"Besser?", frage ich leise, Jaemin eine Taschentuchpackung reichend. Er schnieft, nickt, und putzt sich die Nase. Ich halte ihm den Mülleimer auf und er wirft sein Taschentuch hinein, ehe ich ihn wieder schließe und Jaemin bedeute, sich hinzusetzen.
"Dein Tee wird kalt", lächle ich, und auch er kann sich ein schwaches Lächeln abringen, setzt sich wieder auf seinen Platz und nippt an der dampfenden Flüssigkeit. Währenddessen wärme ich die Nudeln vom Mittag auf und als sie fröhlich vor sich hinblubbern, drehe ich mich zu ihm um.
"Was möchtest du machen, wenn du gegessen hast?", frage ich ihn.
"Ich hab gar keinen Hunger", sagt er leise.
"Wann hast du das letzte Mal gegessen?"
"Heute Mittag."
"Dann möchte ich, dass du wenigstens versuchst, zu essen." Ich hole eine von Yeeuns Schüsseln heraus. "Du kannst auch nur die Flüssigkeit löffeln, aber gar nichts essen ist nicht drin."
"Und wenn mir schlecht wird?"
"Dann hörst du auf. Und wenn du spucken musst, haben wir eine Toilette. Die Tür links am Eingang."
"Aber..."
Ich setze ihm eine kleine Portion vor. "Du kannst aufhören, wenn du nicht mehr magst. Aber versuch es bitte, okay?" Er sieht mich unsicher an, als ich Besteck und ein Glas Wasser dazustelle. "Ich will nicht, dass du gar nichts zu dir nimmst, bevor du schlafen gehst, und um das sicherzustellen, musst du eben jetzt etwas essen. Wirklich, es muss nicht viel sein, ein Löffel reicht schon."
Sein Blick wandert langsam auf die dampfenden Nudeln, er schluckt, und ich glaube, er wird blass.
"Ich...", beginnt er, kann aber nicht weitersprechen.
Ich setze mich wieder neben ihn. "Nur die Suppe", biete ich an. Seine Hand zittert, und so ist davon nicht mehr viel übrig, als er den Löffel an seine Lippen setzt.
"Geht das?" Er nickt schwach. Ich strecke meine Finger aus, er ist verwirrt und gibt mir den Löffel, woraufhin ich ihn mit der Suppe füttere.
Sein Blick geht überall hin, nur nicht in meine Augen. Meine Ohren sind so heiß, er müsste es sehen können, aber da er mein Gesicht meidet, wird ihm das wohl nicht auffallen.
Nach etwa der Hälfte schüttelt er den Kopf, und ich lasse den Löffel in der Schüssel liegen. Er nimmt zögerlich die Stäbchen vom Tisch und zwingt sich dazu, ein paar wenige Nudeln zu kauen und zu schlucken – und würgt gleich darauf alles wieder hoch.
"War wohl doch keine so gute Idee", sage ich leise, streiche beruhigend über seine Haare und reiche ihm ein Taschentuch, als er sich wieder beruhigt hat. In seinen Augen stehen Tränen, er zittert noch mehr, und ich will ihn einfach nur umarmen und nie wieder loslassen.
"Ich bring dich rüber", lächle ich, "du ziehst dir etwas Gemütliches von mir an und legst dich hin. Ich hol dir Wasser und einen Eimer, falls du nochmal spucken musst."
Er schluchzt schwach. "Tut mir leid."
"Jaeminnie." Ich helfe ihm dabei, aufzustehen. "Alles okay. Mach dir keine Gedanken."
"Aber–" Sein eigenes Schluchzen unterbricht ihn, und er versucht es nicht weiter. Ich setze ihn auf meinem Bett ab und öffne meinen Schrank.
"Jogginghose und Hoodie?", frage ich ihn über meine Schulter.
"T-Shirt", erwidert er.
"Ist dir das nicht zu kalt?" Er schüttelt den Kopf, also gebe ich ihm meine zweite Jogginghose und das größte T-Shirt, das ich besitze, da ich ihn bisher nur in Oversize-Kleidung gesehen habe. "Ich bin gleich wieder da, okay?" Ich erhalte ein schwaches Nicken, gehe aus meinem Zimmer und lehne die Tür hinter mir nur an, damit ich es hören kann, falls noch einmal etwas ist.
Mit Wasser, Eimer und etwas Traubenzucker kehre ich zu ihm zurück, und er muss sich gerade das T-Shirt über den Kopf gezogen haben, denn er richtet seine durcheinandergebrachten Haare halbherzig.
"Falls du Zucker brauchst", sage ich, als ich den Traubenzucker auf meinem Nachttisch ablege. Den Eimer und die Flasche stelle ich an die Seite.
"Ich soll hier...?"
"Ist gemütlicher als das Sofa, meinst du nicht? Das ist okay", beteure ich auf seinen unsicheren Blick hin, "mach dir darum bitte keine Gedanken."
Dafür scheint er wohl wirklich zu fertig zu sein, denn er fällt einfach seitwärts in mein Kissen. Ich greife nach dem Plüsch-Orca hinter ihm und lege ihn in seine Arme. Jaemin klammert sich dankbar an das schwarz-weiße Plüschtier und schließt die Augen, als ich meine Bettdecke unter ihm hervorziehe und über ihn lege.
"Kannst du bleiben?", wispert er.
"Natürlich." Ich nehme seine Hand, als er sie unter der Decke hervorschauen lässt und in meine Richtung streckt. "Wann soll ich dich aufwecken?"
"Wenn Eomma oder Appa schreiben."
"Okay."
Aber sie schreiben beide nicht. Und irgendwann ist es so spät, dass Eomma sagt, dass ich ihn einfach durchschlafen lassen soll.
Sie legt mir eine Futonmatratze in mein Zimmer, weil ich nicht im Wohnzimmer schlafen will – ich sage, dass ich auf dem Sofa garantiert Rückenschmerzen kriege, aber wir wissen beide, dass ich Jaemin einfach nur nicht allein lassen will – und ich hole mir noch eine Wolldecke und ein Kissen vom Sofa. Jaemin wird mir morgen bestimmt vorwerfen, dass ich so die Nacht verbracht habe, und dass ich ihn nicht aufgeweckt habe, aber er sieht einfach so schlecht aus, dass ich es nicht über mein Herz bringe, ihn aufzuwecken. Und er hat den Schlaf in einem – in dem Fall meinem – warmen Bett dringender nötig als ich.
Ich mache mich schleunigst bettfertig, um mich wieder um ihn kümmern zu können, und lege mich mit Blickrichtung zu Jaemin auf den Futon. Yeeun schreibe ich noch eine Nachricht, dass ich aus Jaemin-Gründen – den Begriff hat sie eingeführt – heute nicht telefonieren konnte und ihr das morgen alles erzählen werde, und es scheint schon spät genug zu sein, dass sie mir nicht mehr antwortet. Aber so kann ich meine Aufmerksamkeit ganz Jaemin schenken.
Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, betrachte ich in aller Ruhe seine hübschen Gesichtszüge. Eigentlich bin ich viel zu müde, aber er macht mich wieder wach. Seine Wimpern sind lang und dunkel, seine Nase ist perfekt zum Anstupsen, seine Lippen sind noch immer trocken und trotzdem so hübsch und rosa, und ich glaube, ich bin dabei, mich in ihn zu verlieben.
Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und ignoriere das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.
Na toll, Jeno. So viel zu deinen Hormonen. Wenn du dich nicht im Griff hast, wirst du eure Freundschaft versauen. Das wäre der größte Reinfall, den du dir momentan leisten könntest. Also tu dir selbst einen Gefallen und halt dich wenigstens zurück.
10.01.2021
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black swan 𖣓 nomin
FanfictionJeno liebt das Schwimmen. Seine Mutter hat ihn deshalb alle Abzeichen machen lassen, die sie auftreiben konnte. Jeno verflucht sie dafür, bis zu dem Tag, an dem er Jaemin das Leben rettet. « Jeno ↑↓ Jaemin !slowburn !angst !sexual content (warnings...