Liebevoll blickte ich auf die Strohpuppe. Alina, eine fünfjährige mit wilden roten Haaren hatte sie mir geschenkt. Die Puppe hieß Prinzessin und war ein Glücksbringer. So, hatte es mir Alina zumindestens erzählt. Ganze sechs Tage hatte ich bei Tom, Alina und den dreißig anderen Kindern im Waisenhaus verbracht, hatten mit ihnen gegessen, gespielt, gelacht und vor allem ihre Wunden und Leiden so gut es ging geheilt. Vielen konnte ich mit meinen Salben und Tees aus den Pflanzen, die ich zu dieser Jahreszeit im Wald oder an den Wiesen finden konnte, helfen. Einige brauchten jedoch seltenere Pflanzen oder welche, die ich zu dieser Jahreszeit nicht finden konnte. Sobald ein Händler mit diesen Pflanzen vorbeikommen würde, wussten die Frauen im Waisenhaus Bescheid, wie sie damit den Kindern helfen konnten.
Obwohl mich nach den sechs Tagen keiner gehen lassen wollte, wusste ich doch, dass das Essen, was ich bekam von den wenigen Geldern bezahlt wurde, die das Haus für die Kinder zur Verfügung hatte. Also verabschiedete ich mich nachdem meine Arbeit soweit getan war. Ich wusste zwar noch nicht wann und wie, doch ich würde so schnell ich es konnte wieder zum Waisenhaus zurückkehren um dort weiter zu helfen. Mit einem breiten Grinsen erinnerte ich mich an den Abschied von Tom. Der schüchterne Junge war in den paar Tagen merklich aufgetaut und hatte mir zum Abschied sogar einen Kuss auf die Wange gegeben, nur um dann mit hochroten Wangen blitzschnell zu verschwinden.
Ich hängte die Puppe wieder an meinen Beutel, wo sie beim Laufen fröhlich hin und her baumelte. Die Reste meines Mittagessens, bestehend aus einem halben Apfel und einem dreiviertel Laib Brot, verstaute ich wieder ordentlich in meinem Beutel. Ich hatte sie mir im letzten Dorf gekauft. Langsam wurde mein Geld knapp, doch ein zwei Wochen würde ich damit noch aushalten können. Von den Leuten im letzten Dorf hatte ich erfahren, dass ich für ca. drei Tage durch kein Dorf kommen würde, dafür aber durch einen großen Wald. Mehr brauchte ich nicht um mich zu versorgen. Ich war jetzt eineinhalb Tage unterwegs, hatte also bereits die Hälfte geschafft. Ich würde mir für das Abendessen etwas im Wald suchen.
Den Blick nach unten gerichtet, sorgfältig nach genießbaren Pflanzen Ausschau haltend, ging ich meinen Weg weiter. So auf den Weg fixiert, merkte ich erst, dass ich den Wald verlassen hatte, als ich bereits mehrere Schritte vom Waldrand entfernt war. Erstaunt blickte ich hoch und blinzelte in die Sonne. So weit ich gucken konnte sah ich nur Felder und ab und zu eine kleine Baumgruppe. Scheinbar war es das dann wohl mit dem Wald. Missmutig runzelte ich die Stirn. Nicht nur, dass es an Feldern nicht so viele gute Pflanzen gab, nein ich würde auch den ganzen Tag durch die pralle Sonne laufen müssen. Ich setzte meinen Beutel ab und kramte ein helles Tuch und ein dünnes Band hervor. Mit dem Band fasste ich meine dunklen Haare zu einem strengen Knoten, dann band ich mir das Tuch um. Das helle Tuch würde sich in der Sonne nicht so schnell erhitzen, wie meine dunklen Haare. Etwas besseres gegen die Sonne hatte ich nicht. So kraftvoll, wie sie Sonne bereits brannte, merkte man, dass der Sommer bald kommen würde.
Ich ging nochmal kurz zurück in den Wald, sammelte einige Pflanzen, die ich zwar gesehen hatte aber in Hoffnung auf was Besseres stehen gelassen hatte. Da nun nichts besseres kommen würde, waren diese essbaren Pflanzen doch gut genug. Doch ich wollte immer noch vorankommen, also hielt ich mich zu lange im Wald auf. Mit einem dürftigen, aber nahrhaften Abendessen im Beutel setzte ich meinen Weg durch die Felder fort. Zwischen den Feldern führten immer wieder Wege entlang, doch ich hielt meinen Kurs in Richtung Westen, wo ich hoffte ins Herz des neuen Herzogtums zu kommen.
Tief in meine Gedanken versunken nahm ich erst den ungewöhnlichen Laut kaum wahr. Doch dann blieb ich doch stehen, um genauer hinzuhören. Es klang, als würde jemand schreien, doch es war zu weit weg um sich da sicher zu sein. Aufmerksam drehte ich mich einmal im Kreis, konnte jedoch nichts entdecken. Dann hörte ich wieder einen Schrei, diesmal lauter, sodass ich ihn eindeutig als solchen identifizieren konnte. Es klang als würde ein Mädchen oder eine Frau schreien. Erneut drehte ich mich im Kreis. Mit einem Mal konnte ich hinter mir etwas ausmachen. Ich ging wieder zurück und behielt das Etwas im Auge. Es bewegte sich schnell und kam immer näher. Wieder ein Schrei. Nun konnte ich erkennen, was sich da bewegte und ich begann zu rennen. Jetzt waren sie so nah, dass sie genau erkennen konnte. Auf einem wild galoppierenden schwarzen Pferd klammerte sich ein kleines Mädchen mit weißem Kleid in völliger Panik fest. Das Pferd schien nicht zur Ruhe kommen wollen und dem Mädchen auf seinem Rücken schienen die Kräfte zu schwinden.
Ich hatte nicht viel Erfahrung mit Pferden und hoffte, dass dieses wilde Pferd einfach anhalten würde, wenn ich mich ihm in den Weg stellte. Also blieb ich stehen und beobachtete, wie das Pferd auf mich zukam. Es war noch zwanzig Meter von mir entfernt, als ich anfing langsam und mit tiefer, lauter Stimme "Ho, Ho, Ho!" zu rufen. Das Pferd bemerkte mich und stellte seine Ohren auf. Ob es sich verlangsamte konnte ich schlecht einschätzen, aber es schien nicht mehr so schnell näher zu kommen. Es funktionierte. Jetzt konnte ich deutlich sehen, wie sich das Pferd verlangsamte und schließlich in Trab verfiel, die Augen auf mich gerichtet.
Dann ging alles viel zu schnell. Ich spürte, wie sich etwas lockerte, mein Beutel fiel von meiner Schulter. Das Pferd erschreckte sich, der Beutel landete in einer Staubwolke auf dem Weg, das Pferd bäumte sich auf und ein fürchterlicher Schrei ertönte.
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Die Güte des Menschen ist meine Währung
Ficción históricaJa, wir sind arm und genau das war der Grund, weshalb ich gerade still und heimlich von zuhause weglief. „Ich werde wiederkommen, ich weiß noch nicht wann und wie, aber ich komme wieder. Bitte vergesst mich nicht." Meine Worte waren nicht mehr als e...