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Über das Glück hatte ich ganz vergessen, dass wir nicht allein sind. Es wird mir aber wieder deutlich vor Augen geführt, als Soojins "Jeno-oppa!" ertönt, als Jaemin und ich auf dem Weg nach draußen sind.

Mein Herz rutscht mir in die Hose, aber ich kann nicht weitergehen, ich kann mich nicht nicht umdrehen. Jaemins Hand lässt meine los und wandert stattdessen höher, er hält sich an meinem Arm fest.

"Jeno-oppa, Jeno-oppa! Wir waren heute auch endlich schwimmen!", erzählt mir die Kleine freudig, und nur die Hand ihrer Mutter hält sie davon ab, auf ihrem Platz herumzuhüpfen.

"So sieht man sich wieder", lächelt sie. "Und du bist Jaemin, nehme ich an?"

Mein Freund verbeugt sich wackelig. "Bin ich. Es freut mich, Sie kennenzulernen."

"Du siehst blass aus", bemerkt sie besorgt, "alles in Ordnung?"

Erst denke ich, dass sie mich meint, aber Jaemin antwortet. "Entschuldigung, ich fühle mich einfach nicht so gut. Deshalb waren wir auch auf dem Rückweg."

"Oh je, dann halten wir euch nicht weiter auf. Gute Besserung, Jaemin!"

"Dankeschön", lächelt er schwach, wir verabschieden uns und verlassen Gott sei Dank ohne noch eine Begegnung das Restaurant.

"Geht's dir wirklich wieder schlechter?", frage ich, sobald die Tür hinter uns ins Schloss fällt, lege meine Hand an seine Wange und drehe seinen Kopf zu mir, denn er hat sich eben auf mich gestützt, und das bereitet mir Sorgen.

Aber er lächelt mich nur an. "Mir geht's gut."

"Sicher? Was war das dann eben?"

"Ein Jeno fühlt sich so absolut unwohl, ich will ihm helfen und ihn hier rausholen und wenn ich was kann, dann krank spielen."

"Kannst du dich auch blass stellen?" Ich streiche über seine Wange, und er schließt die Augen.

"Nein", sagt er leise.

"Dann ruhst du dich gleich aus. Fühlst du dich wieder fiebrig?"

"Nein. Mir ist nur schwindelig."

"Ganz sicher, Aphrodite?"

Seine Haut unter meinen Fingern wird warm. "Ja."

"Gut." Wir verharren noch eine Weile so, und Jaemins Schultern sinken langsam herab, als hätte er sie die ganze Zeit angespannt.

"Jeno", flüstert er, "können wir kuscheln?"

"Natürlich." Ich platziere einen Kuss auf seinen Lippen. "Ich knuddel dich gesund."

Er lacht leise und seine Augen leuchten in der untergehenden Sonne. "Eher dich krank."

"Nehm ich in Kauf." Ich küsse ihn noch einmal, und diesmal hält er meinen Kopf fest und erwidert, weshalb es länger dauert, bis wir uns lösen. Es hilft ein wenig gegen das beschissene Gefühl in mir.

"Na komm", jetzt ist er es, der über meine Wange streicht, "wir gehen zurück."

Wortlos gehe ich los, und er hakt sich in meinen Arm und erzählt mir von seinem Lieblingsrestaurant in Seoul, von der Aquariumwand, die mir gefallen würde, den hübschen Tischen und dem schönen Garten, und ich kann mir einbilden, zu vergessen, dass Tae mich nicht einmal mit dem Arsch angesehen hat und sein scheiß Essen interessanter fand. Vielleicht war er auch heimlich unter dem Tisch am Handy, was weiß ich, mir hätte er ja eh nicht geschrieben.

"Bist du dir sicher, dass wir morgen zu der Vorlesung können?", frage ich besorgt, als wir stehen bleiben müssen, da seine Beine beinahe nachgeben.

"Ich brauch nur eine Mütze Schlaf", murmelt er, "dann geht das wieder."

"Sei ehrlich, kleiner Tänzer."

Er klammert sich an mich. "Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich umkippe, wenn du mich jetzt loslässt."

Ich lasse ihn nicht los. Stattdessen hebe ich ihn hoch und trage ihn zurück zu den Lius.

"Was ist mit dir?", flüstert er. "Wie geht's dir?"

Ich schiebe unsere Zimmertür mit dem Fuß ins Schloss. "Darüber reden wir morgen, wenn es dir besser geht." Auf dem Bett lege ich ihn ab und ziehe seine Schuhe aus, stopfe meine Decke unter seine Beine.

"Versprich mir, dass du in Ordnung bist." Es klingt Angst in seiner Stimme mit, dabei trägt sie sich kaum bis zu mir. "Dass du nicht im Meer verschwindest."

"Baby." Er schluchzt, ohne zu weinen. "Ich bin hier. Und ich bin immer noch hier, wenn du das nächste Mal aufwachst."

"Versprich's mir."

"Ich versprech's dir. Hoch und heilig."

"Du hast gesagt, wir kuscheln." Zerbrechlich. Seine Angst um mich macht ihn so unglaublich zerbrechlich.

"Ich hab gesagt, ich knuddel dich gesund." Ich streife meine Schuhe ab und lege mich neben ihn. Sofort kuschelt er sich an mich und ich umarme ihn vorsichtig, streiche durch seine Haare.

"Du solltest versuchen zu schlafen", flüstere ich in die dunklen, weichen Strähnen.

"Ich muss noch Zähne putzen."

"Das eine Mal wird das ausfallen können. Sonst kippst du ja doch noch um."

"Dann küsst du mich aber nicht mehr."

"Stimmt doch gar nicht." Ich presse meine Lippen auf seine, ehe er zu Protest anheben kann. "Und morgen früh küss ich dich auch noch."

"Und wenn ich heute Nacht aufwach?"

"Dann küss ich dich, bis du wieder einschläfst."

"Bleib hier", wispert er, "bitte bleib hier."

"Ich bleibe."

"Versprich's. Du musst bleiben."

"Ich versprech's. Ich bleibe."

"Nicht gehen."

"Ich gehe nicht."

"Wenn ich aufwache, bist du noch da."

"Ich bin noch da."

𖣓

Ich bin der, der mit leeren Armen aufwacht.

Erst realisiere ich es nicht, aber als ich es tue, richte ich mich schlagartig auf und sehe mich um.

Jaemin ist auch nicht auf der anderen Matratze, nirgendwo im Raum, und als ich aufstehe, ist auch das Badezimmer leer. Ich habe keine Nachricht bekommen, seine Schuhe sind weg, also ziehe ich auch meine an und verlasse hastig das Zimmer.

Weiter als zu den Stufen vor dem Haus komme ich aber gar nicht, wo ich mich auf einen Spaziergang eingestellt hatte. Aber dort sitzt er, in meinen Hoodie gekuschelt, den Blick in die Ferne gerichtet.

"Jaeminnie?", sage ich leise in die Dunkelheit hinein, und er zuckt zusammen und dreht sich zu mir um.

"Jeno", erwidert er ebenso leise.

Ich setze mich neben ihn. "Was machst du hier draußen?"

"Weiß nicht." Er spielt mit seinen Fingern und lehnt sich zögerlich gegen mich. "Es war so still, ich... musste nachsehen, ob die Welt noch da ist."

"Ist in Seoul anders, hm?" Ich streiche über seinen Arm.

"Mhm."

Eine Weile sind wir still. Eine leichte Brise weht von der Küste durch die Häuserreihen und streift meine Wangen. Ich betrachte ihn von der Seite, aber Jaemin scheint nicht zu frieren. Dafür steht ihm mein Hoodie so gut, dass ich ihn ihm einfach schenken will.

"Weißt du, Jeno", wispert er und holt mich damit aus meinen Gedanken, "ich glaube, sie redet auch mit mir."

06.07.2021
llama! owo

black swan 𖣓 nominWo Geschichten leben. Entdecke jetzt