Teil 18

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„Wollt ihr uns etwa kranke Sklaven andrehen und unsere Häuser vergiften?" fragte eine laute, donnernde Männerstimmer aus der Menge. Einige murrten zustimmend. „Verschwindet aus unserer Stadt, bevor wir euch hinausjagen." Timo und Erik erbleichten. Ob vor Zorn oder Angst, war schwer zu sagen. Schnell klappte Erik die Banden des Wagens hoch und Timo lief davon um die Pferde einzuspannen. Auf einen Schlag standen wir vier ganz alleine da.

So von der Möglichkeit einer Flucht überrascht sah ich mich perplex um. Eine Menge wütender Gesichter wurde von einem Paar dunkelgrüner Augen abgelöst, die Freiheit schrien. Wie in Trance sah ich förmlich wie sich ein Weg vor mir auftat und durch die Menge führte. Mit einem Ruck landete ich wieder in meinem Körper.

„Los!" zischte ich so laut ich es wagte. Gefolgt von den Mädchen machte ich einige Schritte in Richtung der Menge, die sich im Kaufrausch über den Marktplatz schlängelte. Doch gerade als wir die Ecke des Wagens passieren wollten stand plötzlich Erik vor mir. Seine Augen blitzten vor Zorn: „Rauf da!" sagte er durch zusammengebissene Zähne und deutete auf die hintere Wagenklappe, die als letzte noch offen war.

Unbeholfen durch unsere gefesselten Hände hievten sich Mia und ich nur mit der Hilfe unserer Schultern auf den Wagen. Wir waren gerade oben angekommen, als es Erik zu dumm wurde und er Lee und Mel einfach hochhob. Er schloss die Klappe und ging mit schnellen Schritten zu dem Haufen, den wir vorhin aus ihren Habseligkeiten errichtet hatten. Achtlos nahm er Teil für Teil und warf es in die ungefähre Richtung des Karrens. Einige Teile verfehlten den Wagen, aber die anderen trafen die Fläche des Wagens irgendwo.

Lee zog blitzschnell Mel an sich, bevor sie von einem umherfliegenden Topf getroffen werden konnte. „Deckung!" rief ich und robbte zu der Seite des Wagens, die Erik am nächsten war. Zu viert drückten wir uns so flach es ging an die Bande. Vor uns prasselte ein Regen aus Decken, Töpfen und Hölzern nieder. Da kam auch die zerschlissene Decke angeflogen unter der ich den Baldrian versteckt hatte. So wie sie die Sachen auseinander pflückten, hatten sie den Baldrian vermutlich gefunden und ihn als Unkraut zur Seite geworfen.

Gedanklich verabschiedete ich mich schon von meinem Fluchtplan. Da rutschte Lee ein Stück näher: „Ich habe sie in die Decke geknotet, sie sind bestimmt noch da." Ich wollte Lee vor Freude umarmen, doch ein angespitzter Stock der direkt neben mir landete ließ uns wieder auseinanderfahren. Wir hatten noch eine Chance auf Flucht und die würden wir bei der ersten Gelegenheit nutzen. Wir würden fliehen!

Die Peitsche knallte und Timo trieb die Pferde an, während Erik sich mit einem Satz auf den Bock des Wagens schwang. Geschickt, aber in einem höllischen Tempo lenkte Timo den Wagen über den Markt. Immer wieder wurden wir und der restliche Inhalt des Wagens umher geworfen. Ich war sicher, dass wir morgen nur noch grün und blau sein würden.

Mel robbte zu mir rüber und schob dabei angewidert eine verschimmelte Decke aus dem Weg: „Du hast uns gerettet, tausend Dank." Ich lächelte gequält und spürte wie die getrocknete Spuke spannte. „Du bist meine Heldin!" sagte sie während sie sich an mich kuschelte. Wir hatten das Kopfsteinpflaster der Stadt verlassen und rasten nun auf der geraden Straße an den Feldern vorbei.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Bande und streckte meine Beine aus um Mel ein Kopfkissen zu bieten. Während sie es sich bequem machte beugte ich mich zur ihr runter und flüsterte ihr ins Ohr: „Wenn wir fliehen und frei sind, dann sind wir alle Heldinnen. Wir alle vier, denn dann gehört unser Leben wieder uns allein."

Die Güte des Menschen ist meine WährungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt