Teil 29

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Am nächsten Tag war Taris so kräftig, dass ich mich traute ihn etwas länger alleine zu lassen. Zumersten Mal überquerte ich den Fluss und ging zu dem Schuppen. Der Fluss war kalt und tiefer alsgedacht. Obwohl ich mein Kleid gerafft hatte, wurde ich mit Kleid bis zum Bauch nass. Zum Glückwar es ein warmer, sonniger Tag. Eigentlich war es schon fast schwül, ich fürchtete, dass es in dennächsten Tagen ein Gewitter geben würde.

Endlich auf der anderen Seite, sah ich mich um. Bis auf die Hütte war nichts zu sehen, noch nicht malein Trampelpfad. Scheinbar war die Hütte schon lange verwaist. Ich schritt durch das hohe Gras undumrundete die Hütte. Der Eingang war auf der Fluss abgewandten Seite. Das Bretterdach schien intaktzu sein. Die grob zusammen gezimmerten Wände wiesen jedoch mehrere Löcher, durch fehlendekleine Bretter, auf. Ich ruckelte etwas an den Wänden, doch die Hütte schien stabil zu sein.

Die Tür war ein einfaches Brett mit einem Griff, mit dem man es zur Seite schieben konnte. Es warsehr schwergängig, vermutlich hatten schon Pflanzen die Schiene überwuchert. Schließlich schaffteich es die Tür ausreichend weit zu öffnen, um ins Innere zu schlüpfen. Drinnen war es durch diezahlreichen Schlitze erstaunlich hell. Der einfache Erdboden war mit Unkraut überwuchert. Ansonstenbefand sich nichts in der Hütte. Aber die war groß und geräumig und auf jeden Fall besser als unserAstunterschlupf.

Sobald Taris sich auf mich gestützt bewegen könnte, würden wir hierhin ziehen. Ich hoffte, dass diesvor dem Unwetter der Fall sein würde. Auf meinem Rückweg machte ich einen kleinen Abstecher undbaute aus dem Seil um meine Taille und einigen Ästen eine Falle auf. Wenn ich Glück hatte, würdesich vielleicht ein Kaninchen hierher verirren.

Ich holte die üblichen Rationen Wasser, Beinwell und Spitzwegerich. Zurück bei Taris verband ichihm seine Wunden neu. Dann erzählte ich ihm von meiner Entdeckung. Er schien begeistert von derMöglichkeit einer besseren Schlafmöglichkeit zu sein.

Bis zum Abend hatte ich noch nichts in meiner Falle gefangen, also holte ich wieder Löwenzahn undverbrachte den Tag bei Taris. Dieser war wieder voll ansprechbar und erzählte mir von seiner kleinenSchwester und was sie so alles ausheckte. Auch ich erzählte von meiner Schwester und gemeinsamlachten wir über kleinere Ausraster der Beiden, die schnell zu einer riesigen Sache wurden.

Ohne, dass ich es merkte, wurde es dunkel. „Ohje, ich habe kein Wasser mehr geholt. Ich gehenochmal los." stellte ich frustriert fest und machte mich auf den Weg in den dunklen Waldhinauszugehen. „Warte! Geh da nicht mehr raus. Ich komme die Nacht auch ohne einen SchluckWasser aus." skeptisch sah ich ihn an: „Sicher? Nicht, dass du verdurstest." Er lächelte: „Mir geht esgut. Setz dich wieder hin Leika."

Ich zuckte mit den Schultern und tat wie mir geheißen. „Erzähl mir noch mehr von deiner Schwester."verlangte ich nach einer Weile des Schweigens. „Ach mehr gibt es da eigentlich nicht zu berichten.Alles in allem ist sie trotzdem meine kleine süße Prinzessin." Ich lächelte: „Sie wird dich alsovermissen?" Sofort biss ich mir auf die Zunge, doch es war zu spät, die Stimmung war gekippt.

Traurig blickte er zu seinen Fußspitzen,mit denen er nervös wackelte: „Außer meinem Vater habe ichnur noch sie und sie hat nur mich. Unser Vater hat kaum Zeit für uns und wenn, dann nur über unsereFehler zu meckern. Ich versuche meine Schwester da so gut es geht abzuschirmen. Sie ist doch nochso klein und unschuldig und ich will das so lange wie möglich erhalten." Ich lächelte vor Rührung wiesich der große Bruder schützend vor die kleine Schwester stellt und lieber mehr Kritik in Kauf nimmt,damit sie weniger abbekommt.

„Wahrscheinlich ist sie krank vor Sorge. Sobald ich kann muss ich ihr sagen, dass es mir gutgeht." redeteTaris weiter und seufzte dann tief. Ich nahm an, dass er sich vorstellte, wie seine kleine Schwesterganz voller Kummer ist. „Und was ist mit deiner Schwester, macht die sich nicht Sorgen?" fragte ervorsichtig. Nun seufzte auch ich. Zwar hatten Sila und ich oft unsere Streitigkeiten und wie oft hattesie mich dafür verflucht, dass ich die große Schwester war. Doch ich vermisste sie, ich wollte ihr soviel erzählen und ihr endlich die Kräuter lehren. Vermutlich ging es ihr ähnlich.

„Ja, ich schätze, dass sie sich auch etwas sorgt" antwortete ich Taris. „Du könntest ihr eine Nachrichtschicken. Wenn es mir besser geht, kann ich dir dabei gerne helfen." schlug er freudig vor. Ichschüttelte jedoch den Kopf. „Es ist besser, wenn meine Familie nichts von mir hört." Taris schautemich forschend an. Ich wusste, was er vermutete, schätzte jedoch, dass er es ebenfalls nicht in Wortefassen würde, wie Silke und Moritz. Da lag ich jedoch falsch: „Du bist also abgehauen?!"

Die Güte des Menschen ist meine WährungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt