Teil 31

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Als die Sonne aufging waren wir wieder auf den Beinen und versuchten es erneut. Nach ein paar Dehnübungen zum Aufwärmen, versuchte Taris erneut aufzustehen und es klappte auf Anhieb. Wie bei unserer Flucht übernahm ich die Funktion seines linken, verletzten Beines, während er sich seinen Stock unter den rechten Arm geklemmt hatte. Das Humpeln strengte ihn durch die lange Ruhezeit und ohne das Adrenalin von der Flucht viel mehr an und ich sah wie es ihn ärgerte so schwach zu erscheinen. Er versuchte verbissen durchzuhalten und ja keine Pause machen zu müssen. 

Da ich seinen Stolz nicht noch mehr kränken wollte, schob ich vor erschöpft zu sein. Mit dieser Taktik bewirkte ich, dass wir nach etwa 20 Schritten eine Pause machten. Um nicht immer wieder vom Boden aufzustehen, lehnte Taris sich während dieser Pausen gegen einen Baum und versuchte sein Bein zu entlasten. Während unserer Pausen lief ich ein paar mal zum Fluss voraus, erfrischte mich selbst und brachte Taris Wasser mit.

Es war schon weit nach Mittag, als wir den Fluss erreichten. Damit hatten wir den größten Teil der Strecke geschafft, doch der schwierigere Teil lag noch vor uns. Wir ließen uns am Fluss nieder und legten eine verspätete Mittagspause ein. Ich holte frischen Löwenzahn und wir machten es uns mit den Füßen im kühlen Nass gemütlich.

Taris, der die Hütte das erste Mal richtig bei Tageslicht betrachten konnte, schaute skeptisch: „ Hier war ja schon ewig niemand mehr. Hilfe wird hier garantiert nicht kommen." „Wir kommen doch auch so gut zurecht oder nicht?" fragte ich und Taris lächelte mich an: „Natürlich. Du hast mich perfekt versorgt." Ich lächelte zurück. Dann nickte ich zu der Hütte rüber: „Wollen wir?" „Wir wollen!" Er lachte und ich half ihm beim aufstehen.

Vorsichtig wateten wir in den Fluss. Im Wasser war es für Taris noch schwieriger zu humpeln. Das Wasser bot einen, der Wassertiefe entsprechend steigenden Widerstand, an den er sich beim vorankommen erst einmal gewöhnen musste. Wir kamen noch langsamer voran und hatten keine Möglichkeit uns auszuruhen. Der Untergrund aus losem Sand schien unsere Füße zu verschlucken und bot eine zusätzliche Schwierigkeit.

Da ich Taris stützte, machte ich mir keine Mühe damit, mein Kleid hochzuhalten. Es durchnässte ebenso wie Taris nicht abgeschnittenes Hosenbein und sein Verband. Nur seine Schuhe hatte er vorher ausgezogen und ich hatte sie mit dem Seil um meinem Bauch festgezurrt. Es waren gute Schuhe. Solche Schuhe hatte ich noch bei keinem in unserem Dorf gesehen. Sie sahen sehr teuer aus. Jedes Mal, wenn das Wasser beim Gehen spritzte, hatte ich Angst, die Schuhe könnten nass werden und kaputtgehen. Taris musste schon lange solche Schuhe mit dicker Sohle tragen. Ich hatte bemerkt, dass er es nicht gewohnt war barfuß zu gehen. Immer wieder zuckte er kurz zurück, wenn seine entblößten Füße etwas spitzes oder scharfkantiges berührten. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Fuß trotzdem an diese Stelle zu setzen.

Alles in allem kamen wir zwar unerträglich langsam voran, aber immerhin kamen wir voran und erreichten schließlich das ersehnte Ufer. Erschöpft ließen wir uns im Trockenen nieder und wärmten uns in der Sonne auf. Ganz still lag er neben mir, ein Arm auf die Brust gelegt, die sich von der Anstrengung schnell hob und senkte, und sah gespannt in den Himmel. Auch ich sah in den Himmel, konnte jedoch nichts spannendes entdecken. „Kennst du das Spiel, wo man in den Wolken Muster sehen muss?" Offensichtlich hatte er meine Verwunderung bemerkt. „Ja, ich war nie gut darin. Ich habe nie das gesehen, was die anderen gesehen haben. Während sie Kämpfe mit Drachen sahen, habe ich nur eine Wolke mit Licht und Schatten gesehen." Verlegen zuckte ich mit den Schultern.

Er lachte und ich stimmte in sein Lachen mit ein. „Lass mich raten, du bist so einer, der hier kämpfende Drachen sieht?" neckte ich ihn. „Ach was." sagte er und machte eine wegwerfende Handbewegung: „Dort ist ein Fräulein in einem Turm eingesperrt, dort eine Frau von sieben Zwergen umringt, dort ein kleiner Mann, der übers Feuer springt und da hinten ein Mädchen, dass in seinem Kleid Gold auffängt." Ich konnte mich vor Lachen nicht mehr halten: „Und da hinten kommt ein Prinz auf einem weißen Pferd." Er schaute mich gespielt entrüstet an: „Prinzen auf weißen Pferden, sowas gibt es doch nur im Märchen, also wirklich."

Unser Lachen war so laut, dass eine Schar Vögel, ein Stück weiter, aufflog, was uns nur noch mehr zumLachen brachte. Nachdem unser Lachen abgeebbt war, stupste ich ihn leicht an: „Wollen wir den letzten Abschnitt angehen?" Er öffnete seine Augen und sah mich verschmitzt an: „Oh ja, wir wollen."

Die Güte des Menschen ist meine WährungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt