Teil 10

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Etwas später stand ich wieder in meinen Klamotten mit dem Strick, den Silke mir geschenkt hatte um die Taille und meinem Sack über der Schulter auf dem Kiesweg in Richtung Fluss. „Hier, ich habe dir Essen eingepackt. Ich hoffe es reicht für ein paar Tage. Mach's gut meine kleine Heldin." Ich umarmte Silke nochmal, nahm dankbar meinen Proviant und ging wieder zu dem Fluss, an dessen Ufern ich gestern Mittag meine Reise unterbrochen hatte. Am Fluss angekommen wandte ich mich Flussaufwärts und schlenderte fröhlich neben dem rauschenden Strom her. 

Durch meine Unterbrechung bei Silke, war ich nicht so weit gekommen, wie ich gedacht hatte. Zwar hatte ich absolut keinen Anhaltspunkt, wie weit ich nun tatsächlich von meinem zuhause entfernt war, aber irgendwas sagte mir, dass meine Brüder noch nicht aufgegeben hatten. Vor meinem inneren Auge stellte ich mir vor, wie mich einer von ihnen entdeckte und nach Hause brachte. Ich würde keinen Ärger bekommen. Im Gegenteil, Mutter und Vater würden sich nicht mehr einkriegen vor Freude. Doch spätestens wenn mein neues Geschwisterchen auf der Welt war, würden die Probleme anfangen. Thein, Mika, Vater und ich würden tagelang fasten müssen und auch Sila und Jos würden weniger bekommen, damit Mutter und das Baby versorgt waren. 

Ich hoffte inständig, dass mein Weggehen wenigstens etwas bewirkt hatte und sie eine Sorge weniger hatten. Zu diesem Zeitpunkt würde es ihnen jedoch noch vollkommen unbegreiflich erscheinen, warum ich weggegangen war. Erneut befiel mich eine tiefe Traurigkeit. Bevor sie zu groß werden konnte, verschloss ich mein Herz so gut es ging und lenkte mich ab. 

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Silkes Proviant neigte sich nach drei Tagen dem Ende. Ich war jedoch weiterhin guter Dinge und war mir sicher, dass die Natur mir schon genug zu essen geben würde. Während der vergangenen Tage war ich durch mehrere Dörfer gekommen und befand mich nun wieder in einem Wald. Die Zeit, während ich lief, vertrieb ich mir mit dem lauten Singen von Liedern, wobei es sich meist um Kirchenlieder oder derbe Lieder, die ich von meinen Brüdern kannte, handelte. Wenn ich keine Lust mehr zum Singen hatte, hielt ich nach Pflanzen Ausschau, die ich noch nicht kannte. Fand ich eine solche Pflanze, so pflückte ich sie und hängte sie an meinen Beutel zum Trocknen. Sobald sie trocken war, verstaute ich sie vorsichtig in meinem Beutel. Inzwischen hatte ich eine recht große Anzahl gesammelt und irgendwann würde ich jemanden treffen, der mir sagen konnte, was das für Pflanzen waren. 

Zwei Wochen nach meinem Aufbruch bei Silke ging ich summend auf einem Trampelpfad durch den Wald und hielt nach essbaren Pflanzen Ausschau. Ich hatte in den vergangenen Tagen noch immer etwas gefunden. Im Wald war es fast einfacher als zuhause sich zuversorgen. Zuhause grenzte Grundstück an Grundstück und wehe man nahm etwas vom Grundstück eines anderen. Wir hatten nur ein kleines Grundstück, dafür am Ende des Dorfes zwei Felder wo wir Weizen und Kartoffeln anbauten. Während ich hier von Unkraut am Wegesrand leben konnte gab es davon bei uns noch nicht mal genug um eine Person satt zumachen. 

Die Sonne sank tiefer und ich sah mich gerade nach einem netten Platz zum Schlafen um, als ich einen großen Strauch Löwenzahn entdeckte und gleich daneben ein zweiter. Das würde heute mein Essen sein. Rasch war mein Lager aufgeschlagen und der Löwenzahn gewaschen. Ich machte es mir neben dem prasselnden Feuer gemütlich und aß meinen Löwenzahn. Er schmeckte leicht bitter, doch das spülte ich mit einem Schluck aus meinem Wasserschlauch, den ich am Fluss gefüllt hatte weg. 

Plötzlich knackte ein Ast hinter mir. Ich erstarrte. Das Knacken verhallte in der Stille. Ohne mich zu regen, lauschte ich in die Dunkelheit. Ich war oft genug in der Natur gewesen um zu wissen, dass ein Tier so nie reagieren würde. Ein Tier wäre bei dem Laut geflohen und man hätte deutlich gehört, wie es sich den Weg durch das Unterholz bahnt. 

Dies ließ nur einen Schluss zu: Ein Mensch kam von hinten und wollte vermeiden Lärm zu machen. Während ich noch überlegte, wie ich reagieren sollte, wurde ich grob von hinten gepackt und eine starke, raue Hand drückte sich fest auf meinen Mund.

Die Güte des Menschen ist meine WährungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt