Teil 49

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Erschöpft ließ ich mich und meinen Beutel am Wegesrand fallen. Ich hatte diese Wanderungen nicht mehr so anstrengend in Erinnerung. Aber vermutlich lag es an meinem Gepäck. Statt mit einem lockeren Leinenkleid ohne Beutel zu wandern, lief ich nun in einem Kleid mit mindestens drei Stofflagen mehr und einem Beutel mit noch zwei weiteren dieser Art durch die Gegend. Zudem war ich vermutlich noch nicht mehr so an das Laufen gewöhnt. Auch graute mir schon vor der ersten Nacht unter freiem Himmel. Wie hatte ich mich so schnell an die Standards gewöhnen können? Oder was die viel wichtigere Frage war, würde ich wieder in mein altes Leben unterwegs zurückfinden können?

Grübelnd und verschnaufen sah ich den Händlern zu, die jetzt, am späten Nachmittag in Scharen an mir vorbeizogen, eilig um noch vor Sonnenuntergang das nächste Dorf zu erreichen. Gerade als ich beschloss weiterzuziehen, fiel mir ein alter Mann auf, der schnaufen und keuchend ganz alleine einen Wagen mit Kräutern hinter sich herzog. Immer wieder geriet eines des Räder in ein Schlagloch und er musste es mit Kraft aus dem Loch herausziehen. Da der Weg nur so mit Schlaglöchern gesäht war, kam er nur langsam voran und sein Keuchend wurde immer lauter. Da ich mir das nicht länger mit ansehen konnte, packte ich meinen Beutel und stand mit Schwung auf. Einem Pferdekarren ausweichend ging ich zu dem Mann.

Dieser hatte den Blick auf den Boden gerichtet, während er den Wagen aus einem besonders tiefen Schlagloch zog. Ich stellte mich hinter den Wagen und schob. Das Rad löste sich und der Karren gewann an Schwung. Bevor er jedoch den verduzten Mann überrollen konnte fing ich den Schwung ab und brachte ihn zum stehen. Der Mann drehte sich zu mir um. "Vielen Dank junge Lady, das wäre doch nicht nötig gewesen." "Nichts zu danken und es war sehr wohl nötig. Warum fahren sie hier über den Weg mit den ganzen Schlaglöchern und nicht auf dem ebenen, gfestgefahrenen dort drüben?" Der Mann lehnte sich gegen seinen Wagen: "Im Moment sind so viele Gespanne dort auf dem Weg unterwegs, die schätzen es nicht, wenn sie durch einen alten Mann aufgehalten werden. Da sind sie gnadenlos. Ich musste schon oft nach einer solchen Begegnung meinen Karren aus dem nächsten Graben ziehen. Auf diesem Weg geht es sich ohne Konflikte wesentlich entspannter." Mitfühlend sah ich ihn an. Auch wenn mich meine Familie immer davor bewahrt hatte, so hatte ich es doch mitbekommen, wie einige der reicheren uns wie Dreck oder Luft behandelten. Einmal war ich auf dem Weg zu Großmutter mit einem Korb mit Salat und Kartoffeln, als mich ein reicher Junge von hinten umrannte und mich damit in eine große Pfütze befördert. Der Junge hatte sich nicht einmal umgedreht, so als hätte er noch nicht mal gemerkt, dass er in jemanden hineingelaufen war.

Entschlossen baute ich mich vor dem Mann auf. "Nun, dann werde ich ihnen helfen den Weg hier zu gehen." Der Mann schaute mich verdutzt an: "Aber warum wollen Sie das tun? Ich kann Ihnen nichts dafür zahlen." "Wenn ich meinen Beutel mit auf den Wagen legen darf, ist mir das Bezahlung genug." Der Mann schien zu verdutzt zu sein um etwas zu antworten, also legte ich einfach einen Beutel auf den Wagen und stellte mich ans hintere Ende dessen. Der Händler fasste sich wieder, warf mir noch einen fragenden Blick zu, nahm dann jedoch die beiden Stäbe des Karrens und zog. Ich legte meine Hände auf die Rückwand des Wagens und schob. Schon bald keuchten wir beide laut, kamen aber deutlich schneller voran und erreichten kurz vor Sonnenuntergang das nächste Dorf.

Erschöpft ließ ich mich neben dem Karren fallen, während der Mann mit dem Gastwirt seine Bleibe zu organisieren schien. Wieder etwas bei Kräften sah ich mir zum ersten Mal die Ware des Mannes an. Vieles war abgedeckt, dennoch erkannte ich getrocknete Brennesseln, Arnika, Schachtelhalm, Hirtentäschel und Taubnesseln. Zudem noch zwei Kräuter, die ich nicht kannte. "Eine interessante Ladung hat Ihr da. Was sind das für Pflanzen?" Fragte ich den Mann, als er zurück war. "Das ist die sogenannte Große Bibernelle und das die Dornige Hauhechel." Interessiert sah ich mir die Beiden Pflanzen genauer an: "Und was macht man mit denen?" "Die Bibernelle ist gegen Halsentzündungen und Heiserkeit. Die Hauhechel hilft bei Wassersucht und Gelbsucht und dient zur Blutreinigung." "Sind Sie ein Heiler?" "Bezeichne mich eher als Teehändler. Aber ich habe für jedes Leiden und für jeden Geschmack das Richtige." Fasziniert sah ich erneut auf die Beiden Pflanzen, die mir jetzt nun nicht mehr unbekannt waren. Mit einem Mal sah ich die Chance etwas zu lernen. "Darf ich ihnen morgen auf dem Markt etwas zur Hand gehen?"

"Warum wollt Ihr mir so unbedingt helfen?" Fragte der Mann misstrauisch. Ich lächelte ihn freundlich an: "Ich habe von meiner Großmutter einiges über die Pflanzen und ihre Heilkraft gelernt und ich sah hier eine Gelegenheit mein Wissen aufzufrischen und zu erweitern. Würdet Ihr mir diese Bitte gewähren?" Immer noch leicht misstrauisch sah er mich an: "Aber wo wollt ihr schlafen? Ich kann euch keinen Platz im Gasthaus bezahlen?" Ich machte ein wegwerfende Handbewegung: "Ich finde einen Platz zum Schlafen. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde einfach morgen wieder hier sein wenn ich darf?" Der Mann zuckte nur mit den Schultern: "Ich kann mich zwar noch nicht entscheiden, ob Sie eine intrigante Betrügerin oder ein Engel sind, aber ich schätze ich werde es morgen erfahren." Glücklich lächelte ich ihn an und ging dann freudigen Schrittes durch das Dorf zum Wald um mir einen Schlafplatz zu suchen.

Die Güte des Menschen ist meine WährungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt