffe, dass ich heute besser schlafen kann.

Erst will ich meine normale Route über Jaemins Haus machen, aber rechtzeitig fällt mir ein, dass er immer noch krank ist, und ich hätte ihm einen Besuch abgestattet, wäre ich nicht dafür zu spät losgegangen. Nach der Schule vielleicht. Nein, ich will ihn ja sowieso sehen, ich war zwei Tage nicht bei ihm, also ganz bestimmt nach der Schule.

Ich setze mich quasi mit dem Klingeln auf meinen Platz und habe sofort Sungchans Aufmerksamkeit, dem ich auch erstmal beinahe ins Gesicht gähne.

"Wo warst du letzte Woche?", fragt er. "Wir dachten schon, du hast die Schule gewechselt!" Stimmt, das hat er mir sogar – scherzhaft – geschrieben und nachgefragt, aber alles, was ich gesagt habe, war, dass ich heute wiederkomme. Denn die Wahrheit erfährt er ganz bestimmt nicht.

"Hab mich bei meinem Freund angesteckt", murmle ich die nächstbeste Lüge, und erst danach fällt mir auf, was ich gerade gesagt habe. Es ist immer danach. Immer zu spät.

"Dein Freund?" Ein Strahlen geht über Sungchans Gesicht. "Wer ist es? Kennt man den, oder ist er aus Busan?"

Ich schüttle den Kopf und will mich am liebsten begraben gehen. "Hier, aber andere Schule."

"Du bist gerade so vier Monate hier und hast einen Freund von einer anderen Schule?! Wie habt ihr euch kennengelernt?"

"Lange Geschichte." Ich bin erleichtert, als unsere Lehrerin den Raum betritt.

"In der Pause hab ich Zeit", grinst mein Sitznachbar und wendet sich nach vorne, aber dreht mir noch einmal den Kopf zu. "Wenn du sie mir nicht erzählen willst, ist das aber völlig berechtigt. Und wenn ich das keinem sagen soll oder so." Er wird ein wenig bestürzt. "Eigentlich sollte ich das gar nicht wissen, oder?"

Ich winke ab und lege meinen Kopf auf den Tisch. "Jetzt weißt du's, also was soll's. Meinetwegen erzähl ich dir mehr, wenn du's für dich behältst. Ich hab keine Lust, neben dem Neuen auch noch die Schwuchtel zu sein."

"Okay. Verstanden." Seine Stimme wird leiser und er kleiner, was bei seiner Größe kaum auffällt. "Sorry."

Grinsend drehe ich ihm meinen Kopf zu. "Weißt du, an wen du mich erinnerst?"

"Klär mich auf."

"Meinen Freund." Damit setze ich mich auf und verkneife mir ein Lachen, weil Sungchan mir beleidigt gegen die Schulter schlägt. Gleich darauf fängt der Unterricht an.

Ehrlich gesagt ist es ein schönes Gefühl, jemandem außerhalb meiner Familie von Jaemin zu erzählt haben. Auch wenn ich gleichzeitig Schiss habe, was Sungchan dazu sagen wird. Und ich hoffe, es ist okay für meinen Tänzer, dass er davon weiß.

19.09.2021

black swan 𖣓 nominWo Geschichten leben. Entdecke jetzt