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Jaemin ist begeistert, und ich erleichtert, weil wenige da waren und die, die da waren, mich nicht erkannt haben. Er klammert sich freudig an seine unterschriebene Ausgabe der Novelle und redet von der Lesung, als wäre ich selbst nicht dabei gewesen. Aber ich lasse ihn, denn einerseits macht es ihn glücklich und andererseits ist es einfach so schön, ihm zuzuhören.

"Dann geht's jetzt an den Strand", beendet er seinen Vortrag mit einem Strahlen, als hätte er nicht tierische Angst davor. Und irgendwie... will ich wieder allein sein.

"Sicher, dass du mitkommen willst?", frage ich deshalb, will zu einer Erklärung ansetzen, aber Jaemin unterbricht mich.

"Ich will ganz bestimmt nicht irgendwo auf dich warten und Panikanfälle kriegen, weil ich nicht weiß, ob du überhaupt noch auf der menschlichen Seite des Meeres bist."

"A– Okay. Aber du bist krank, also..."

Jaemin mustert mich, und bleibt letztendlich sogar stehen. "Willst du mich loswerden?"

"Was?" Ich starre ihn perplex an, vor allem, weil er es so direkt formuliert hat.

"Willst du alleine schwimmen gehen?"

"Weiß... ich nicht?"

"Ich kann ja auch mitkommen, aber am Strand bleiben. Du musst es mir nur sagen, Jeno, denn es ist mir lieber, wenn du dich wohlfühlst, als wenn du für mich etwas tust und dabei unehrlich bist."

"Also– Also erst einmal will ich dich ganz bestimmt nicht loswerden, und– und mit dir hat es auch nichts zu tun, ich will bloß einfach irgendwie, keine Ahnung, manchmal brauch ich einfach eine Pause."

"Und das ist in Ordnung." Er nimmt meine Hände in seine. "Deshalb kannst du mir das bitte auch sagen, okay? Ohne Angst vor meiner Reaktion zu haben."

"Okay. Danke. Sorry."

"Schon gut." Lächelnd legt er seine Stirn an meine. "Und das mit dem Loswerden hab ich nicht so gemeint."

"Gut", murmle ich, er lacht leise und wir teilen einen Kuss miteinander.

"Sollen wir?"

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Mit gemischten Gefühlen gehe ich neben Jaemin her zum Strand, halte mich an seiner Hand fest und er sich an meiner. Unsere Taschen sind gepackt, warten schon in der Eingangshalle auf uns, wir werden wohl mit nassen Haaren in den Zug steigen. Und ich weiß jetzt schon, dass ich es nicht aushalten werde, dass ich weinen werde, weil ich es jetzt schon nicht aushalte und heulen will, sobald wir am Wasser angekommen sind.

In Stille ziehen wir uns aus, und Jaemin hält die Hände in die Taschen seiner Badehose geschoben, bis ich ihm meine entgegenstrecke und er unsere Finger dankbar ineinanderschiebt.

"Tut mir leid", wispere ich jetzt schon, und bevor ich es ihm erklären muss, ziehe ich ihn mit mir ins Meer.

Sie begrüßt uns freudig, ihre Wellen sind sanft, das Wasser klar und nicht zu kalt. Sobald wir richtig drin sind, umarmt Jaemin mich. So lange, dass ich den Rest vergesse und nur ihn wahrnehme, so dicht, so lebendig, und ich bin so froh, dass er sich mit mir teilt.

"Ich warte hier, Neptun", flüstert er, als er mich loslässt, "und ob du zu mir zurückkommst oder nicht, bleibt deine Entscheidung."

Ich schlinge meine Arme wieder um ihn, so schwungvoll, dass er rückwärts stolpert. "Ich komme zurück", verspreche ich ihm. "Zu dir komme ich immer zurück."

Als ich ihn loslasse, küsst er mich noch einmal, ehe ich mich umdrehe und unter der Wasseroberfläche weit hinausschwimme.

Ich tauche erst wieder auf, als meine Lunge brennt, und drehe mich zurück, um Jaemin nur noch als einen Punkt zu erkennen. Okay, ganz so weit ist es noch nicht, ich kann sehen, wie er mir einen Luftkuss zuwirft und erwidere ihn, aber ob er jetzt weint oder lächelt, könnte ich nicht erkennen. So oder so ist es ausreichend weit weg, dass es nur mich und das Meer gibt. Ich hole Luft und tauche wieder unter.

black swan 𖣓 nominWo Geschichten leben. Entdecke jetzt