Teil 56

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"Ruhig, Ruhig" doch das Pferd tänzelte zur Seite. Ich versuchte es erneut "Ruhig Bursche.". Wieder wich mir Felix aus. Immer wenn ich mich ihm näherte und so tat als würde ich mich auf seinen Sattel lehnen wollen, wich er aus. So würde ich es niemals schaffen Ros auf seinen Rücken zu heben. Grübelnd ließ ich das Pferd stehen und setzte mich zu Ros. "So wird das nichts." sagte ich frustriert. "Er dürfte einfach einen Platz zum Ausweichen mehr haben." schlug sie vor. Ich sah mich in der Umgebung um. "Dort könnte es klappen." Sie folgte meinem Blick und nickte.

Nach einem Schlug Wasser stand ich auf, ging zu Felix und band ihn los. Dann umrundete ich unsere Baumgruppe zu Hälfte und band ihn erneut fest. Nun kam ich wieder von der Seite. Felix wich mir aus, stieß aber nach ein paar tänzelnden Schritten auf einen Baum. So gefangen zwischen dem Baum und mir blieb ihm nichts anderes übrig, als mich näher kommen zu lassen. Ich trat an ihn heran, legte so weit ich konnte meine Arme auf seinen Sattel und versuchte Gewicht drauf zu bringen. Felix schnaubte, ließ es jedoch geschehen.

Jetzt war Ros an der Reihe. Bevor ich sie hochhob überprüfte ich ihren Verband, aber der saß fest. "Können wir?" fragte ich sie. Sie biss die Zähne zusammen und nickte. Ich ging in die Knie, sie schlang mir die Arme um den Hals und ich hob sie mit meinen Armen an ihrem Rücken und in ihren Kniekehlen. Sie japste bei der Bewegung, atmete dann jedoch tief durch und biss die Zähne noch fester zusammen. Vorsichtig ging ich zu Felix, der sich bereits von dem Baum entfernt hatte. Als wir näher kamen versuchte er erneut auszuweichen und saß erneut in der Falle.

"So, jetzt brauche ich deine Hilfe." sagte ich zu Ros "Versuche mit deinem gesunden Fuß hier in den Steigbügel zu kommen. Ich versuchte mich richtig hinzustellen, während sie mit der wenigen Bewegungsfreiheit auf meinem Arm versuchte den Bügel mit dem Fuß zu angeln. "Hab ihn." "Sehr gut, jetzt musst du dein Gewicht auf diesen Fuß stellen. Ich werde dich die ganze Zeit halten." Vorsichtig half ich ihr sich in der Luft auf dem Steigbügel aufzurichten. "Halte dich vorne am Sattel fest. Hast du es?" Sie löste die Hände von meinem Hals und zog sich mit den Armen am Sattel hoch, während ich sie nun von hinten stützte. "Habs." "Gut, jetzt muss dein Bein auf die andere Seite. Ich werde es vorsichtig hochheben und du musst dich hier sehr gut festhalten." "Ok." Ich verließ meine stützende Position und nahm ihr Bein mit dem verletzten Fuß. Langsam, so dass ich ihr das Bein nicht verdrehte hob ich es hoch und führte es über die Kruppe des Pferdes. Je weiter das Bein herumkam, desto gerader saß Ros auf dem Pferd.

Durch den Baum kam ich nicht so einfach auf die andere Seite. Ich versicherte mich, dass sie einigermaßen sicher saß und schlüpfte dann zwischen den Bäumen hindurch auf die andere Seite. Dort holte ich schließlich Rosalies sehr stark angewinkeltes Bein in eine normale Position. Nun saß sie gerade auf dem Pferd und rückte sich leicht im Sattel zurecht, bis sie eine angenehme Sitzposition gefunden hatte. Den Steigbügel auf der Seite mit ihrem verletzten Fuß zog ich hoch und ließ ihn so unter dem Sattelblatt verschwinden. Schließlich kontrollierte ich erneut den Bauchgurt des Sattels, ob er fest genug saß. schließlich griff ich mir meinen Beutel, den ich notdürftig repariert hatte und bereits gepackt hatte und sah zu Ros hoch.

"Und was meinen Sie Komtess, wollen wir aufbrechen?" Ich versuchte mich erneut an einem Knicks. Ros kicherte: "Aber sicher Magd, ihr Hofknicks war schon ein wenig besser." Wir lachten, dann band ich Felix vom Baum los, legte ihm die Zügel über den Hals und griff unter seinen Kopf wieder nach ihnen. "Du bist aus dieser Richtung gekommen, also gehen wir mal drauf los." Vorsichtig führte ich Felix von der Baumgruppe weg aufs offene Feld. Da hier kein Weg war, mussten wir über das offene Feld gehen. Das hohe Gras erschwerte die Sicht auf den unebenen Boden und die ganze Zeit hatte ich Angst, dass entweder ich oder das Pferd stolperte.

Die Bewegungen des Pferdes bekamen Rosalies Rücken ganz und gar nicht. Leider konnte ich das nicht ändern, also versuchte ich sie mit Geschichten abzulenken. Ich erzählte ihr von den Streichen, die sich meine Brüder für mich ausgedacht hatten, dann erzählte ich ihr von der Familie Müller und wie die Jungs versucht hatten mich mit ähnlichen Streichen auszutricksen. Ros lachte bei meinen Erzählungen, fing aber nicht selbst an zu erzählen. "Was hast du gemacht, wenn dir langweilig war?" fragte ich sie.

Sie schwieg einige Schritte, dann begann sie zu erzählen: "Meine Mutter ist drei Jahre nach meiner Geburt gestorben. Ich kann mich kaum noch an sie erinnern. Eine Governante kümmerte sich um mich. Sie hieß Lilly und war bei Allem für mich da. Vater hat sich nie für mich interessiert. Für ihn war es nur wichtig, dass ich zu einer Frau heranwachse, die einen Haushalt führen kann und die einem Mann eine gute Ehefrau sein kann. Er zahlte mir Unterricht in Musikinstrumenten und Sprachen so viel ich wollte, doch meine Fortschritte hatten ihn nie interessiert. Manchmal habe ich ihn eine Woche lang nicht gesehen, obwohl wir beide auf der Burg waren. Ihn hat nur interessiert, was mein Bruder machte. Jede Minute seiner freien Zeit verbrachte mein Vater mit meinem Bruder." Sie hielt kurz inne und zog scharf die Luft ein.

Ich sah zu ihr hoch. Wir waren jetzt schon zwei Stunden unterwegs: "Lass uns eine kurze Pause machen. Du musst leider auf dem Pferd bleiben, aber ich sorge dafür, dass er sich nicht viel bewegt." Ros nickte. In der Nähe hatte ich einen Baum ausgemacht, dort band ich Felix an und ließ ihn grasen. Ros reichte  ich Wasser nach oben und sie trank in kleinen Schlücken. Ich gönnte mir ebenfalls eine kleine Verschnaufpause und setzte mich in das hohe Gras. Nach einer Weile stand ich wieder auf und sah zu Ros. "Bereit weiterzugehen?" "Ja wir können weiter."

Felix wurde losgebunden und wir stapften weiter durch das hohe Gras. "Wie geht deine Geschichte weiter?" fragte ich neugierig "Wenn dein Vater so viel Zeit mit deinem Bruder verbracht hat, warst du bestimmt neidisch auf deinen Bruder." Ros schüttelte den Kopf "Nein, ganz und gar nicht. Unser Vater scheuchte meinen Bruder den ganzen Tag umher, ließ ihn alles mögliche lernen und sobald er einen Fehler machte, wurde er bestraft. Doch immer wenn Vater unterwegs war oder manchmal spät abends kam mein Bruder dann zu mir und las mir aus Büchern vor, die von fantastischen Welten handelten. Er war immer so fröhlich wenn Vater nicht da war. Doch sobald Vater zurückkam, schimpfte er wieder mit ihm und bestrafte ihn. Dann war er immer traurig." Ich hörte die Trauer in Ros Stimme. Sie schwieg tief in der Vergangenheit versunken. Ich ließ sie und wartete, bis sie weiter erzählte.

"Eines Morgens erzählte mir Lilly, dass mein Bruder weggelaufen sei. Ich war böse auf ihn, dass er mich nicht mitgenommen hatte. Auch Vater war böse. Er tobte durch die Burg und verwüstete alles. Ich hatte große Angst und Lilly nahm mich zu sich nach Hause. Plötzlich ging ein schlimmes Fieber um. Lilly wurde sehr krank und ich musste zurück in die Burg. Die Mägde kümmerten sich um mich, doch ich war alleine. Kurze Zeit später starb Lilly. Ich habe tagelang geweint. Dann erkrankte auch ich an dem Fieber und kurz danach auch Vater. Ich lag wochenlang im Bett, erholte mich dann jedoch wieder. Vater lag immer noch im Bett und ich hörte wie die Leute flüsterten, dass er sterben würde und wer dann sein Nachfolger sein würde. Mit einem Mal kam Taris wieder zurück. Er ging zu Vater ans Bett und wachte bei ihm. Zwei Tage später starb Vater und mein Bruder wurde sein Nachfolger." Ich blinzelte einige Male. Hatte ich mich da gerade verhört? Hatte sie wirklich Taris gesagt? Aber das konnte doch unmöglich mein Taris sein oder? Aber hatte sie nicht gesagt, dass ihr Vater vor zweieinhalb Jahren gestorben sei? Das müsste die gleiche Zeit gewesen sein, in der Taris sich auf den Weg nach Hause gemacht hatte.

Die Güte des Menschen ist meine WährungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt