"Guten Abend." grüßte ich die Frau der Tageszeit entsprechend. Die Frau blickte von dem Vogel auf und musterte mich verwirrt und neugierig. "Guten Abend, Mädchen. Wie bist du denn in die Burg gekommen? Suchst du Arbeit?" "Nein, ich suche keine Arbeit. Ich bin mit der jungen Komtess gekommen. Ich habe sie gefunden und ihre Wunden behandelt. Nun würde ich gerne zu ihr um zu sehen wie es ihr geht." Die Frau musterte mich argwöhnisch: "Und woher soll ich wissen, dass du hier keine Lügen erzählst?" "Wenn ihr mich zu Offizier Robert Wenden bringen könntet, so kann er meine Aussage bestätigen." antwortete ich. "So, zum Offizier willst du also. Willst ihm wohl schöne Augen machen was kleines Mädchen?" Empört trat ich einen Schritt zurück: "Es geht mir hier um das Wohl eurer Komtess und um niemanden sonst." sagte ich bestimmt, wenn auch mit einem kleinen Anflug von schlechtem Gewissen, schließlich würde ich auch gerne den Grafen treffen, wenn es möglich wäre.
"Schon gut, Mädchen." sagte ich Magd beschwichtigend. "Der Offizier ist dort drüben, wenn er deine Geschichte bestätigen kann, kann er dich ja selbst zur Komtess führen." "Habt Dank." sagte ich versöhnlich und ging in die angegebene Richtung.
Die Männer, die gerade keine Wache hatten, standen schwatzend um einen metallischen Korb, in dem ein Feuer brannte. Einer sagte etwas und alle grölten los und schlugen dem Sprecher anerkennend auf die Schulter. Aus der Tür hinter ihnen kam ein Junge, der kaum 14 Jahre alt sein konnte, und balancierte drei Krüge mit einer schaumigen Flüssigkeit. Sorgsam um nichts zu verschütten hatte er seine ganze Konzentration auf den Boden und die Becher gerichtet. Die Männer waren auf ihn aufmerksam geworden und beobachteten hämisch den zaghaft gehenden Jungen.
Da der Junge nur nach unten schaute, sah er nicht, dass sich sein Weg gleich mit einem herumstehenden Soldaten kreuzen würde. Der Mann hatte dies ebenfalls bemerkt, machte jedoch keine Anstalten dem Jungen aus dem Weg zu gehen. Im Gegenteil, er machte sogar noch einen kleinen Schritt nach vorne, sodass der Junge hat nicht mehr anders konnte als gegen ihn zu laufen. "Vorsicht!" rief ich und beschleunigte meinen Schritt. Doch es war zu spät, der Junge lief gegen den Mann, das Tablet kippte, die Becher ergossen sich auf den Jungen und fielen dann scheppernd zu Boden. Tropfnass stand der Junge da, während die Männer sich vor Lachen nicht mehr halten konnten. Puterrot im Gesicht drehte der Junge sich um und verschwand wieder durch die Tür.
Anstelle des Jungen furchtbar wütend auf die Männer schritt ich auf sie zu. Der Robert erkannte mich: "Hey, kleines Mädchen. Immer noch da?" Ich wusste, dass ich für mein Alter jung aussah, da sich erst langsam die weiblichen Kurven bei mir abzeichneten. Auch hatte ich kein Problem damit hier häufiger als Mädchen statt als Frau angesprochen zu werden, aber der Tonfall des Offiziers machte mich noch wütender. Bevor ich etwas erwidern konnte sprach bereits ein anderer der Männer. "Wo hast du denn die aufgegabelt Robert. Ist ja ganz süß, aber ein wenig zu dürr für meinen Geschmack." Die Männer lachten und ein anderer nahm den Faden auf. "Süß wie die Kleine sich hier vor dir aufgebaut hat." "Wird sie dir jetzt eine Standpauke halten?" gröllte ein anderer und alle stimmten mit ein. Die Wut, die mich unvorsichtig gemacht hatte wich der Vernunft. Egal, was ich jetzt sagte, ich würde damit niemanden belehren, sondern nur zur allgemeinen Heiterkeit beitragen.
'Der Klügere gibt nach'. Also ging ich wieder los, ohne einen weiteren Blick an den Männern vorbei, hob die Krüge und das Tablet auf und ging dem Jungen hinterher durch die Tür. Die zufallende Tür unterbrach das schallende Gelächter von draußen und ich atmete tief durch. Offenbar war ich in der Schenke gelandet. Ich schlängelte mich an den Tischen vorbei zur Theke, konnte jedoch niemanden entdecken. "Hallo?" rief ich in den leeren Raum. Ein beleibter Mann kam durch eine Tür, die ich für den Zugang zur Küche hielt. "Guten Tag, was kann ich für Sie tun?" Ich hielt das Tablet mit den Krügen hoch. "Die Männer dort draußen haben ihrem Jungen übel mitgespielt." Der Mann drehte sich wieder zur Tür und donnerte dann: "Frederik." Durch die Tür kam der Junge, immer noch nass und mit eingezogenem Kopf. "Müssen Gäste jetzt schon deine Arbeit machen?" fragte er und nahm mir die Krüge und das Tablet ab. "Es tut mir leid." murmelte er. "Das musst du nicht mir sagen, sondern ihr." donnerte der Mann und zeigte auf mich.
Frederik kam scheu um die Theke herum und verbeugte sich vor mir. "Es tut mir sehr leid." Ich nahm seine Hände. "Das muss es nicht, ich habe gesehen, wie der Mann sich dir in den Weg gestellt hat und sie dann über dich gelacht haben. Auch mich haben sie ausgelacht und auch ich bin einfach gegangen." Frederik lächelte mich scheu an. Dann richtete ich mich wieder auf und sah zu dem Mann auf der anderen Seite der Theke. "Die Männer da draußen, sind nicht gerade die Freundlichsten." Der Ärger des Mannes schien verraucht zu sein: "Das stimmt wohl, sie sorgen dafür, dass die anderen Bewohner der Burg fast nie bei mir vorbeischauen. Das Einzig gute ist, dass sie so viel trinken, dass es sich für mich trotzdem lohnt." "Mir scheint, die Soldaten hier benehmen sich wie die Herren der Burg. Gebietet ihnen denn niemand Einhalt?" "Der alte Graf, Gott hab ihn seelig, ließ den Männern ihre Freiheiten. Er vertrat das Bild, dass ein echter Mann kämpfen, saufen und über die Frauen gebieten müsse." Mich schauderte. Ich hatte hier nun schon viel Unfreundlichkeit mitbekommen und der raue Ton, der hier umherging war mir ebenfalls unangenehm. Mit einem Mal empfand ich unendliches Mitleid mit Taris und Ros, die ihre Kindheit unter solchen Bedingungen erleben mussten.
"Unternimmt der junge Graf denn nichts dagegen?" fragte ich und dachte an das Auftreten von Taris. Die Leute zollten ihm augenscheinlich Respekt. "Oh doch, immer wieder ermahnt er die Männer, doch das scheint sie noch mehr anzustacheln. Sie vermissen den alten Grafen und versuchen gegen den Neuen zu rebellieren. Nicht offen, aber im Kleinen und eben mit solchem Verhalten." Grübelnd schaute ich Frederik hinterher, der still und heimlich durch eine Tür verschwunden war. Wieder kam mir in den Sinn, dass ich den Taris, der hier versuchte seine Leute auf einen neuen Pfad zu führen gar nicht kannte. Vor meinem inneren Auge sah ich sein Gesicht von vor zweieinhalb Jahren, jünger und befreit lächelnd. Dieser Junge schien mit dem Grafen, der Männer ermahnte, hart durchgreifen musste und versuchte nicht in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, nichts mehr gemein zu haben.
Wollte ich ihn wirklich wiedersehen? Was war, wenn ich nichts mehr von dem Taris aus dem Wald in ihm entdecken würde? Würde es meine schöne Erinnerung an ihn zerstören? Und viel wichtiger, wie würde er auf mich reagieren?
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Die Güte des Menschen ist meine Währung
Historische RomaneJa, wir sind arm und genau das war der Grund, weshalb ich gerade still und heimlich von zuhause weglief. „Ich werde wiederkommen, ich weiß noch nicht wann und wie, aber ich komme wieder. Bitte vergesst mich nicht." Meine Worte waren nicht mehr als e...