Die Diele knarrte. Vorsichtig hob ich meinen nackten Fuß von der Diele und setzte ihn auf die nächste. Erleichtert stellte ich fest, dass sich im Haus nichts regte. Offenbar hatte ich niemanden geweckt.
Die nächsten knarrenden Dielen vermeidend schlich ich weiter zur Treppe. Der Flur war dunkel. Durch das schmale Fenster kam kaum Licht. Nur mit Mühe konnte ich die Hände vor Augen sehen. Doch die 14 Jahre, die ich nun schon in diesem Haus lebte, hatten dafür gesorgt, dass ich mich hier blind zurechtfand. ‚Und eigentlich weiß ich auch, welche Diele knarrt.' ärgerte ich mich immer noch über meinen Fehler.
Meine Zehen ertasteten eine Kante. Ich war an der Treppe angekommen. Schnell rückte ich meinen Beutel auf dem Rücken zurecht und tastete dann mit der rechten Hand nach dem Handlauf der Treppe.
Die Treppe ohne weiteres Knarren geschafft, wandte ich mich nach links. Ich stand im größten Raum unseres Hauses, der als Küche, Esszimmer und Aufenthaltsraum mit offenem Kamin diente. Der große massive Tisch mit den sieben Stühlen diente uns als Esstisch, zum Zubereiten von Speisen, zum Nähen, aber auch zum Kämmen von Wolle und Stroh.
Im Dunkeln hob sich der große Bottich, in den Mutter und ich Wolle eingelegt hatten, deutlich neben dem Tisch ab. Zwischen dem Bottich und dem längst erloschenen Kamin hatte es sich unser Hund bequem gemacht. Er half bei unsern Schafen und ab und zu auch Vater beim Jagen.
Der halbblinde Hund hatte mich bereits gehört und hob schläfrig den Kopf. Ich ging auf ihn zu und sagte so laut ich mich traute im Befehlston: „Bleib!" Gelangweilt legte er den Kopf wieder auf seine Pfoten und schloss die Augen.
Schnell ging ich weiter, meinem Plan folgend, durch den Raum und sammelte verschiedene Gegenstände ein. Innerlich ging ich dabei meine Liste durch: ‚Wasserschlauch, Apfel...nein, besser zwei, Fell, mein scharfes Steinmesser und meinen Kamm'
Bevor ich den Kamm in meinem Beutel verschwinden ließ, strich ich nochmal über die Zinken. Wir waren arm. Jeder von uns hatte sich damit abgefunden, kaum etwas Eigenes zu besitzen. Selbst meine Kleidung hatte vorher meinen großen Brüdern Thein und Mika gehört und würde nach mir an meine kleine Schwester Sila gehen und schließlich bei unserm kleinsten Bruder Jos landen.
Umso mehr hatte ich mich bei meinem Geburtstag vor zwei Wintern gefreut, als Mutter mir den Kamm überreichte. Wir feierten unsere Geburtstage nicht, da wir uns weder Süßgebäck noch Geschenke leisten konnten. Das Einzige, was diesen einen Tag im Jahr besonders machte, war, dass man für diesen Tag von seinen Pflichten im Haushalt und auf den Feldern befreit war.
Ich riss mich von meinen Gedanken los. Ja, wir waren arm und genau das war der Grund, weshalb ich gerade still und heimlich von zuhause weglief. Mein Beutel war nun mit allem gefüllt, was meine Familie entbehren konnte oder was mir sehr gute Dienste erweisen würde. Ich ging zu der einfachen Holztür, die nicht mal das winzigste bisschen Wind aufhalten konnte. Ein letztes Mal blickte ich in den Raum, in dem wir als Familie immer zusammen waren. „Ich werde wiederkommen. Ich weiß nicht wann und wie, aber ich komme wieder. Bitte vergesst mich nicht."
Meine Worte waren nicht mehr als ein Hauch, doch es war ein Versprechen. Ein Versprechen, welches ich auf keinen Fall brechen wollte. „Lebt wohl geliebte Familie." Ich öffnete die Tür und trat aus unserm kleinen Haus.
Mein Herz wurde schwer, als ich die Tür leise hinter mir schloss. Jetzt war es real. Ich verließ meine Familie. Ich hatte es seit Monaten geplant, doch die theoretische Überlegung sie zu verlassen, war etwas ganz Anderes, als es tatsächlich zu tun.
„Ich hoffe es wird euch ohne mich besser ergehen."
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Die Güte des Menschen ist meine Währung
Historical FictionJa, wir sind arm und genau das war der Grund, weshalb ich gerade still und heimlich von zuhause weglief. „Ich werde wiederkommen, ich weiß noch nicht wann und wie, aber ich komme wieder. Bitte vergesst mich nicht." Meine Worte waren nicht mehr als e...