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Ich schaffe mehrere Kapitel, bis auf einmal die Tür aufgeht und Jaemin an mir vorbeihastet, lautlos und trotzdem stürmisch. Er ist blass, sieht mich nicht einmal an, und ich folge ihm in einem leichten Laufschritt, lasse mein Buch einfach achtlos vor der Wand liegen.

Draußen vor dem Haupteingang bleibt er stehen, lässt sich unsanft gegen die Zwischenwand der beiden Flügeltüren fallen, erzittert bei der plötzlichen Kälte.

"Alles okay?", frage ich leise, auch wenn ich sehe, dass das nicht der Fall ist.

"Ja, schon gut, ich... Mir ist nur unwohl." Gänsehaut überzieht seine nackten Arme, er schlingt sie um sich.

"Soll ich dir deinen Hoodie holen?"

"Nein! Bleib– Bleib einfach hier..." Seine Wangen färben sich rot, und ich sehe ihn abwägend an, ehe ich meinen Hoodie ausziehe.

"Was–"

"Anziehen", sage ich. "Los. Du wirst sonst zum Eisblock."

"Aber du–"

"Ich gehe im Winter im Meer schwimmen, ich verkrafte das bisschen Kälte." Ich sehe ihn auffordernd an, und er nimmt mir den Stoff zögerlich ab, zieht ihn dann aber recht hastig über und sucht in meiner Umarmung Wärme – vielleicht auch Schutz. Es beginnt zu regnen, doch da wir unter dem relativ großen Vordach stehen, kriegen wir davon nichts ab. Ich streiche über Jaemins Rücken und er atmet hörbar aus, vergräbt sein Gesicht an meiner Schulter.

"Und was lernen wir daraus, kleiner Tänzer?", flüstere ich. "Nicht überanstrengen, regelmäßig essen, ausreichend trinken, ausreichend schlafen. Kaffee hilft nur gegen drittens."

"Ich weiß. Tut mir leid."

"Dein Körper ist der Einzige, bei dem du dich entschuldigen solltest. Hat eure Cafeteria noch geöffnet? Dann solltest du dir was zu trinken holen, und Essen am besten auch."

"Hat zu", murmelt er. "Außerdem ist mir zu schlecht, um etwas zu essen."

"Aber trinken musst du. Ich hab was mit. Warum hast du eigentlich nichts?"

"Hab ich", verteidigt er sich, "das ist nur schon leer."

"Das ist ja noch besser." Ich rümpfe die Nase. "Nimm dir mehr mit, wenn du mehr tanzt."

"Jeno, bitte nicht jetzt. Ich..." Er klingt den Tränen nahe, weshalb ich durch seine Haare kraule, vorsichtig, auf seine Reaktion bedacht, und ich höre ihn einmal tief durchatmen.

"Sollen wir wieder rein?", frage ich leise, und er klammert sich an mich, antwortet aber nicht. Also rühre ich mich auch nicht, bewege meine Finger nur weiter.

"Entschuldige", flüstert er, als er sich nach mehreren Minuten von mir löst.

"Mach dir keinen Kopf. Fühlst du dich besser?"

Er zuckt mit den Schultern, sieht jetzt erst zu mir auf, und ich bemerke die Müdigkeit in seinen Augen.

"Ich bringe dich nach Hause", entscheide ich.

"W– Nein! Ich hab doch kaum was gemacht–"

"—und bist trotzdem völlig fertig. Keine Diskussion, Jaemin. Du gehst nach Hause und ruhst dich aus."

Er presst die Lippen aufeinander, ihm treten Tränen in die Augen, und er will zurück ins Gebäude, aber ich habe rechtzeitig meinen Arm um ihn geschlungen und ihn zu mir gezogen.

"Rede mit mir", fordere ich ihn sanft auf.

"Ich weiß doch nicht–!" Er reibt sich die Augen. "Ich weiß, dass du recht hast, aber ich weiß auch, dass ich mir, wenn ich nicht mehr mache und dann nachher nicht genommen werde– dass ich mir dann Vorwürfe mache, dass ich nicht genug gemacht habe. Dass ich mehr hätte machen sollen, weil ich die Zeit dafür hatte, und sie stattdessen verschwendet habe."

black swan 𖣓 nominWo Geschichten leben. Entdecke jetzt