Teil 58

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Auf dem Innenhof tummelten sich die Menschen, alle durch die Fanfahre in Kenntniss gesetzt und nun gespannt auf die Rückkehr ihrer jungen Komtess. Die Männer wurden mit Applaus und Schulterklopfern empfangen. Offenbar galten sie als die Retter Rosalies. Sobald Rosalie an ihnen vorbeiritt knicksten die Frauen und die Männer verbeugten sich. Alle waren froh und erleichtert. Man sah, wie sehr alle ihre Herrin mochten. Ich erntete vereinzelte verwirrte Blicke, doch ansonsten wurde ich kaum beachtet.

Die Männer vor uns blieben in der Mitte des Burghofes stehen. Ich sah wie sich die Menge rechts von mir teilte und jemand eilig auf uns zukam. Sein Anblick schien mir vertraut und fremd zugleich. Er ging flüssig, zog jedoch sein eines Bein nach. Hätte ich nicht darauf geachtet, wäre es mir bestimmt nicht auf Anhieb aufgefallen. Sein Gesicht war verändert. Er wirkte älter, irgendwie erwachsener und dieser Eindruck kam nicht nur durch den leichten Bart an seinem Kinn. Seine Kleidung war edel und gut geschnitten. Ich hatte das Gefühl ihn zum ersten Mal zu sehen.

Mir wurde bewusst, dass ich ihn gar nicht kannte. Ich kannte nur den Jungen, der schwer verletzt gepflegt werden musste. Den unbeschwerten Jungen, der sich fern seiner Heimat vermutlich zum ersten Mal ganz frei fühlte. Doch den Jungen, der unter der strengen Hand seines Vaters aufwuchs, durch den Tod seines Vaters mit einem Mal zum Mann werden und Verantwortung übernehmen musste, den kannte ich nicht. Aber auch ich hatte mich verändert in den zweieinhalb Jahren.

Taris stürmte auf Ros zu. "Oh mein Gott, ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wie geht es dir? Hast du dich verletzt?" Er machte Anstalten sie vom Pferd zu heben. "Vorsicht!" rief ich von der anderen Seite des Pferdes. Taris hielt sofort in der Bewegung inne und sah zu Ros hoch. "Felix hat sich erschreckt und ich bin von seinem Rücken gefallen. Mein Rücken tut weh und mein Fuß." erklärte Ros ihrem Bruder. "Am besten wir heben sie ganz vorsichtig runter." schlug ich immer noch durch das Pferd verdeckt vor. Ohne sie aus den Augen lassen winkte er ein paar Männer heran.  Sie traten auf beide Seiten des Pferdes, stimmten sich ab und hoben Ros vorsichtig aus dem Sattel.

Aufgrund des verletzten Fußes wurde sie auf meine Seite gehoben. Ich stützte sie, als die Männer sie losließen. "Geht es?" fragte ich sie leise, da ich sah, dass sie ihre Zähne zusammen gebissen hatte. Sie nickte tapfer. Von hinten kam ihr Bruder, drängte mich zur Seite und übernahm meine Stütze. Ganz vorsichtig drückte er sie an sich: "Ich bin ja so froh, dass du wieder da bist." "Und du bist nicht sauer auf mich, weil ich ohne dich geritten bin?" fragte Ros scheu. "Ich bin nur froh, dass du in einem Stück wieder bei mir bist. Ich hatte solche Angst um dich. Und ich vertraue darauf, dass du mir sowas nie wieder antun wirst." Er drückte sie erneut vorsichtig. Glücklich strahlte sie mich über seine Schulter hinweg an. "So, jetzt bringen wir dich erstmal in dein Bett. Ich habe schon nach dem Heiler schicken lassen, er wird morgen früh kommen." Taris strich seiner Schwester eine Strähne aus dem Gesicht.

Mit einem Mal wurde ich grob nach hinten gezogen und zwei Männer mit einer Trage schoben sich an mir vorbei. Ich stolperte nach hinten und fiel auf den Boden. Verduzt blieb ich sitzen und beobachtete wie die Männer Ros auf die Trage legten und sie hochhoben, während Taris an ihrer Seite war und ihre Hand hielt. So verschwanden die Männer mit Ros und Taris in der Eingangshalle des Haupthauses. Die Menge auf dem Hof rührte sich wieder und das Gemurmel tönte laut in dem Hof. Alle gingen wieder zurück an ihre Arbeit oder ander Beschäftigungen. Ein Stallbursche ging zu Felix und führte ihn in Richtung Stall. Das löste meine Starre. Ich sprang auf und eilte dem Stallburschen hinterher.

"Warte!" rief ich. Der Bursche hörte mich nicht oder fühlte sich nicht angesprochen. "Warte." sagte ich nochmal, als ich Felix eingeholt hatte. Der Stallbursch sah mich überrascht an. "Wer bist du?" "Ich bin Leika, ich habe die Komtess hierher begleitet. Dort hinter dem Sattel ist mein Beutel, darf ich mir den nehmen." Er zuckte mit den Schultern und trat zur Seite, sodass ich an die Befestigung meines Beutels kam und ihn vom Sattel lösen konnte. "Danke" sagte ich und der Bursche ging mit Felix weiter zu den Stallungen. Mit einem Mal stand ich alleine auf dem Hof. Die Leute überquerten ihn beim Wechseln der Gebäude, trafen sich zu einem kleinen Plausch. Die Wachen am Tor wurden abgelöst und streckten sich von dem langen Stehen. Aber keiner interessierte sich für mich.

Ich sah mich um, nicht genau wissend wonach ich suchte. Sollte ich jetzt einfach gehen? Ich hatte meine Aufgabe erledigt und damit hatte ich keinen Vorwand mehr hier zu sein. Ja, ich wollte Taris sehen, aber vielleicht wollte er mich aber auch nicht sehen. Bemerkt hatte er mich schließlich genauso wenig wie der Rest seiner Leute. Taris war ein Graf. Ich war weit und zwar meilenweit unter seinem Stand. Allein schon ein vertrauliches Gespräch, bei dem ich ihn bei seinem Namen nannte stand mir nicht zu. Nach einem Treffen mit dem Hochwohlgeborenen Grafen zu bitten, kam also nicht in Frage. Und einfach durch die Burg konnte ich ja auch nicht laufen, schließlich kannte mich keiner.

Taris hatte gesagt, dass der Heiler erst morgen kommen würde. Also konnte ich wenigstens versuchen zu Ros zu gelangen. Denn ohne einen Abschied von ihr würde ich auf keinen Fall gehen wollen. Mein Blick fiel auf eine Tür, aus der gerade eine Frau mit einer toten Gans in der Hand kam. Sie nahm sich einen Schemel und setzte sich und begann das Federvieh zu rupfen. Entschlossen, dass ich alles versuchen würde zu Ros zu kommen ging ich auf sie zu.

Die Güte des Menschen ist meine WährungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt