Ich fühle mich wirklich von Doyoung adoptiert. Aber es ist irgendwie schön, und er ist toll, und Soyeon ist still, aber ebenfalls nett.
Zwei Tage verbringen wir mit den beiden, am dritten machen Yeeun und ich Frühstück, nach dem wir uns in den Zug an die Küste setzen wollen. Mit Jaemin habe ich nicht noch einmal telefoniert und auch eher selten geschrieben, was mich deprimiert, aber dafür bleibt keine Zeit, weil immer entweder Yeeun oder Doyoung bei mir sind.
Als es klingelt, geht meine Schwester aus der Küche, und ich nutze die Gelegenheit, um Jaemin zu schreiben, während ich auf den Flur lausche. Was sie sagt, verstehe ich nicht, und ihr Gegenüber auch nicht, aber–
Das ist Jaemin. Ich höre Jaemins Stimme in Busan in der Wohnung meiner Schwester.
Bevor ich darüber nachdenken kann, lasse ich schon mein Handy knapp neben das Waschbecken fallen, sehe aus der Tür heraus.
"Jeno-yah!", ruft Yeeun mich, da bin ich schon auf dem Flur.
Es ist wirklich Jaemin. Mein Großstadtjunge in meiner Heimat. Seine Bernsteinaugen sehen über den Kopf meiner Schwester zu mir, seine rabenschwarzen Haare scheinen dem Wind zum Opfer gefallen sein, und ich schiebe mich an Yeeun vorbei, um ihn in eine feste Umarmung zu ziehen.
"Jeno–!" Er quietscht auf, und ich lasse etwas lockerer, halte ihn aber immer noch dicht an mich gedrückt.
"Ich mach weiter Essen, ja?", höre ich Yeeun hinter mir lächeln, und ihre langsamen Schritte entfernen sich.
"Jeno, lässt du mich rein?" Ich schüttle den Kopf, blinzle meine Sicht wieder klar.
Jaemin ist hier. Ich kann ihm meine Heimat zeigen.
"Neptun, du hast mir auch gefehlt, aber ich mag nicht auf dem Flur stehen." Also ziehe ich ihn rückwärts mit mir, bis ich die Tür hinter ihm schließen kann.
"Was um alles in der Welt machst du hier?" Ich schlucke.
"Ohne Muskelkater hab ich dich noch viel mehr vermisst." Er klingt ein wenig beschämt. "Also hab ich mit deiner Mutter geredet und sie hat mir gesagt, wie ich herkomme. Und als Eomma Ja gesagt hat, bin ich heute Morgen in den ersten Zug gestiegen."
"Jaeminnie..."
"Freust du dich gar nicht...?"
"Ich könnte mich nicht mehr freuen. Hast du das Ticket selbst bezahlt?" Er nickt. "Das ist doch so teuer."
"Jeno-yah", flüstert er, "ich bezahl Millionen, um dich zu sehen."
"Mein Gott." Ich lasse ihn los und drehe mich von ihm weg. "Ich hatte mir vorgenommen, nicht zu heulen, bis ich nicht wieder in Seoul bin."
Ich höre sein leises Lachen, den Reißverschluss seiner Jacke. "Ich hab ein Stück Seoul mitgebracht." Ein weiterer Reißverschluss, und als ich mich umdrehe, hält er zwei Papiere in der Hand.
Die Bilder aus der Zeitung.
Ich nehme sie ihm aus der Hand und lege sie zur Seite, um ihn wieder umarmen zu können. Fest und schwungvoll, und er stolpert einen Schritt nach hinten.
"Es ist so schön, dich wiederzusehen", wispert er. "Du hast mir so unfassbar gefehlt. Dabei waren das gerade mal drei Tage."
"Du mir auch." Dann realisiere ich, welcher Tag heute ist. "Scheiße."
"Was denn?"
"Wir wollten heute nach Hause. Also, in unsere Heimat."
"Oh", fängt Jaemin an, aber Yeeun unterbricht ihn.
"Ich bleib hier."
"Noonie–"
"Ihr fahrt zusammen. Ich bin eigentlich auch überhaupt nicht in der Verfassung dazu."
Ich lasse Jaemin los und drehe mich zu ihr um, sie steht im Türrahmen, gegen das Holz gelehnt. "Wir wollten zusammen schwimmen. Schon in Seoul."
"Wir gehen hier in ein Schwimmbad, wenn ihr wieder zurück seid, Wasserjunge. Okay? Sonst muss ich bei den Lius anrufen und die Zimmerreservierung stornieren."
"Okay." Ich suche nach Jaemins Hand, und er schiebt seine Finger zwischen meine. "Hast du dafür überhaupt Sachen mit?", richte ich mich dann an meinen Rabenschopf.
"Also, deine Mutter hat gesagt, ich soll Schwimmsachen mitnehmen, also hab ich auch Wechselklamotten dabei, und noch ein bisschen mehr Zeug", murmelt er.
"Die Sachen, die du noch brauchst, könnt ihr ja einfach kaufen", schiebt Yeeun dazwischen, "oder du leihst dir was von Jeno."
Ich betrachte Jaemin von der Seite, und als er nickt und es augenscheinlich auch so meint, schlinge ich wieder meine Arme um ihn. Ohne seine Jacke geht das viel besser, und außerdem riecht er so gut.
Himmel. Mein Jaemin aus Seoul hier in Busan. Und warum? Weil er mich vermisst hat.
"Jeno", höre ich ihn leise, "lässt du mich kurz auf Toilette gehen? Die im Zug hat mich zu sehr angeekelt."
Ich muss grinsen und lasse ihn, wenn auch unwillig, los. "Gleich hier vorne."
"Danke." Er drückt mir einen Kuss auf die Wange. "Wir können gleich weiterkuscheln."
"Dann ist ja gut."
Ich setze mich zu Yeeun in die Küche, und als sie sichergestellt hat, dass Jaemin nicht da ist, packt sie mich am Kragen.
"Verdammte Scheiße, Wasserjunge", schreit-flüstert sie, "wenn du das jetzt nicht nutzt und ihm endlich sagst, wie sehr du ihn magst, dann machst du es nie, und das weißt du. Es ist völlig egal, ob es gerade passt oder nicht, sag's ihm. Sonst mal ich dir nie wieder Bilder."
"Und wenn er es nicht erwidert, versaue ich mir und ihm den Rest der Zeit."
"Oh mein Gott, Jeno. Er ist hier, weil du ihm so gefehlt hast. Er hat mit Eomma deswegen geredet. Er hat sich allein in den Zug gesetzt, dessen Ticket er selbst bezahlt hat. Er hat dir seine Zeitungsartikel mitgebracht. Er wäre fast ertrunken und hatte schon im Schwimmbad unglaubliche Angst und hat jetzt trotzdem für dich Schwimmsachen eingepackt. Himmel, er nennt dich Neptun. Er hält deine Hand, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Hast du sein Strahlen nicht gesehen, als er dich hinter mir bemerkt hat? Die Möglichkeit, dass er es nicht erwidert, gibt es überhaupt nicht, wann siehst du das endlich ein?"
Sie lässt mich wieder los und wendet sich dem Herd zu, und als ich mich gefangen habe, betritt Jaemin die Küche. Ich klopfe auf den Stuhl neben mir, und er nimmt sofort auf ihm Platz.
"Ich mag die Wohnung", richtet er an niemand Bestimmten, und ich nicke. Er rutscht etwas näher an die Kücheninsel heran, und lässt wie unbeabsichtigt seine Finger meine streifen, weshalb ich nach seinen greife und sie zwischen meine nehme. Sie sind kalt.
"Windig draußen?", frage ich leise, und er nickt und drückt meine Hand leicht. Ich lege meine zweite über seine, und nehme gleich darauf auch seine zweite, um sie zu wärmen. Ganz bestimmt nicht, um seine Hand zu halten. Niemals würde ich das tun.
Nach einer Weile zieht er seine rechte Hand aber vorsichtig heraus, holt sein Handy hervor.
"Ich muss Eomma antworten", murmelt er, "dann kannst du weitermachen." Er entsperrt sein Handy, und in dem kurzen Moment zwischen Sperrbildschirm und Chat mit seiner Mutter sehe ich mich auf seinem Hintergrundbild, in seinem Hoodie, vor Opas Bücherregal.
Spätestens jetzt weiß ich, dass ich es ihm sagen muss.
21.01.2021

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black swan 𖣓 nomin
FanfictionJeno liebt das Schwimmen. Seine Mutter hat ihn deshalb alle Abzeichen machen lassen, die sie auftreiben konnte. Jeno verflucht sie dafür, bis zu dem Tag, an dem er Jaemin das Leben rettet. « Jeno ↑↓ Jaemin !slowburn !angst !sexual content (warnings...